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Sammlung: Karl Hillebrand

Aus dem Jahrhundert der Revolution Teil 01

1902, Karl Hillebrand


 

 

I. Montesquieu.


Wie fast alle Provinzen Altfrankreichs, mehr als die meisten, hatte die Guyenne im vorigen Jahrhundert noch ihre Sonderexistenz gewahrt. Das Land war erst spät an das Königreich gekommen, und die Spuren der langjährigen englischen Herrschaft hatten sich vor zweihundert Jahren, als Montesquieu geboren ward, haben sich heute noch nicht ganz verwischt. Obschon ihm die weise Politik der französischen Monarchie jeden Rest staatlicher Unabhängigkeit genommen hatte, war es doch in jeder andern Beziehung ein Reich für sich: seine Statthalterei glich einem Hofe, namentlich wenn der königliche Gouverneur, wie in Montesquieu's Jugend, ein natürlicher Sohn Jakob's II. war; es hatte seinen eigenen Adel, sein Parlament, das erste des Königreiches nach dem hauptstädtischen, seine Akademie, die älteste nach denen von Paris und Caen; seine literarische Überlieferung, wie später seine eigene rednerische Schule: ja im häuslichen Verkehr hatte man noch bis in die erste Hälfte unseres Jahrhunderts seine eigene Sprache; und – Paris war weit.

Das Leben war ein heiteres in diesem gesegneten Lande: die Nähe des Weltmeers, zu dem der breite Strom bequem hinunterführte, wahrte die weite Aussicht, wirkte abgeschlossenem Provinzialismus entgegen, erinnerte den Bordelesen an das, was der Pariser so gerne vergißt, daß es auch außer Frankreich noch Land und Leute giebt. Ein alter, verbreiteter Wohlstand, gegründet auf den unmittelbaren Umgang des Menschen mit der Natur, d. h. auf Reichthum des Bodens und überseeischen Handel; ein mildes und doch belebtes Klima; eine anmuthige mannigfaltige Landschaft; eine reiche Auswahl edelster und kräftigster Bodenerzeugnisse; ein leichter Verkehr zu Wasser und auf ebenen oder doch mäßig steigenden Landstraßen – all' das erlaubte Fülle des Lebensgenusses, indem es zugleich erkünstelte Bedürfnisse wie künstliche Befriedigung derselben entbehrlich machte. Das Temperament des Gascogners ist lebhaft, ohne leidenschaftlich zu sein; sein Verstand klarer als tief; sein Witz hat mehr Körper und Farbe als der des Nordfranzosen; die ihm angeborne Leichtigkeit des Sichaneignens und Wiedererzeugens, die man Talent nennt, verleitet ihn nicht so oft zur Trägheit oder Nachlässigkeit als den Südländer, weil ihm der französische Amour-propre die Wage hält, welcher nicht gerne sieht, daß eine Leistung unter dem Können bleibe. Die Gascogne rühmt sich keines Metaphysikers noch eines jener Dichter, welche die zartesten und tiefstliegenden Saiten des Herzens berühren: aber der liebenswürdigste Lebensweise und Geistesepikuräer, Michel de Montaigne, ist ein Kind der Garonne, und der Gelegenheits-Dichter, der Redner, der Publizisten zählt Bordeaux mehr als irgend eine Stadt Frankreichs.

