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Paul Bornstein /Memoiren Cagliostros Teil 01

Sammlung: Paul Bornstein

Memoiren Cagliostros Teil 01

o. J., Paul Bornstein


 

 

Einleitung

Mit Recht bezeichnet man das 18. Jahrhundert als das Zeitalter des Rationalismus, der Vernunftphilosophie und der Aufklärung, denn es kann nicht bezweifelt werden, daß geistige Größen, wie Leibnitz, Wolff, Newton, Friedrich II., Kant, Lessing, Winkelmann und später auch Goethe und Schiller zu jener Zeit der Menschheit einen neuen Horizont erschlossen, dem ganzen geistigen und materiellen Leben eine neue Richtung gaben, so daß, wenn auch keiner jener Männer im Stande gewesen war, bis zu den letzten Gründen alles Seins vorzudringen und das letzte Rätsel zu lösen, dennoch unendlich viele Lücken ausgefüllt, unendlich viele uralte Irrtümer für immer abgestreift wurden, womit eine vorher unbekannte Klarheit und Sicherheit auf fast allen Gebieten des Wissens erreicht ward. – Einstige Zeiten hatten dem Kaiser gegeben, was des Kaisers, und der Kirche, was der Kirche ist, sie hatten gebetet und auf diese Weise der ewigen Seligkeit teilhaft zu werden gehofft, das Glaubensdogma war das sanfte Ruhekissen, auf dem sie im Vollgefühle ihres guten Gewissens wacker geschnarcht hatten. – Die Sonne der Hellenenweisheit war lange untergegangen im Meere mittelalterlicher Ignoranz, und trübe, wie ein Nachtlämpchen, eingelullt und in Schlaf gewiegt durch den Duft der Weihrauchfässer und den melodischen Klang des Chorgesangs, brannte noch des Menschengeschlechtes Vernunft. Da donnerte es auf, da flammten Blitze durch die Luft, daß Licht wurde und alles emporfuhr und hinsah, und siehe, was man erblickte, war Schutt und Moder, war Schmutz und Laster, alles jahrtausende alt. – Aber reinigend wirkte das Gewitter der Reformation; die Menschheit atmete auf und freute sich der Sonne, die aufs neue emporzusteigen begann, der Sonne, die da bedeutet Weisheit und Schönheit und Wahrheit. – Aufs neue blüht verjüngt die Weisheit der Hellenen, man lernt aufs neue die Schönheit alter Formen und Kunst bewundern, und Männer, wie Galilei, wie Descartes und Spinoza erhoben mutig das flatternde Banner der Wahrheit und hielten es aufrecht, trotzdem der Haß der Menge, der Bann der Kirche sie bedrohten, in dem festen Bewußtsein, daß Gedanken sich mit Gewalt nicht bekämpfen ließen und die Wahrheit endlich doch siegen müsse. – Als jene Kämpfer sanken, traten andere in die Reihen, aber der Kampf um die Wahrheit währt fort mit ungeminderter Heftigkeit, und gerade dem 18. Jahrhundert und seinen Männern war es vor allem beschieden, der gesunden Vernunft den entscheidenden Sieg zu erringen. – Wäre nur nicht die Vernunft jener Zeit eine allzu gesunde gewesen, hätte nur nicht jede Sache ihre zwei Seiten! –

Mit dem erschütterten Glauben an die Untrüglichkeit aller der Lehrsätze, bei denen sich die Vorfahren beruhigt hatten, und unterstützt von mächtig gesteigerter geistiger Regsamkeit und ungemeiner Verfeinerung und Vervielfältigung der Genußmittel, verbreitete sich, besonders in den höheren Ständen, eine Frivolität, die, alles zersetzend, was einst für gut und schön gegolten hatte, alles hämisch belächelnd, was Herz und Gemüt verriet, ins andere Extrem ging, die Vernunft auf den Gipfel trieb und somit allen Schöpfungen der Zeit den Stempel einer trostlosen Nüchternheit aufdrückt, eine Frivolität, die, in sich durchaus unfruchtbar und jeder höheren sittlichen Idee ermangelnd, zum schroffsten Materialismus führte. –

Wie gesagt, jene Zeit war verständig bis zum Egoismus und macht schließlich, wenn wir sie im ganzen betrachten, auf uns den gleichen abstoßenden Eindruck, wie ein Mensch ohne Herz und Gemüt, auch wenn er mit Gott weiß welchen schönen Gaben des Geistes ausgestattet ist. – Es mochte sich wohl auch unter dem Inventar überwundener Zeiten manch hohes und edles Ideal finden, aber es war der Sinnlichkeit und Selbstsucht lästig, und so wurde es denn um so bereitwilliger aufgegeben, als man damit eine bedrückende Mahnung des Gewissens los wurde. 

Man lief Gefahr, vor lauter Verständigkeit den Verstand und vor lauter Vernünftigkeit die Vernunft zu verlieren. Manche Gedanken großer Denker, die zu tief waren, um so ohne weiteres leichter Weise verstanden zu werden, wurden einfach als unsinnig und verworren bezeichnet und kurz bei Seite geworfen; man brachte sich um viele wirkliche Errungenschaften früherer Zeit, und Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit wurden herrschend. – Eine tiefere Anschauung, bereits angebahnt, ging wieder verloren; das Vorurteil wechselte nur seinen Gegenstand.

Hatte man vorher in kirchlicher Unterwürfigkeit Dinge geglaubt, die sonst nur im Irrenhaus Glauben finden, so verwarf man jetzt ernste und ewige Wahrheiten mit den seichtesten und oberflächlichsten Gründen. Man glaubte nicht mehr an Gespenster, aber auch nicht an den schaffenden Geist, man glaubte freilich nicht mehr an den Teufel, aber auch nicht an Gott. Man durchschaute gar wohl die Nichtigkeit mancher vom Menschen ersonnener Formen, aber man streifte diese nur ab, um sich womöglich unter noch hohleren zu beugen, man leugnete Sitte und Ehre und Recht als wahre Motive im Handeln des Menschen, aber man schob dafür Lust und Egoismus als Triebfeder unter.

Letzteres ist nun freilich Auffassungssache; für manchen mag es zustimmend sein, daß er nur aus Egoismus handelt, für alle nicht, auch wohl nicht zu jenen Zeiten. Aber wie dem nun auch sei, feststehend ist die Tatsache, daß es dazumal Pflicht eines anständigen Menschen und Zeichen von Bildung war, nichts zu glauben, was sich nicht an den fünf Fingern abzählen oder mathematisch vorkonstruieren ließ, und daß man sich ganz ungeheuer weise vorkam, wenn man jedes übersinnliche Element leugnete, wenn man das Leben nach dem Tod – eine Weisheit, die heute die Spatzen von den Dächern pfeifen – als nicht vorhanden oder zum mindesten gleichgiltig ansah. Wer nun noch auf besonderen ésprit à la française Anspruch erhob, der hatte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, seinen mehr oder minder guten Witz in Essays oder andern Schriften gegen alles zu richten, was bisher heilig und unantastbar gehalten worden war, kurz, mit möglichstem Skeptizismus alle Ideale zu besudeln. Das liebte man und das las man, denn das fand man ungemein pikant.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 6291
  • Hinzugefügt am 24. Sep 2014 - 06:51 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

memoiren, cagliostros, paul, bornstein, rationalismus, horizont

Einsteller: sophie-clark

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