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Sammlung: Adele Schopenhauer

Das Waldmärchen Teil 05

1797-1849, Adele Schopenhauer

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Der Eichenbaum, oder vielmehr der Elf in der Eiche, war sehr bewegt und betrübt. Er hatte den Lämmergeier persönlich gekannt, von dem der Jäger sprach, und ein Kuckuck, der bei einem Hänfling aus und ein ging, der in seinen Zweigen wohnte, hatte ihm erzählt, wie der böse Raubvogel in einem weit entlegenen Dorf ein Kind seiner schlafenden Wärterin geraubt und dass dies des letzten Grafen erstgeborenes Söhnlein gewesen war. Der arme Vater kam kinderlos von einer weiten Reise zurück, die er in Ungarn mit seiner Gemahlin gemacht hatte. Im Dorf war es verboten, davon zu reden, und man hoffte auf einen neuen Erben. Aber obwohl die schöne Gräfin Sismonde wieder gesegnet war und auch wirklich noch ein Jünkerlein gebar, so starb doch das arme Knäbchen schon in den ersten Tagen nach seiner Geburt. Der Graf trug aber den Kummer nicht lange, er und seine Gattin starben jung, und das Lehngut kam in andere Hände. Die tückische Undankbarkeit des Lämmergeiers gegen den Grafen, den die gute Eiche gewissermaßen als dessen Brotherrn betrachtete, hatte sie damals tief betrübt und empört. Nun da sie aber die Strafe desselben, den schmählichen Tod des Kinderräubers, vernahm und den schönen Grafensohn frisch und gesund in ihrem Schatten liegen sah, dachte sie nur an das gegenwärtige Glück, und all ihr Dichten und Trachten ging darauf aus, ihm wieder zu seines Herrn Vaters Grafenhut und Erbe zu verhelfen. Nebenbei hoffte sie durch diese Vergütung, die Sprache wiederzuerhalten und sich nicht mehr ärgern zu müssen, wenn die Gräser und Blättchen, die ihr zu Füßen wuchsen, sich so heimlich flüsternd lange Geschichten erzählten, so leise, dass es nicht einmal das nächste Veilchen hörte.

Hätte der Elf nur die Eiche verlassen dürfen, so hätte er seinen Wunsch, sich mit dem Jäger zu verständigen, auch wortlos erreichen können. Aber so konnte er ja nicht einmal seine Töchter besuchen, die ringsum in schönen Birken, Erlen und Espen wohnten, und musste seine Botschaften durch die kleine Finkenpost an sie gelangen lassen.

 Unter diesen ernsten Betrachtungen war es Abend geworden, und die Nacht nahm alles in ihren dunklen Mantel. Da kamen drei versprengte Irrlichter durch den Wald getänzelt, die eine Herberge suchten. Es war leider liederliches Volk, das im Land herumzog und anständige Leute, wenn sie abends aus der Gaststube kamen, in den Sumpf lockte, weil jeder eins von ihnen für des Kameraden Laterne hielt. Sie traten vor die Eiche hin, machten ihre Reverenz und nahmen oben die Flammenspitze ab, die sie eine artige Weile in der Luft herumflattern ließen, ehe sie sie wieder aufsetzten. Das sollte aber höflich sein. Alsdann baten sie die Eiche um Nachtquartier.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8580
  • Hinzugefügt am 13. Sep 2021 - 21:53 Uhr

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Wald, Elf, Märchen, Adele, Schopenhauer

Einsteller: sophie-clark

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