Der größte dieser Publizisten, Montesquieu, gehörte, wie Montaigne und dessen Freund La Boëtie, dem Parlamente von Bordeaux an. Die französischen Parlamente waren thatsächlich das Correctiv des Absolutismus in Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts; und wenn Montesquieu von der Monarchie spricht, unter der das Gesetz herrscht, im Gegensatze zum Despotismus, wo nur die Laune des Staatsoberhauptes gilt, so hat er stets die französischen Parlamente im Sinne. Der Gerichtsadel ( la noblesse de robe) ergänzte sich seit dem Mittelalter meist aus dem reichgewordenen Bürgerstand, aus dem er hervorgegangen, und der Waffenadel sah – und sieht – nicht ohne Hochmuth auf die Robins herab, selbst wenn sie wie die Pasquier, die Molé schon im 16. Jahrhundert die Robe mit Ruhm getragen. Auch Montesquieu's Adel reichte ins 16. Jahrhundert zurück, und seine zwei Großväter wie sein Onkel waren sogar Präsidenten à mortier – und das Parlament vonBordeaux hatte nur zwei Présidents à mortier, einen Premier président und neun Räthe, ohne die »stehenden« Mitglieder zu rechnen. Montesquieu selber ward Rath mit fünfundzwanzig, Präsident mit siebenundzwanzig Jahren: denn die Stellen waren erblich. Er hatte, wie die meisten seiner Standesgenossen, einen sehr ausgesprochenen Adelsstolz, aber wie die meisten seiner Standesgenossen auch ein sehr lebhaftes Gefühl dessen, was er seiner Würde schuldig war. Nicht nur äußerlich trug er dafür Sorge, daß sein Name nicht aussterbe oder die, welche ihn tragen würden, nicht in unangemessene Dürftigkeit sänken; auch in der eigenen Erziehung, wie in der seines Sohnes, in der Unbescholtenheit des Lebens, der Erfüllung seiner Pflichten als Richter und als Großgrundbesitzer, in dem Verkehr mit den vornehmsten Geistern des Alterthums, in der Gewohnheit höheren Interessen zu leben, bethätigte er das » noblesse oblige«. Und wenn die Individualitäten von Montesquieu's Schlage nicht gerade nach Dutzenden zählen, der Typus wenigstens lebt noch heute in Hunderten von Exemplaren in Frankreich.

Die französische Magistratur ist jetzt eben in einer tiefen Umwandlung begriffen. Von allen Fehlern und Versündigungen, welche das zweite Kaiserreich begangen, ist wohl nicht die geringste die, diese Umwandlung herbeigeführt zu haben. Man erkennt darin ganz den unhistorischen Geist des dritten Napoleon, so ungleich seinem Oheim, der recht im Gegentheil Alles gethan, um der französischen Magistratur, nachdem er sie jeder politischen Macht entkleidet, das gesellschaftliche Ansehen zu sichern, das nur die Tradition giebt. Mit diesem Ansehen hatte sich auch die Unabhängigkeit auf den Richterstand der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts vererbt. Jene Tradition ist aber abgebrochen worden durch die willkürliche Versetzung der Richter von einer Gegend in die andere und durch das massenhafte Eindringen bedürftiger und somit gefügiger Neulinge, welche persönlicher Ehrgeiz, nicht Standesehrgeiz treibt: was ist ihnen der Stand, in dem sie selber als Fremdlinge angesehen werden? Die rohe Hand der seit dem Sturze der konservativen Republikaner (1879) an's Ruder gekommenen demokratischen Republikaner hat denn das Zerstörungswerk in wenig Monaten rücksichtsloser »Epuration« mächtig gefördert. Die kommende Generation wird den altfranzösischen Richterstand nur noch von Hörensagen kennen. Noch vor dreißig Jahren, wie zur Zeit Montesquieu's, gehörten die Richter einer Provinz fast ausschließlich dieser Provinz an; wie damals, wenn auch nicht mehr erkauft, noch ererbt, sondern erdient, blieben die Stellen in gewissen Familien; nur wer in solche Familien hineinheirathete oder aus angesehenem Bürgerhause ansehnliches Vermögen als Bürgschaft seiner Unabhängigkeit mitbrachte, füllte die nach und nach entstehenden Lücken. Heute rekrutiert sich der Richterstand fast wie die Verwaltung, aus Kreaturen der Regierung. Die alte Überlieferung von Selbständigkeit, klassischer Bildung, innerer Würde verliert sich immer mehr, und die äußere Würde, welche der Stand noch immer um sich hängen zu müssen glaubt, ist ein schlechter Ersatz dafür. Was früher unbewußt angenommene, von den Voreltern überkommene Haltung war, wird mehr und mehr bewußte Heuchelei. In dem Richter hatte sich so zu sagen das französische Wesen getheilt: die kindliche Heiterkeit hatte ihr Theil gesondert vom männlichen Ernste. Hier strengste, würdevolle Haltung, dort anmuthiges Sichgehenlassen. Fast kein Magistrat – so nennen die Franzosen nicht die Stadtbehörde, sondern die Gerichtsbeamten – der nicht sein Madrigal zu machen, beim Nachtisch ein Liedchen zu singen, im Salon einer Schönen mit Witz und Keckheit den Hof zu machen gewußt. Sobald er aber den rothen Talar (die robe) angelegt, machte der Privatmensch dem öffentlichen, der Einzelne der Obrigkeit Platz. So ist's nun freilich auch heute noch; namentlich gilt das libertin comme un robin in unseren Tagen wohl noch mehr als in denen Montesquieu's; aber man fühlt jetzt den Widerspruch, man schämt sich desselben, man sucht ihn zu verbergen, wo man in früheren Zeiten ganz unbefangen, fast ungewollt, vor der Öffentlichkeit das Standesgefühl und die Standeswürde herauskehrte, daheim und unter Freunden nur Mensch, ganz Mensch war im Sinne des menschlichen Jahrhunderts. So berührt uns denn auch jener Widerspruch nie verletzend: wir finden ganz natürlich, daß Präsident Hénault Mme. du Deffand's Geist und Liebe genieße, daß Präsident de Brosses seiner unverwüstlichen guten Laune in Venedig und Florenz den Zügel schießen lasse, wie Präsident de Montesquieu seine gutmüthige, aber keineswegs unverfängliche Satire in den Lettres persanes über die französische Gesellschaft und ihre Sitte ausgießt; nie kommt es uns in den Sinn, darum ihre richterliche Unbestechlichkeit, Kaltblütigkeit, Besonnenheit, Menschen-, Geschäfts- und Gesetzeskenntnis in Zweifel zu ziehen.

