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Sammlung: Russische Märchen

Von den zwölf Monaten/03

1943, S. Marschak

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Helena hatten die Erdbeeren geschmeckt, und es gelüstete sie des dritten Tages nach roten Äpfeln. »Geh' in den Wald, Maruschka, und bring' mir rote Äpfel« befahl sie der Schwester. - »Ach Gott, liebe Schwester, woher sollten im Winter Äpfel kommen? « versetzte die arme Maruschka. - »Du nichtsnutziges Ding, Du Kröte, Du widersprichst, wenn ich befehle? Gleich geh' in den Wald, und bringst Du keine roten Äpfel, wahrlich, so schlag' ich Dich Todt! « drohte die böse Helena. Die Stiefmutter fasste Maruschka, stieß sie zur Tür hinaus, und Schloss diese fest hinter ihr. Das Mädchen eilte bitter weinend in den Wald. Der Schnee lag hoch, nirgend war eine Fußstapfe. Allein das Mädchen irrte nicht umher, es ging gerade auf den Gipfel des Berges, wo das große Feuer brannte, wo die zwölf Monate saßen. Sie saßen dort, der Eismonat saß obenan. »Liebe Leute, erlaubt mir, dass ich mich am Feuer Wärme, Kälte schüttelt mich, « bat Maruschka, und trat zum Feuer. Der Eismonat nickte mit dem Haupte und fragte: »Weshalb bist Du wieder gekommen, was suchst Du da? « - »Ich suche rote Äpfel, « antwortete Maruschka. - »Es ist nicht an der Zeit, « sagte der Eismonat. - »Ich weiß wohl, « entgegnete Maruschka traurig, »allein Schwester Helena und meine Stiefmutter haben mir befohlen, rote Äpfel aus dem Wald zu bringen; bring' ich sie nicht, so schlagen sie mich Todt. Bitte schön, Ihr Hirten, sagt mir, wo ich deren finde! « Da erhob sich der Eismonat, schritt zu einem der altern Monate, gab ihm den Stab in die Hand, und sprach: »Bruder September, setz' Dich obenan! « Der Monat September setzte sich obenan und schwang den Stab über dem Feuer. Das Feuer glühte rot, der Schnee verlor sich, aber die Bäume umhüllten sich nicht mit Laub, ein Blatt nach dem andern fiel ab, und der kühle Wind verstreute sie auf dem falben Rasen, eins dahin, das andere dorthin. Maruschka sah nicht so viele bunte Blumen. Am Thal hang blühte Altmannskraut, blühten rote Nelken, im Thale standen gelbliche Eschen, unter den Buchen wuchs hohes Farrenkraut und dichtes Immergrün. Maruschka blickte nur nach roten Äpfeln umher, und sie gewahrte in der Tat einen Apfelbaum und hoch auf ihm zwischen den Zweigen rote Äpfel. »Schnell, Maruschka, schüttle! « gebot der September. Maruschka schüttelte freudig den Apfelbaum; es fiel ein Apfel herab. Maruschka schüttelte noch einmal; es fiel ein zweiter herab. »Schnell, Maruschka, eile nach Hause! « gebot der Monat. Maruschka gehorchte, nahm die zwei Äpfel, dankte den Monaten schön, und eilte froh nach Hause. Es wunderte sich Helena, es wunderte sich die Stiefmutter, als sie sahen, dass Maruschka Äpfel bringe. Sie gingen ihr öffnen. Maruschka gab ihnen die zwei Äpfel. »Wo hast Du sie gepflückt? « - »Hoch auf dem Berge; sie wachsen dort, und noch gibt’s ihrer dort genug, « erwiderte Maruschka. »Warum hast Du nicht mehr gebracht? Oder hast Du sie unterwegs gegessen? « fuhr Helena zornig gegen sie los. »Ach liebe Schwester, ich habe keinen Bissen gegessen. Ich schüttelte einmal, da fiel ein Apfel herab; ich schüttelte zum zweiten Mal, da fiel noch einer herab; länger zu schütteln erlaubten sie mir nicht. Sie hießen mich nach Hause gehen, « sagte Maruschka. »Dass der Donner in Dich fahre« fluchte Helena, und wollte Maruschka schlagen. Maruschka brach in Tränen aus, und bat Gott, er solle sie lieber zu sich nehmen, und sie nicht von der bösen Schwester und Stiefmutter erschlagen lassen. Sie floh in die Küche. Die gen aschige Helena ließ das Fluchen und begann einen Apfel zu essen. Der Apfel schmeckte ihr so, dass sie versicherte, noch niemals in ihrem Leben so was Köstliches gegessen zu haben. Auch die Stiefmutter ließ sich's schmecken. Sie aßen die Äpfel auf, und es gelüstete sie nach mehr. »Mutter, gib mir meinen Pelz! ich will selbst in den Wald gehen, « sagte Helena. »Das nichtsnutzige Ding würde sie wieder unterwegs essen. Ich will schon den Ort finden, und sie alle herausschütteln, ob es wer erlaubt oder nicht! « Vergebens riet die Mutter ab. Helena zog den Pelz an, nahm ein Tuch um den Kopf, und eilte in den Wald. Die Mutter stand auf der Schwelle, und sah Helena nach, wie es ihr gehe.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 875
  • Hinzugefügt am 18. Jul 2012 - 09:10 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

Apfel,Tochter, Mutter, Feuer, Wald, September, Winter, Monaten

Einsteller: soja

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