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Sammlung: Gedicht R
Rabbi Löw
1875-1926, Rainer Maria Rilke
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»Weiser Rabbi, hoher Liva, hilf uns aus dem Bann der Not!
Heut schenkt uns Jehova Kinder, morgen raubt sie uns der Tod.
Schon fasst Beth Chaim nicht die Scharen und kaum hat der Leichenwart
eins bestattet, nahen andre Tote. Rabbi, das ist hart.«
So geschieht es. »Wagst du nach Beth Chaim diese Nacht dich ganz allein?«
»Du befiehlst es, weiser Meister!«
»Gut, so hör, um Mitternacht
tanzen all die Kindergeister auf den grauen Steinen sacht.
Birg dich dorten im Gebete und wenn Furcht dein Herz beklemmt,
Raubst es, bringst es her im Fluge, her zu mir! Begreifst du wohl?«
»Wie du heißest tun mich, Meister, tu ich!«, klingt die Antwort hohl.
Mitternacht und Mondgegleiße und es stürzt der totenblasse
in der Hand das Hemd, das weiße.
Da jetzt ...sind das seine Schritte?
Je kehrt er zurück das bleiche
Antlitz. Weh, die Kindesleiche
»Gib das Linnen, ohne Linnen
lassen mich nicht ein die Geister.«
Und der Bocher, halb von Sinnen,
reicht es endlich seinem Meister.
Und schon naht der Geist mit Klagen.
»Sag, warum sterben hundert binnen
Tagen? Kind, du musst es sagen,
früher darfst du nicht von hinnen.«
»Wehe, wehe«,
haben zwei entehrt der Ehe
keusche, reine Altarflamme!
Hier die Namen! Sucht nicht fremde
Ursach, dass euch Tod beschieden.«
Und der Rabbi reicht das Hemde
jetzt dem Kind: »Zieh hin in Frieden!«
Kaum, dass aus dem Nachtkelch
stieg der Tag in rosgem Licht,
hielt der Rabbi schon Gericht
Mit der Geißel des Gesetzes
brandmarkt er die Sünderstirn.
Langsam löste jedes Hirn
sich vom Bann des Fluchgenetzes.
dankerfüllt, dass Gott verzieh
und der Weise segnet sie.
Freude lag auf aller Mienen.
Nur der Bocher warf, der bleiche,
sich im Fieber hin und her,
doch nach Beth Chaim lange mehr
trug man keine Kindesleiche.
- Text-Herkunft: Gemeinfrei
- Text-ID 5091
- Hinzugefügt am 14. Apr 2014 - 16:34 Uhr
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Rabbi-Löw, Rainer-Maria-Rilke, Gedicht, Bocher, Meister
Einsteller: sophie-clark
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