Montesquieu war zweiunddreißig Jahre alt und seit sechs Jahren verheirathet, seit fünfen Präsident, als er, natürlich anonym und in Holland, jedoch unter Mitwissen aller Bekannten, seine Lettres persanes veröffentlichte (1721). Sein Leben war bis dahin ganz das normale Dasein eines jungen Mannes aus dem Gerichtsadel der Provinz gewesen; erst einige Jahre nach der Veröffentlichung seiner Erstlingsschrift gestaltete sich dieses Leben als ein größeres, weiteres, ward der Schauplatz desselben verlegt. Obschon er seine Gymnasialbildung im Norden in der berühmten Oratorieranstalt von Juilly bei Meaux, erhalten hatte, wo er nahezu elf Jahre verweilt (1700 bis 1711), so lebte er sich doch wieder in der Heimath ein, deren Aussprache er nie ablegen sollte, weil er, wie d'Argenson meinte, »es so zu sagen unter seiner Würde fand, sich darin zu korrigieren«. »Montesquiou« – so nannte er sich stets selber – studierte seine Rechte in Bordeaux, das er bis an sein Ende »Bourdeaux« schrieb, machte dort den Damen den Hof, verheirathete sich »standesgemäß«, ohne indessen jene leichtere Beschäftigung aufzugeben, dichtete schlechte Sonette, machte naturwissenschaftliche Forschungen und Mittheilungen, die zur Voraussetzung berechtigen, daß Newtons Entdeckungen noch nicht bis an die Ufer der Garonne gedrungen waren, las die alten Römer und wachte über seine Weinberge, sprach Recht und hielt schöne Mercurialen (Inauguralreden), deren eine bis zum Ausbruch der großen Revolution alljährlich niedergedruckt wurde; vor allem aber bemühte er sich um die Akademie von Bordeaux, die zeitlebens sein Schoßkind blieb. Er stiftete Preise, die sie zu vertheilen hatte, verwandte sich für ihre Interessen, wo dieselben bedroht waren, schrieb zahlreiche Aufsätze für sie, bald historischen, bald juristischen Inhalts, oft auch naturwissenschaftliche Abhandlungen, oder was der Provinzialdilettant für naturwissenschaftlich hielt.

