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Sammlung: Adele Schopenhauer

Das Waldmärchen Teil 08

1797-1849, Adele Schopenhauer

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Indem er sich umwandte, fiel sein Blick auf die drei Eichenblätter, die ihm kürzlich die alte Eiche geschenkt hatte und die noch an seinem Hut steckten, der neben ihm lag. Er betrachtete sie genau. Auf dem einen saß ein Gallapfel. Ach, dachte er, so schmausen wohl Fremde irgendwo auf meinem Eigentum und bauen Hütten. Ich aber kann es nicht! Auf dem zweiten Blatt war ein seltsam geformter gelber Fleck. Sieh, dachte er, gerade so einen gelben Fleck habe ich am linken Oberarm! Das dritte Blatt war frisch und grün. Es saß ein Marienkäferchen darauf. Bring mir Glück, seufzte er, und bitte für mich bei unserer Muttergottes. Und damit schlief er ein.

Als er erwachte, lagen die dicken Stricke, mit denen er gefesselt gewesen war, neben ihm auf der Erde. Ein Mäuschen hatte sie durchgeknabbert! Fröhlich sprang er auf und trat ans Fenster, von dem aus die duftende laue Luft ihm entgegenströmte. Da bog sich ein Rosenzweig durchs Fenster herein, an dem saß oben ein Rosenkönig, so recht gebaut wie ein Reichsapfel, und daneben ein blühendes Röschen. Schon recht, dachte der Jäger, wär ich ein König oder auch nur ein Graf, ich wollte bald mein Röschen freien und es zur Rosenkönigin machen! Aber so... "Kuckuck!", rief es neben ihm. "Kuckuck!", antwortete er, "ja, mein guter Vogel, ich habe eben nicht viel zu kuckucken!"

"Kuckuck!", antwortete der Vogel.

"Wohin denn, mein kluger Schatz?", sprach der Jäger. Da kam eine Elster ins Zimmer geflogen, zwischen die Eisenstäb hindurch, und flog in eine Ecke auf einen alten Schrein, der dort stand. "Kuckuck!", rief es weiter.

Die Elster kannte er, sie war zahm, und der Förster hatte sie täglich gefüttert. "Armes Tier"!, rief Elmrich bewegt, "auch du hast deinen Herrn verloren!"

Die Elster stocherte mit dem langen Schnabel am Schrank herum und zog endlich mit viel Mühe ein Papier durch eine Ritze desselben hervor. "Kuckuck!", sagte der Vogel im Fenster.

Wahrhaftig, dachte der Jäger, ihr guten Tiere behandelt mich als euren Verwandten, und wir sind es auch vom Walde her. Ihr erleichtert mir wunderbar meine Einsamkeit und Gefangenschaft! Habt Dank! Und damit bückte er sich und nahm das Papier vom Boden auf, das die Elster hervorgekratzt hatte.

"Oh!", sagte er, "das ist ja auch ein Baum, aber ein gemalter! Schade, dass ich ihn nicht recht sehen kann. Es ist dunkel geworden, und morgen früh um drei holen sie mich ab und führen mich ins Stadtgericht. Und mein armes Mädel hat nicht einmal die bunten Bänder, die ich für sie gekauft habe und die noch in meiner Tasche stecken, sondern lauter Kummer und Herzeleid."

Indessen schimmerte ein Licht durch die Fensterscheiben. "Wer kommt?", fragte der Jäger.

Da standen drei leuchtende Irrlichter stockstill nebeneinander, als wollten sie ihm leuchten, und der Vogel Kuckuck schrie sich fast den Hals ab.

"Soll ich das lesen?", lachte Elmrich. "Lesen, lesen, lesen!", hallte es durch den ganzen Wald.

Ich glaube, ich träume, dachte der Jägerbursche. Indessen trat er doch ans Fenster und betrachtete das Papier. Es war eine Kopie des oben im Saale befindlichen gräflichen Stammbaums. Er folgte aufmerksam von Geschlecht zu Geschlecht, von Ahn zu Enkel und begriff selbst nicht, warum ihn die alten Namen so magisch anzogen, die drei Irrlichter leuchteten dazu. Als sie aber allmählich etwas schwach und müde wurden, weil das Stillstehen ganz gegen ihre Natur ist, schickte der Eichenelf eine zahllose Menge Glühwürmchen, die setzten sich in dichten Reihen auf die Stäbe des Gitters am Fenster und bildeten eine prächtige Girandole.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8585
  • Hinzugefügt am 14. Sep 2021 - 09:36 Uhr

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Wald, Elf, Märchen, Adele, Schopenhauer

Einsteller: sophie-clark

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