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Sammlung: Johann Gottfried Herder
Abhandlung über den Ursprung der Sprache Teil 03
1744-1803, Johann Gottfried Herder
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Dass der Mensch sie ursprünglich mit den Tieren gemein hat, bezeugen jetzt freilich mehr gewisse Reste als volle Ausbrüche, allein auch diese Reste sind unwidersprechlich. Unsere künstliche Sprache mag die Sprache der Natur so verdrängt, unsere bürgerliche Lebensart und gesellschaftliche Artigkeit mag die Flut und das Meer der Leidenschaften so gedämmt, ausgetrocknet und abgeleitet haben, wie man will; der heftigste Augenblick der Empfindung, wo und wie selten er sich findet, nimmt noch immer sein Recht wieder und tönt in seiner mütterlichen Sprache unmittelbar durch Akzente. Der auffahrende Sturm einer Leidenschaft, der plötzliche Überfall von Freude oder Frohsinn, Schmerz und Jammer, wenn sie tiefe Furchen in die Seele graben, ein übermannendes Gefühl von Rache, Verzweiflung, Wut, Schrecken, Grausen usw., alle kündigen sich und jede nach ihrer Art verschieden an. So viel Gattungen von Gefühlen in unserer Natur schlummern, so viel auch Tonarten. Ich merke also an, dass je weniger die menschliche Natur mit einer Tierart verwandt, je ungleichartiger sie mit ihr am Nervenbau ist, desto weniger ist uns ihre Natursprache verständlich. Wir verstehen, als Landgeschöpfe, das Erdentier besser als das Wassergeschöpf und auf dem Land das Herdetier besser als den Einzelgänger. Und unter den Herdetieren die am meisten, die uns am nächsten stehen. Es ist natürlich, dass der Araber, der mit seinem Pferd nur ein Stück ausmacht, es mehr versteht als der, der zum ersten Mal ein Pferd besteigt; fast so gut, wie Hektor in der Iliade mit den seinigen sprechen konnte. Der Araber in der Wüste, der nichts Lebendiges um sich hat als sein Kamel, kann leichter dessen Natur verstehen, als wir in unseren Behausungen. Der Sohn des Waldes, der Jäger, versteht die Sprache des Hirsches und der Same die seines Renntiers, doch alles das ist Ausnahme. Eigentlich ist diese Sprache der Natur eine Völkersprache für jede Gattung unter sich, und so hat auch der Mensch die seinige.
- Text-Herkunft: Gemeinfrei
- Text-ID 8451
- Hinzugefügt am 04. Mai 2021 - 20:13 Uhr
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Sprache, Abhandlung, Johann, Gottfried, Herder
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