Text-Suche

Wer ist online

1 registrierter Benutzer und 87 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Anekdote A /Agilulf und Theudelind

Sammlung: Anekdote A

Agilulf und Theudelind

o. J., Unbekannter Verfasser

  nächster Text ->

Nach Autharis (Vetaris) Tode ließen die Langobarden Theudelind, die königliche Witwe, die ihnen allen wohlgefiel, in ihrer Würde bestehen und stellten ihr frei, wen sie wollte aus dem Volk zu wählen. Den würden sie alle als ihren König anerkennen. Sie aber berief Agilulf, Herzog von Taurin, einen tapferen, kriegserfahrenen Mann und reiste ihm selbst bis nach Laumell entgegen. Gleich nach dem ersten Gruß ließ sie Wein einschenken, trank zuerst selbst und reichte das übrige dem Herzog hin. Als er nun beim Empfang des Bechers ehrerbietig die Hand der Königin küsste, sprach sie lächelnd und errötend: „Der braucht mir nicht die Hand zu küssen, der mir seinen Kuss auf den Mund geben soll.“ Hierauf ließ sie ihn zum Kuss und tat ihm den gefassten Entschluss kund. Unter allgemeinem Frohlocken wurde bald die Hochzeit gefeiert und Agilulf von allem versammelten Volk zum König gekrönt.

Unter der weisen Herrschaft dieses Königes stand das Reich der Langobarden in Glück und Frieden. Theudelind, seine Gemahlin, war schön und tugendsam. Es begab sich aber, dass ein Jüngling aus dem königlichen Gesinde eine unüberwindliche Liebe zu der Königin fasste und doch, seiner niederen Abkunft wegen, keine Hoffnung nähren durfte, jemals zur Befriedigung seiner Wünsche zu gelangen. Er beschloss endlich das Äußerste zu wagen und wenn er sterben müsse. Weil er nun gemerkt hatte, dass der König nicht jede Nacht zu der Königin ging, so oft er es aber tat, in einen langen Mantel gehüllt, in der einen Hand eine Kerze, in der anderen ein Stäblein tragend, vor das Schlafgemach Theudelindens trat und mit dem Stäblein ein oder zwei Mal an die Tür schlug, worauf alsbald geöffnet und ihm die Kerze abgenommen wurde. So verschaffte er sich einen solchen Mantel, wie er auch von Gestalt genau dem König gleich kam.

Eines Nachts wickelte er sich in den Mantel, nahm Kerze und Stäblein zur Hand und tat zwei Schläge an die Tür des Schlafzimmers. Sogleich wurde ihm von geöffnet, die Kerze abgenommen und der Diener gelangte wirklich ins Bett der Königin, die ihn für keinen anderen, als ihren Gemahl hielt. Indessen fürchtete er, auf solches Glück möge schnelles Unheil folgen, machte sich daher bald aus den Armen der Königin frei und gelangte auf dieselbe Weise, wie er gekommen war, unerkannt in seine Schlafstube zurück.

