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Sammlung: Adele Schopenhauer

Das Waldmärchen Teil 09

1797-1849, Adele Schopenhauer

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Die Bauern aber, die aus der Schenke kamen und das seltsame Leuchten sahen, bekreuzten sich und sprachen still ein Vaterunser, denn sie hielten es für ein Anzeichen, dass etwas Großes im Gange sei.

"Heilige Mutter Gottes!", sagte Elmrich. "So ist es denn wahr? Hier steht es ja am Rand geschrieben, dass das älteste Kind des Grafen auf einer Reise in Ungarn von einem Geier entführt worden war – und ich bin es! Und bin Graf und Erbe all dieser Ländereien, und hier auf meinem Arm ist der Fleck, an dem man den Verlorenen erkennen soll... gerade wie auf dem Eichenblatt! Und ich sitze hier gefangen auf meinem eigenen Schloss!" Indessen brach der Morgen an, und die Gerichtsdiener traten ein, ihn abzuholen.

Als Elmrich herausschritt, flogen Elster und Kuckuck mit, um als Zeugen gleich bei der Hand zu sein. Das Gericht erkannte seine Unschuld leicht, denn es war im Wald an den weit durch Busch und Strauch hindurchgehenden Blutspuren des Hirsches und an all den geknickten Zweigen und Blättern, auch an den vielen Fußstapfen zu sehen, dass außer unserem Jägerburschen noch mehrere Personen beim Tod des Oberförsters gegenwärtig gewesen waren. Auch dass sie den Hirsch mitfortgeschleppt und ihn geschossen hatten, ließ sich beweisen. Ferner hatte man bei seiner Verhaftung keine Flinte bei Elmrich gefunden, und die tödliche Kugel passte nicht in sein ungarisches Gewehr.

So wurde er des Verdachts freigesprochen, worauf er vortrat, den versammelten Gerichtspersonen dankte und sie bat, ihnen etwas vortragen zu dürfen. Hierauf erzählte er seine seltsame Geschichte, zeigte ihnen den Stammbaum, den Fleck auf seinem Oberarm, die Elster und den Kuckuck und bat sie, die Sache zu untersuchen. Da war nun des Fragens, Verwunderns und Vergewisserns gar kein Ende, und erst spätabends wurde der junge Graf in sein Zimmer zurückgeführt, wo er auf sein Ersuchen in strengem Gewahrsam bleiben sollte, bis nach Ungarn geschrieben und die Bestätigung dessen, was er ausgesagt, angekommen sei. Eine Menge Volk geleitete ihn zurück, Elster und Kuckuck flogen über seinem Kopf wieder mit, und den ganzen Weg über leuchteten drei Irrlichter voraus. Rösel stand an der Tür, sprang auf ihn zu, fiel ihm um den Hals und rief schluchzend: "Ich wusste, dass du kein Mörder bist!" "Kuckuck! Kuckuck!", sagte der kluge Vogel.

Man will behaupten, dass während seiner freiwilligen Gefangenschaft der Gefangene manchmal doch nicht ganz allein gewesen war und das Waldrösel Mittel und Wege gefunden hatte, sie ihm zu erleichtern. Auch hat man sie damals oft mit bunten Bändern spielen und tändeln sehen, obwohl sie sie jetzt nicht tragen mochte, des Vaters wegen.

Endlich kam die ersehnte Kunde aus Ungarn. Die Ortsobrigkeit des kleinen Fleck, bei dem das Unglück geschehen war, sandte alle nötigen Beweise, einen ganzen großen Wagen voll mit Dokumenten über des Geiers Kinderraub, des jungen Erbgrafens Verschwinden und über die Merkmale, an denen man das entführte Knäblein erkennen solle, wenn es sich jemals wiederfände. Denn nach den ersten Augenblicken des Schmerzes hatte der verstorbene Graf alle nötigen Schritte getan, um selbst nach seinem Ableben dem geliebten Söhnlein die Erbfolge in seiner großen Herrschaft zu sichern, und alles das verbrieft und besiegelt.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8586
  • Hinzugefügt am 14. Sep 2021 - 10:01 Uhr

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Wald, Elf, Märchen, Adele, Schopenhauer

Einsteller: sophie-clark

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