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Sammlung: Johann Gottfried Herder

Abhandlung über den Ursprung der Sprache Teil 04

1744-1803, Johann Gottfried Herder

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Nun sind freilich diese Töne sehr einfach, und wenn sie artikuliert und als Interjektionen aufs Papier hinbuchstabiert werden, so haben die entgegengesetztesten Empfindungen fast einen Ausdruck. Das Ach ist sowohl Laut der zerschmelzenden Liebe wie der sinkenden Verzweiflung, Das O sowohl Ausbruch der plötzlichen Freude wie des Erstaunens, der steigenden Bewunderung wie des  Jammers. Sind diese Laute da, um als Interjektionen aufs Papier gemalt zu werden? Die Träne, die in diesem trüben, erloschenen, nach Trost schmachtenden Auge schwimmt, wie rührend ist sie im ganzen Gemälde des Antlitzes der Wehmut. Nehmt sie allein, und sie ist ein kalter Wassertropfen, bringt sie unters Mikroskop und...ich will nicht wissen, was sie da ist! Dieser ermattende Hauch, der halbe Seufzer, der auf der vom Schmerz verzogenen Lippe so rührend stirbt, sondert ihn ab von allen seinen lebendigen Gehilfen, und er ist ein leerer Luftstoß. Kann es mit den Tönen der Empfindung anders sein? In ihrem lebendigen Zusammenhang, im ganzen Bild der wirkenden Natur, begleitet von so vielen anderen Erscheinungen sind sie rührend und genügsam. Aber von allen getrennt, herausgerissen, ihres Lebens beraubt, freilich nichts als Ziffern. Die Stimme der Natur ist gemalter, willkürlicher Buchstabe.  Wenig sind diese Sprachtöne freilich, allein die empfindsam Natur, sofern sie nur mechanisch leidet, hat auch weniger Hauptarten der Empfindung, als unsere Psychologien der Seele als Leidenschaften anzählen oder andichten. Nur jedes Gefühl ist in solchem Zustand, je weniger in Fäden zerteilt, ein um so mächtiger anziehendes Band, die Töne reden nicht viel, aber stark. Ob der Klageton über Wunden der Seele oder des Körpers wimmert? Ob dieses Geschrei von Furcht oder Schmerz ausgepresst wird? Ob dieses Ach sich mit einem Kuss oder einer Träne an den Busen der Geliebten drückt? Alle diese Unterschiede zu bestimmen, dazu war diese Sprache nicht da. Sie sollte zum Gemälde hinrufen, dieses Gemälde wird schon vor sich selbst reden! Sie sollte tönen, nicht aber schildern! Überhaupt grenzen nach jener Fabel des Sokrates Schmerz und Wollust. Die Natur hat in der Empfindung ihre Enden zusammengeknüpft, und was kann die Sprache der Empfindung anderes als solche Berührungspunkte zeigen?

In allen Sprachen des Ursprungs tönen noch Reste dieser Naturtöne. Nur freilich sind sie nicht die Hauptfäden der menschlichen Sprache. Sie sind nicht die eigentlichen Wurzeln, aber die Säfte, die die Wurzeln der Sprache beleben.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8452
  • Hinzugefügt am 04. Mai 2021 - 20:29 Uhr

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Sprache, Abhandlung, Johann, Gottfried, Herder

Einsteller: sophie-clark

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