Fortan aber, und bald nach dem großen Erfolg der Lettres persanes, den er in den Pariser Salons in vollen Zügen genossen und noch durch seinen, eben auch nicht sehr tugendhaften, Temple de Gnide vermehrt hatte, duldete es ihn nicht länger in der Hauptstadt der Guyenne, und trotz seiner schönen Freundinnen und seiner Familie, die er wohl liebte, wie er selbst sagte, aber indem »er sich in den Kleinigkeiten des täglichen Lebens freihielt« trotz so vieler gelehrter und witziger Freunde, trotz seiner geliebten Akademie sogar, siedelte er nach Paris über, wo er fortan den Winter zubrachte, während er im Sommer in seinem Schlosse bei Bordeaux verweilte. Die Beweggründe waren verschiedener Art: er war des Richteramtes müde, das ihm viele Zeit raubte und ihm nicht gestattete, an dem schon in's Auge gefaßten Hauptwerke seines Lebens zu arbeiten; er hatte sich in der Hauptstadt einem Kreise ausgezeichneter Männer angeschlossen, welche im Hotel des Präsidenten Hénault jene unter dem Namen des Club de l'entresol bekannte Gesellschaft gebildet hatte, die später derAcadémie des sciences morales et politiques zum Muster diente; er war wieder einmal verliebt und diesmal ernstlicher denn gewöhnlich; seine nicht eben spröde Geliebte aber bewohnte das Hotel Soubise und war keine andere als die schöne Enkelin des großen Condé, die vielberufene Mlle. de Clermont, für welche er den Temple de Gnide gedichtet hatte; endlich,last not least, man hatte ihn nicht in die Académie française aufnehmen wollen, weil er nicht Paris bewohnte, und Montesquieu war zu sehr Franzose, als daß er hätte ruhig schlafen können, ohne diese höchste Auszeichnung zu erlangen. So verkaufte er denn seine Stelle, richtete sich in einem Zwischenstück der rue St. Dominique, nicht weit von Mme. du Deffand's St. Joseph – dem heutigen Kriegsministerium – ein und ward mit siebenunddreißig Jahren Pariser (1726). Doch nur zum Theil; denn die Hälfte seines Daseins gehörte von nun an seiner geliebten la Brède, wo er geboren und aufgewachsen, deren Namen er bis zu seinem siebenundzwanzigsten Jahre getragen, wohin er seinen größten Schatz, seine Büchersammlung, geflüchtet, deren Garten er in den ersten englischen Park Frankreichs umwandelte, deren Ertragsgüter er auszudehnen, vor allem aber durch verbesserte Bewirthschaftung ergiebiger zu machen nicht müde ward. Und wer das mittelaltrige Schloß gesehen hat – es stammt aus dem 13. Jahrhundert – mit seinem breiten Graben, seinem massiven Thurm, seinem herrlichen luftigen Büchersaal, seinem dichten Gehölz, seinen üppigen Wiesen, seinen lachenden Durchblicken, kann's ihm nicht verdenken, wenn er am liebsten dort verweilte unter seinen Büchern und seinen Bauern; selber fast ein Bauer, wie ihn einst zwei neugierige Engländer dort antrafen, im Kittel, einen Rebpfahl auf dem Rücken, die Schlafmütze auf dem Kopfe. Drei Tage lang hielt er sie bei sich, drei Tage lang gefesselt durch seine unversiegbare, lebendige, ideenreiche Unterhaltung, in der sich der Bauer gar bald als der feinste Geistesaristokrat entpuppte.

War schon diese Existenz eines reichen Landedelmannes im vorigen Jahrhundert etwas Seltenes in Frankreich, so war's noch mehr das Reisen eines französischen Aristokraten, und gar das Reisen, nicht um sich zu amüsiren wie der Präsident de Brosses, sondern um etwas von den Fremden zu lernen. Montesquieu verließ im Frühjahr 1728 Paris, wo er den Winter zugebracht, und reiste mit Lord Waldegrave, dem britischen Gesandten, der sich auf seinen neuen Posten nach Wien begab, in kleinen Tagereisen durch Deutschland, nach Österreich und Ungarn. Von dort ging's, diesmal in Begleitung Lord Chesterfield's, nach Venedig und Florenz, wo ihm, wie er meinte, zuerst die Augen über das wahre Wesen der Kunst aufgingen. Der Ort wäre wohl dazu angethan gewesen; ob aber Montesquieu nicht, wie sein College de Brosses vor ihm und Wolfgang Goethe nach ihm, etwas ganz anderes in Florenz bewunderte, als was wir dort genießen, erscheint zweifelhaft. Auch ist es erfreulich zu erfahren, daß Montesquieu sich am Arno nicht auf Kunststudien beschränkt, sondern der schönen Marchesa Ferroni, die damals den Scepter der florentinischen Gesellschaft hielt, eine ganz besondere Aufmerksamkeit widmete. Mehr noch fesselte ihn Rom. Montesquieu hatte stets eine geheime wahlverwandtschaftliche Vorliebe für die Vaterstadt der Rechtswissenschaft und das Muster des Aristokratenstaates gehabt. In Rom selbst war es, wo der Plan zu seinen Considérations sur la grandeur et la décadence des Romains in ihm reifte. »Ehe er Rom verließ, verabschiedete er sich vom heiligen Vater. Benedict XIII. sagte ihm: »Lieber Präsident, Sie sollen ein Andenken an meine Freundschaft mit sich nehmen. Ich erlasse Ihnen und Ihrer ganzen Familie auf lebenslang das Fasten.« Montesquieu dankt dem Papste und verläßt ihn. Am folgenden Tage bringt man ihm die Dispensbulle und die Rechnung der Dateriakosten. Der stets sparsame Gascogner gab dem Überbringer das Patent zurück und fügte hinzu: »Der Papst ist ein braver Mann; sein Wort genügt mir und ich hoffe auch dem lieben Gott.«