Kaum hatte er sich entfernt, als sich der König selbst vornahm, diese Nacht seine Gemahlin zu besuchen, die ihn froh empfing, aber verwundert fragte, warum er gegen seine Gewohnheit, da er sie eben erst verlassen, schon wieder zu ihr komme. Agilulf stutzte, es fiel ihm aber augenblicklich ein, dass sie durch die Ähnlichkeit der Gestalt und Kleidung könne getäuscht worden sein. Und da er ihre Unschuld deutlich sah, gab er als ein verständiger Mann sich nicht bloß, sondern antwortete: „Traut ihr mir nicht zu, dass, nachdem ich einmal bei euch gewesen bin, ich nicht noch einmal zu euch kommen möge?“ Worauf sie versetzte: „Ja, mein Herr und Gemahl, nur ich bitte euch, dass ihr auf eure Gesundheit sehen möget.“ „Wenn ihr mir so ratet", sprach Agilulf, "so will ich euch folgen und dieses Mal nicht weiter bemühen.“ Nach diesen Worten warf der König seinen Mantel wieder um und verließ voll innerem Zorn und Unwillen, wer ihm diesen Schimpf zugefügt habe, das Gemach der Königin. Weil er aber richtig schloss, dass einer aus dem Hofgesinde der Täter sein müsse und noch nicht aus dem Haus habe gehen können, so beschloss er auf der Stelle nachzuspüren und ging mit einer Leuchte in einen langen Saal, über dem Marstall, wo die ganze Dienerschaft in verschiedenen Betten schlief. Und indem er weiter bedachte, dem, der es vollbrachte, müsse noch das Herz viel stärker schlagen, als den anderen, so trat der König der Reihe nach zu den Schlafenden, legte ihnen die Hand auf die Brust und fühlte, wie ihre Herzen schlugen. Alle aber lagen in tiefer Ruhe und die Schläge ihrer Herzen waren still und langsam, bis er sich zuletzt dem Lager dessen näherte, der es wirklich verübt hatte. Dieser war noch nicht entschlafen, aber als er den König in den Saal treten sah, in große Furcht geraten und glaubte gewiss, dass er umgebracht werden sollte. Doch es beruhigte ihn, dass er den König ohne Waffen erblickte, und schloss daher, als jener näher trat, fest die Augen und stellte sich schlafend. Als ihm nun der König die Hand auch auf die Brust legte und sein Herz heftig pochen fühlte, merkte er wohl, dass dieser der Täter war und nahm, weil er bis auf den Tag verschieben wollte, was er mit ihm zu tun Willens hatte, eine Schere und schnitt ihm von der Seite über dem Ohr eine Locke von den Haaren ab. Darauf ging der König weg, jener aber, der listig und sinnreich war, stand unverzüglich auf, schnitt jedem seiner Schlafgesellen auf derselben Seite eine Locke mit der Schere ab und legte sich danach ganz ruhig nieder in sein Bett und schlief. Morgens in aller Frühe, bevor die Tore der Burg geöffnet wurden, befahl der König sämtlichem Gesinde, in seiner Gegenwart zu erscheinen und begann, sie anzusehen, um denjenigen, den er geschoren hatte, darunter herauszufinden. Da er aber erstaunt sah, dass den meisten unter ihnen auf derselben Stelle die Locke fehlte, sagte er zu sich selbst: „Der, den ich suche, ist von niederer Herkunft, aber gewiss von klugem Sinn.“ Und sogleich erkennend, dass er ihn ohne großes öffentliches Ärgernis nicht mehr finden werde, sprach er laut zu ihnen allen: „Wer es getan hat, schweige und tue es nimmermehr!“ Bei diesen Worten des Königs sahen sich alle Diener einander verwundert an und wussten nicht, was sie bedeuteten. Außer dem einen, der das Stück begangen hatte, der klug genug war, sein Leben lang nichts davon laut werden zu lassen und sich an dem Glück zu genügen, das ihm widerfahren war.

 

Werke von A-Z

Autoren und Komponisten von A-Z

Literatur- und Musikgattungen von A-Z

Unbekannter Verfasser von A-Z

Anekdoten von A-Z

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 5588
  • Hinzugefügt am 09. Jun 2014 - 21:29 Uhr

Aufrufe: 37 | Downloads: 0 | Der Text hat 2 Empfehlungen in sozialen Netzwerken.

  nächster Text ->

Verwandte Suchbegriffe

Agilulf-und-Theudelind, unbekannter-Verfasser, Prosa, Epik, Anekdote

Einsteller: sophie-clark

Kommentieren

Noch keine Kommentare vorhanden.

 

Alle Texte der Sammlung "Anekdote A"

Prosa > Epik > AnekdoteUnbekannter Verfasser | in: Anekdote A | o. J.

Agilulf und Theudelind

mehr…

Nach Autharis (Vetaris) Tode ließen die Langobarden Theudelind, die königliche Witwe, die ihnen allen wohlgefiel, in ihrer Würde bestehen und stellten ihr frei, wen

 

Prosa > Epik > AnekdoteHeinrich von Kleist | in: Anekdote A | 1777-1811

Anekdote aus dem letzten Krieg

mehr…

Den ungeheuersten Witz , der vielleicht so lange die Erde besteht, über Menschenlippen gekommen ist, hat im Laufe des letzten Krieges  ein Tambourmajor

 

Prosa > Epik > AnekdoteHeinrich von Kleist | in: Anekdote A | 1777-1811

Anekdote über einen mecklenburgischen Landmann

mehr…

Ein mecklenburgischer Landmann namens Jonas war seiner großen Kraft  wegen im ganzen Land bekannt. Ein Thüringer, der in die Gegend kam und von ihm

 

Prosa > Epik > AnekdoteUnbekannter Verfasser | in: Anekdote A | o. J.

August der Starke und der Hufschmied

mehr…

Zum Nachhören   Der Kurfürst August  II. von Sachsen war außerordentlich stark. Einmal  verlor  sein Pferd auf einem Ausritt