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Sammlung: Büchner, Briefe 1835-1836
26 An Eugen Boeckel
1836-06-01, Georg Büchner
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Straßburg, den 1. Juni 1836
Mein lieber Eugen! Ich sitze noch hier, wie Du aus dem Datum siehst. »Sehr unvernünftig!« wirst Du sagen, und ich sage: meinetwegen! Erst gestern ist meine Abhandlung vollständig fertig geworden. Sie hat sich viel weiter ausgedehnt, als ich anfangs dachte, und ich habe viel gute Zeit mit verloren; doch bilde ich mir dafür ein, sie sei gut ausgefallen — und die Société d'histoire naturelle scheint der nämlichen Meinung zu sein. Ich habe in drei verschiedenen Sitzungen drei Vorträge darüber gehalten, worauf die Gesellschaft sogleich beschloß, sie unter ihren Memoiren abdrucken zu lassen; obendrein machte sie mich zu ihrem korrespondierenden Mitglied. Du siehst, der Zufall hat mir wieder aus der Klemme geholfen, ich bin ihm überhaupt großen Dank schuldig, und mein Leichtsinn, der im Grund genommen das unbegrenzteste Gottvertrauen ist, hat dadurch wieder großen Zuwachs erhalten. Ich brauche ihn aber auch; wenn ich meinen Doktor bezahlt habe, so bleibt mir kein Heller mehr, und schreiben habe ich die Zeit nichts können. Ich muß eine Zeitlang vom lieben Kredit leben und sehen, wie ich mir in den nächsten 6 bis 8 Wochen Rock und Hosen aus meinen großen weißen Papierbogen, die ich vollschmieren soll, schneiden werde. Ich denke »Befiehl du deine Wege« und lasse mich nicht stören.
Habe ich lange geschwiegen? Doch Du weißt warum und verzeihst mir. Ich war wie ein Kranker, der eine ekelhafte Arznei so schnell als möglich mit einem Schluck nimmt, ich konnte nichts weiter, als mir die fatale Arbeit vom Hals schaffen. Es ist mir unendlich wohl, seit ich das Ding aus dem Haus habe. — Ich denke den Sommer noch hier zu bleiben. Meine Mutter kommt im Herbst. Jetzt nach Zürich, im Herbst wieder zurück, Zeit und Geld verlieren, das wäre Unsinn. Jedenfalls fange ich aber nächsten Wintersemester meinen Kurs an, auf den ich mich jetzt in aller Gemächlichkeit fertig präpariere.
Du hast frohe Tage auf Deiner Reise, wie es scheint. Ich freue mich darüber. Das Leben ist überhaupt etwas recht Schönes, und jedenfalls ist es nicht so langweilig, als wenn es noch einmal so langweilig wäre. Spute Dich etwas im nächsten Herbst, komme zeitig, dann sehe ich Dich noch hier. Hast Du viel gelernt unterwegs? Ist Dir die Kranken-und Leichenschau noch nicht zur Last geworden? Ich meine, eine Tour durch die Spitäler von halb Europa müßte einem sehr melancholisch und die Tour durch die Hörsäle unserer Professoren müßte einem halb verrückt und die Tour durch unsere teutschen Staaten müßte einem ganz wütend machen. Drei Dinge, die man übrigens auch ohne die drei Touren sehr leicht werden kann, z. B. wenn es regnet und kalt ist, wie eben; wenn man Zahnweh hat, wie ich vor acht Tagen, und wenn man einen vollen Winter und ein halbes Frühjahr nicht aus seinen vier Wänden gekommen, wie ich dies Jahr.
Du siehst, ich stehe viel aus, und ehe ich mir neulich meinen hohlen Zahn ausziehen lassen, habe ich im vollständigsten Ernst überlegt, ob ich mich nicht lieber totschießen sollte, was jedenfalls weniger schmerzhaft ist.
Baum seufzt jeden Tag, bekommt dabei einen ungeheuern Bauch und macht ein so selbstmörderisches Gesicht, daß ich fürchte, er will sich auf subtile Weise durch einen Schlagfluß aus der Welt schaffen. Er ärgert sich dabei regelmäßig jeden Tag, seit ich ihn versichert habe, daß Ärger der Gesundheit sehr zuträglich sei. Das Fechten hat er eingestellt und ist dabei so entsetzlich faul, daß er zum großen Verdruß Deines Bruders noch keinen von Deinen Aufträgen ausgerichtet hat. Was ist mit dem Menschen anzufangen? Er muß Pfarrer werden, er zeigt die schönsten Dispositionen.
Die beiden Stöber sitzen noch in Oberbrunn. Leider bestätigt sich das Gerücht hinsichtlich der Frau Pfarrerin. Das arme Mädel hier ist ganz verlassen, und unten sollen die Leute über die poetische Bedeutung des Ehebruchs philosophieren. Letztes glaube ich nicht — aber zweideutig ist die Geschichte.
Was macht unser Freund und Vetter, Zipfel? Ist ihm die Zeit nirgends weiter gezündet worden? Siehst Du meinen Vetter aus Holland zuweilen? Grüße beide vielmals von mir.
Wilhelmine war lange Zeit unwohl, sie litt an einem chronischen Friesel, ohne jedoch je bedenklich krank gewesen zu sein.
Apropos, sie hat mir Deine beiden Briefe unerbrochen gegeben; dennoch hätte ich es passender gefunden, Du hättest schicklichkeitshalber eine Couverte um Deinen Brief gemacht: konnte ein Frauenzimmer ihn nicht lesen, so war es unpassend, ihn auch an ein Frauenzimmer zu adressieren; mit einer Couverte ist es etwas anderes. Ich hoffe, Du verdenkst mir diese kleine Zurechtweisung nicht.
Jedenfalls bin ich die nächsten vier Wochen noch hier, während des Drucks meiner Abhandlung. Wirst Du mich noch mit einem Brief erfreuen, ehe Du aus Wien abreisest? Apropos, Du machst ja ganz ästhetische Studien. Dem. Peche ist eine alte Bekanntin von mir. Leb wohl!
Dein G. B.
- Text-Herkunft: Gemeinfrei
- Text-ID 725
- Hinzugefügt am 31. Mär 2012 - 09:51 Uhr
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Georg, Büchner, Straßburg, 1836, Biedermeier, Gesellschaft, Deutschland, 19., Jahrhundert, Freundschaften, Berichte, Zukunftsplanung
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