Von Italien wandte sich Montesquieu über Turin, den Rhein entlang durch Holland nach England, wo er bei Lord Chesterfield abstieg und im Ganzen anderthalb Jahre verweilte. Bald kannte er die ganze Aristokratie – auch Lord Marlborough's Schwiegersohn, der ihm einen höchst unzarten Studentenstreich spielte (er übergoß ihm den Kopf mit einem Eimer kalten Wassers), ohne daß der Präsident es übel genommen hätte, – und viele schöne Damen, bei denen er sein Englisch versuchte, das dem gutmüthigen Franzosen noch mehr Gelächter zugezogen zu haben scheint, als der brutale Scherz, ein echt englischer practical joke, mit dem ihn sein edler Wirth bewillkommnet hatte. Auch am Hofe wurde der Autor der Lettres persanes empfangen, die Royal Society machte ihn zum Ehrenmitgliede, wie früher die Akademie von Cortona, auf den Ruf seiner Abhandlungen für die Académie de Bordeaux hin. Er sah noch Swift und Pope, ging viel mit dem allmächtigen Walpole um, besuchte das Parlament recht fleißig und trotz aller seiner Bewunderung für das Regierungssystem Englands, sah er sehr wohl, »daß die Minister an nichts dachten, als über ihre Feinde zu siegen, und daß sie ihr Land verkaufen würden, um zu diesem Ziele zu gelangen.« Immerhin war der Aufenthalt in England entscheidend für Montesquieu, wie er es für Buffon gewesen war, wie er's für Voltaire werden sollte. Keiner aber hat das Wesen Englands besser erfaßt, als Montesquieu, der mütterlicherseits englisches Blut in den Adern hatte und in einem einst englisch verwalteten Lande geboren und erzogen war. Eben weil er das Wesen des englischen Staates so richtig aufgefaßt, ist Montesquieu's Lehre in Frankreich, trotz so vieler Schüler, nie über die Epidermis eingedrungen. Man nahm die Theorie der Trennung der drei Gewalten an, das unverantwortliche Königthum, die parlamentarische Gesetzgebung, die zwei Kammern sogar, aber man vergaß oder man wollte nicht hören, daß Alles das nur lebensfähig sei, wo eine bevorrechtete Aristokratie besteht: »Schafft in einer Monarchie die Vorrechte der Herren, des Klerus, des Adels und der Städte ab, und Ihr werdet entweder einen Volksstaat oder eine Despotie haben.« Letzteres hat man denn auch reichlich gehabt in Frankreich, ersteres versucht man gerade jetzt; die Liberalen und die Doktrinäre aber, die eine englische Verfassung ohne englische Verhältnisse geträumt, haben die Wahrheit des Montesquieu'schen Satzes schmerzlich genug erfahren müssen.

Nach drei Jahren Abwesenheit (1731) kehrte Montesquieu in seine geliebte la Brède zurück. Fragte man ihn, wie er's da draußen gehalten habe, so antwortete er: »Wie die Leute selber: in Frankreich schließe ich mit Jedermann Freundschaft; in England mit Niemand; in Italien mache ich Allen Komplimente und in Deutschland trinke ich mit Jedermann.« Wenn man ihn aber fragte, wo er am liebsten sein möchte, so erwiderte er: »Deutschland sei zum Reisen gemacht, Italien zum Aufenthalt, England zum Denken und Frankreich zum Leben.«

Die übrigen vierundzwanzig Jahre Montesquieu's bis zu seinem Tode (1755) waren ausgefüllt durch geselligen Verkehr, in dem er ein Meister war, Bewirthschaftung seiner Güter, was er auch nicht übel verstanden zu haben scheint, und Abfassung seiner zwei unsterblichen Werke, der »Betrachtungen über die Größe und den Verfall der Römer« und des »Geistes der Gesetze«.

