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Sammlung: Johann Gottfried Herder
Abhandlung über den Ursprung der Sprache Teil 02
1744-1803, Johann Gottfried Herder
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Sollte die Physiologie je so weit kommen, dass sie die Seelenlehre demonstriert, woran ich aber sehr zweifle, so würde sie dieser Erscheinung manchen Lichtstrahl aus der Zergliederung des Nervenbaues zuführen, sie vielleicht aber auch in einzelne, zu kleine und stumpfe Bande verteilen. Lasst sie uns jetzt im Ganzen, als ein helles Naturgesetz annehmen: Hier ist ein empfindsames Wesen, das keine seiner lebhaften Empfindungen in sich einschließen kann. Das im ersten überraschenden Augenblick, selbst ohne Willkür und Absicht, jede in Laut äußern muss. Das war gleichsam der letzte, mütterliche Druck der bildenden Hand der Natur, dass sie allen das Gesetz auf die Welt mitgab: »Empfinde nicht für dich allein, sondern dein Gefühl töne!« Und da dieser letzte schaffende Druck auf alle von einer Gattung einzigartig war, so wurde dies Gesetz Segen: »Deine Empfindung töne deinem Geschlecht einzigartig und werde von allen wie von einem mitfühlend vernommen!« Nun rühre man es nicht an, dieses schwache, empfindsam Wesen! So allein und einzeln und jedem feindlichen Sturm des Weltalls es ausgesetzt scheint, so ist es nicht allein. Es steht mit der ganzen Natur im Bunde! Zartbesaitet, aber die Natur hat in diese Saiten Töne verborgen, die, gereizt und ermuntert, wieder andere gleichzart gebaute Geschöpfe wecken und, wie durch eine unsichtbare Kette, einem entfernten Herzen Funken mitteilen können, für dies ungesehene Geschöpf zu fühlen. Diese Seufzer, diese Töne sind Sprache. Es gibt also eine Sprache der Empfindung, die unmittelbares Naturgesetz ist.
- Text-Herkunft: Gemeinfrei
- Text-ID 8450
- Hinzugefügt am 04. Mai 2021 - 16:12 Uhr
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Sprache, Abhandlung, Johann, Gottfried, Herder
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