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Sammlung: Johann Wolfgang von Goethe

Am Weihnachtsmorgen 1772

1772, Johann Wolfgang von Goethe

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Frankfurt, den 25. Dezember 1772 

 

Christtag früh. Es ist noch Nacht, lieber Kestner, ich bin aufgestanden, um bei Licht zu schreiben, was mir angenehme Erinnerungen voriger Zeiten zurückruft. Ich habe mir Kaffee machen lassen, den Festtag zu ehren und will euch schreiben, bis es Tag ist. Der Türmer hat sein Lied schon geblasen, ich wachte davon auf. Gelobt seist du, Jesus Christus! Ich habe diese Zeit des Jahres gar lieb. Die Lieder, die man singt und die Kälte, die eingefallen ist, macht mich vollends vergnügt. Ich habe gestern einen herrlichen Tag gehabt. Ich fürchtete für den heutigen, aber der hat auch gut begonnen und da ist es mir fürs Enden nicht angst.

Der Türmer hat sich wieder zu mir gekehrt. Der Nordwind bringt mir seine Melodie, als bliese er vor meinem Fenster. Gestern, lieber Kestner, war ich mit einigen guten Jungens auf dem Lande. Unsere Lustbarkeit war sehr laut und Geschrei und Gelächter vom Anfang bis zum Ende. Das taugt sonst nichts für die kommende Stunde.

Doch was kann Gott nicht wenden, wenn es ihm beliebt. Er gab mir einen frohen Abend. Ich hatte keinen Wein getrunken, mein Auge war ganz unbefangen über die Natur. Ein schöner Abend, als wir zurückgingen. Es wurde Nacht.

Nun muss ich Dir sagen, das ist immer eine Freude für meine Seele, wenn die Sonne lang untergegangen ist und die Nacht von Morgen heraus nach Norden und Süden um sich gegriffen hat und nur noch ein dämmernder Kreis von Abend herausleuchtet.

Sieh, Kestner, wo das Land flach ist, ist es das herrlichste Schauspiel. Auf der Brücke hielt ich still. Die düstere Stadt zu beiden Seiten, der stilleuchtende Horizont, der Widerschein im Fluss machte einen köstlichen Eindruck auf meine Seele, den ich mit beiden Armen umfasste.

Ich lief zu den Gerocks, ließ mir Bleistift geben und Papier und zeichnete zu meiner großen Freude das ganze Bild so, wie es in meiner Seele stand. Sie hatten alle Freude mit mir darüber, empfanden alles, was ich gemacht hatte und da war ich erst gewiss. Ich bot ihnen an, darum zu würfeln, sie schlugen es aus und wollten, ich soll es Mercken schicken. Nun hängt es hier an meiner Wand und freut mich heute wie gestern.

Wir hatten einen schönen Abend zusammen, wie Leute, denen das Glück ein großes Geschenk gemacht hat und ich schlief ein, den Heiligen im Himmel dankend, dass sie uns Kinderfreude zum Christ bescherten.

Als ich über den Markt ging und die vielen Lichter und Spielsachen sah, dachte ich an euch und meine Buben.

Hätt ich bei euch sein können, ich das Fest mit Wachsstöcke illuminieren wollen, dass in den kleinen Köpfen ein Widerschein der Herrlichkeit des Himmels geglänzt hätte. Die Torschließer kommen vom Bürgermeister und rasseln mit den Schlüsseln.

Das erste Grau des Tages kommt mir über des Nachbarn Haus und die Glocken läuten eine christliche Gemeinde zusammen. Wohl, ich bin erbaut hier oben auf meiner Stube, die ich lang nicht so lieb hatte wie jetzt.

 

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  • Hinzugefügt am 07. Nov 2014 - 19:18 Uhr

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Einsteller: sophie-clark

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