Montesquieu war in die Freundschaft vernarrt ( je suis amoureux de l'amitié, sagt er) und er liebte die Unterhaltung, wie sie nur liebt, wer darin glänzt oder darin Nahrung findet. Er that beides. In zahlreicher Gesellschaft war er wie alle andern, wenn man Lord Chesterfield Glauben schenken darf; aber »im gewählten Kreise war niemand liebenswürdiger, geistreicher, gab sich niemand mehr« ( personne n'etait ... plus tout à tous). Er belebte sich ungemein, die Witzworte sprudelten aus seinem Munde und sein Witz war nie verletzend wie der Voltaire's. Die Damen fanden großes Gefallen an seinem Gespräch und, obwohl sie in jenen Tagen schon etwas Derbes vertrugen, war Montesquieu's Scherz nie gemein. Seine Harmlosigkeit machte, daß er niemandem im Wege war, wenn er glänzte; aber er wußte auch sich zurückzuziehen, andere gelten zu lassen; verstand zu hören und hörte gern. »Der Mann,« sagte die Herzogin von Chaulnes mit jener unsagbaren Nuance des hohen Hofadels gegen den Gerichtsadel, »der Mann kam in Gesellschaft, um sein Buch zu machen: er behielt alles, was sich darauf bezog.« Als jene Engländer ihn in seiner Einsamkeit von la Brède aufsuchten, wurde er nicht müde, sie über ihre Reisen, namentlich über den Orient auszufragen, und so sein Leben über; von Allem suchte er zu lernen; selbst aus schlechten Romanen und schlechten Gedichten, obwohl der alte Fuchs, der sich viel und nicht glücklich im Dichten versucht hatte, eine große Verachtung für die Verse herauszuhängen liebte.

Selten war ein Mensch durch Naturanlage und Verhältnisse mehr zum edelsten Epikuräismus befähigt als der Präsident; und er war ein bewährter Epikuräer. Er kannte sich selbst und bildete sein Genußtalent zur Virtuosität aus. Arbeit und Mildthätigkeit aber waren ihm so hohe Genüsse als geistreiche Unterhaltung, anregende Lektüre und seine Tafel. »Meine Maschine ist so glücklich zusammengesetzt,« sagt er selber, »daß ich von allen Gegenständen lebhaft genug ergriffen werde um sie zu genießen, nicht lebhaft genug um darunter zu leiden.« Und wie jedem echten Genußkünstler waren ihm die einfachsten, ersten Gaben der Natur auch die Gegenstände des lebhaftesten Genusses. Der Heitere nahm stets, wie die Alten, die Gegenwart, das Seiende als das Selbstverständliche, zu Genießende, verdarb sich nie das Leben mit Wünschen nach dem Unerreichbaren, mit Gram ums Unabänderliche. »Ich erwarte den Morgen mit einer inneren Freude, das Licht zu sehen; ich sehe das Licht mit einer Art Entzücken und bin den ganzen übrigen Tag zufrieden.« Auch gemeinnützige Thätigkeit war ihm ein Genuß; aber ehrgeizig war er nicht und es lag ihm ferne sich für einen Helden der Bürgertugend auszugeben. »Ich bin ein guter Bürger, schreibt er einmal, aber in welchem Lande ich auch geboren wäre, wäre ich's ebenso gewesen. Ich bin ein guter Bürger, weil ich immer zufrieden mit dem Zustande gewesen bin, in dem ich mich befand.« Doch war diese Zufriedenheit nicht nur eine passive Tugend; sie war auch Verdienst, Ergebnis weiser Selbstbeschränkung und wahrer Bescheidenheit. »Ich danke dem Himmel dafür, daß er, der mich in allem mittelmäßig angelegt hat, meiner Seele ein wenig Mäßigung hat verleihen wollen.«

Man hat von Montesquieu gesagt: er habe einen englischen Charakter und einen französischen Geist gehabt. Solche bestimmte Rubriken in psychologischen Dingen sind immer und nothwendig ungenau. In Montesquieu insbesondere waren »die Elemente so gemischt«, um mit Shakespeare zu reden, daß es schwer ist, sie auseinanderzuhalten. Doch herrscht der Franzose, speziell der Gascogner, durchaus vor in seinem Wesen; das Englische an ihm ist mehr das Zufällige, Äußere: die Lebensstellung, allerdings auch die Lebensführung, welche indeß mehr dem in England herrschenden Stande, als England angehört; die Sympathie freilich auch mit englischen Ideen. Allein er ist ganz Franzose in der Sorgfalt, mit der er die Form bearbeitet, die er diesen Ideen giebt, in der Lust am Generalisiren oft nach unzureichenden Thatsachen: in der Lebendigkeit des Temperaments, in der Schlagfertigkeit des Witzes, in der unentwurzelbaren Achtung vor der Sitte, – einer Achtung, die dem Engländer stets etwas Überwindung kostet, dem Franzosen aber leicht ist wie eine zweite Natur. Montesquieu verheirathet sich, wie's die Sitte will, stirbt im Schoße der Religion, wie's die Sitte will, unterwirft sich der weltlichen wie der geistlichen Autorität ohne Zaudern und Murren, wo's nöthig ist um eine äußerliche Ehre, die zur Stellung gehört, zu erhalten: und das alles hindert ihn nicht, sich über Ehe und Kirche, weltliche und geistliche Obrigkeit lustig zu machen, »wo es sich geziemt,« d. h. wo es am Platze ist: denn der Takt verläßt ihn nie. Montesquieu hat eine Abhandlung über Konsideration und Reputation geschrieben, die leider verloren scheint, von der aber viele und ausgedehnte Citationen in einem Blatte der Zeit, welches eine Rezension der Schrift gab, erhalten sind. Darin sagt er ganz offen: »Ein Ding, das uns mehr als alle Laster die Konsideration entzieht, ist die Lächerlichkeit. Eine gewisse linkische Weise entehrt eine Frau weit mehr als eine Galanterie.« Das spricht der Franzose; der Philosoph fügt hinzu: »Da die Laster fast allgemein sind, ist man übereingekommen, das Kriegsrecht gegen sie zu wahren ( de se faire bonne guerre); aber da jede Lächerlichkeit persönlich ist, giebt man ihr kein Quartier.« Wie sehr es ihm aber um die Konsideration zu thun ist, gesteht er eben so unumwunden: »Ein Mann aus gebildeten Kreisen (so übersetze ich das honnête homme Altfrankreichs), der in der Gesellschaft angesehen ist, ist imglücklichsten Zustande, in dem man sein kann. Die Konsideration trägt viel mehr zu unserem Glücke bei, als Geburt, Reichthum, Ämter, Würden ...« Wer ihrer theilhaftig ist, »genießt alle Augenblicke die Rücksichten derer, die ihn umgeben: er begegnet in der geringsten Bewegung einem Zeichen der allgemeinen Achtung, seine Seele ist aufs wohlthuendste (délicieusement) in jener Befriedigung erhalten, welche die Befriedigungen fühlbarer macht und in jenem Vergnügen, das die Vergnügen selbst erheitert.« Auch versäumt er, als echter Franzose, nicht so leicht etwas, das ihm jene »wohlthuende« Empfindung verschaffen könnte; was thut er nicht, um in die Akademie zu kommen! Wie bemüht er sich, seine Baronie zu einem Marquisate erheben zu lassen! Aber er ist konsequenter als die meisten seiner Landsleute: er rühmt die Gleichheit nicht; er preist die Auszeichnungen.

Dabei hat seine Eitelkeit nichts Verletzendes für andere. Montesquieu war nicht neidisch, wie z. B. Voltaire, dem der hochgeborene »konsiderirte«, Montesquieu und sein Ruhm zeitlebens ein Dorn im Auge war; der die Lettres persanes»leichte Waare, ein ärmlich Buch« ( c'est du frétin, c'est un piètre livre) nannte; die »Größe und den Verfall« wie den »Geist der Gesetze« hämisch kritisierte, ohne sie nur recht gelesen zu haben. »Voltaire hat zu viel Geist, um mich zu verstehen, meinte Montesquieu. Alle Bücher, die er liest, macht er sich selber; worauf er billigt oder mißbilligt, was er gemacht hat.« In der Privatunterhaltung entschlüpfte es ihm allerdings zu sagen: »Voltaire ist vielleicht der Mensch, der die meisten Lügen in der kürzest möglichen Zeit sagt.« Doch griff er nie Voltaire's Werke an, wie er sich überhaupt auf Kritik nicht einließ. Das hätte ihn in mißliebige Zänkereien hineingezogen, und er liebte zu sehr seine Ruhe, war zu vornehm, um wie der beweglich bissige Emporkömmling an solchem Witzspiel mit scharfer Waffe sein Gefallen zu finden. Montesquieu ließ stets den Knopf am Fleurett.

Die Gutmüthigkeit und der Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, waren zwei hervorstechende Züge im Wesen des Präsidenten. »Ich verlange ja nichts von dieser Welt, sagte er, als daß sie sich ruhig um ihre Achse drehe.« Freilich, wenn man ihn nicht in Ruhe ließ, wußte er zu antworten, so namentlich, wenn man ihn in seiner geliebten La Brède belästigte, wie's wohl zu Zeiten kommen mochte, wenn unbequeme Nachbarn, oder übereifrige Regierungsbeamten ihm etwas vorschreiben wollten. So klagte der Intendant dem Generalcontrolleur – wir würden sagen der Oberpräsident dem Minister – der Sieur de Montesquieu pflanze Weinstücke, wo es nicht erlaubt sei und vertheidige sein Recht durch impertinente Denkschriften: »Da es Herrn von Montesquieu nicht an Witz fehlt, geniert er sich nicht, Paradoxe aufzutischen, und schmeichelt sich, es werde ihm ein Leichtes sein, mit ein paar glänzenden Argumenten die albernsten Dinge zu beweisen. Ich bitte Sie, mir zu erlauben, nicht auf seine Denkschrift zu antworten und nicht in die Schranken gegen ihn zu treten: Er hat nichts zu thun, als Gelegenheiten auszuspüren, um seinen Witz zu üben. Ich habe ernstere Dinge, die mich beschäftigen.« Montesquieu gewann auch diesen Prozeß wie fast alle und als echter Gascogner verkaufte er seinen guten englischen Freunden alljährlich das Gewächs, das er so vermehrt hatte. Denn Montesquieu war ein so trefflicher Hauswirth, als er ein thätiger und einsichtiger Landwirth war. Am Ende seines Lebens hatte er seine Einkünfte nahezu verdoppelt. Seine Ordnung war sprüchwörtlich, und er schenkte nicht so leicht einen Heller, auf den er ein Recht hatte. Dabei war er – auch darin ein echter Franzose – die Mäßigkeit selber: frühstückte mit einem Glas Wein und einem Stückchen trocknen Brots und soll auch seine Kutschenpferde nicht viel fetter gehalten haben als Harpagon die seinen hielt, wenn man anders Molière Glauben schenken darf. Seine Kleidung war beinahe ärmlich. Auch konnte er nie Ausdrücke finden, die stark genug waren, seinen Gefühlen über das Laster der Verschwendung Ausdruck zu geben; und wenn die in Amerika reichgewordenen Bordelesen an dem Strand der Garonne ihre Schätze aushängten, meinte er, »sie hängten ihre Dummheit aus«.

Allein man würde weit fehl gehen, wenn man glaubte Montesquieu sei geizig gewesen. Herr Vian erzählt uns vier vollständig beglaubigte Anekdoten über seine Liberalität, deren eine bewunderungswürdiger ist als die andere: vor allem war er gegen seine Bauern die Güte selbst, verlangte nur geringe Pacht und, obschon er in der Theorie und in der Unterhaltung die größte Strenge gegen die Wilddiebe predigte, drückte er in der Praxis gar oft ein Auge zu. So war er auch unbarmherzig in Worten gegen die Projektenmacher; aber er unterstützte mit klingender Münze den armen Erfinder eines Chronometers, der ihm in den Wurf kam. Als er einst erfuhr, die Bauern auf einem seiner entfernten Güter litten an Hungersnoth, weil der Krieg die Getreideeinfuhr gehindert, reiste der alte Herr mitten im Winter hin, versammelte die vier Pfarrer der Ortschaften, übergab ihnen alles Getreide in seinen Lagern zur Vertheilung – für mehr als 6000 Livres – und nachdem sie ihm das Geheimnis versprochen, machte er sich wieder davon. Im allgemeinen liebte er nicht bedankt zu werden. Es giebt eine Geschichte aus seinem Leben, die auch dramatisch behandelt worden ist, wie er einem armen Jungen, von dem er zufällig erfahren, sein Vater schmachte als Sklave in Tetuan, diesem seinen Vater losgekauft, ohne daß der Freigelassene noch sein Knabe je den Namen des Wohlthäters hätte erfahren können; und Herr Vian, der gern seine christlichen Gefühle an den Tag legt, meint, St. Vincenz von Paula wäre gewiß zartfühlender gewesen, hätte sich dem Danke nicht entzogen. Auch der keineswegs christliche Sainte-Beuve macht seine Vorbehalte gegen diese Art von Wohlthätigkeit. »Ehren wir, achten wir die natürliche und verständige Freigebigkeit; aber erkennen wir doch an, daß dieser Güte und dieser Mildthätigkeit eine gewisse Flamme fehlt, wie diesem ganzen Geist und dieser Gesellschaftskunst des 18. Jahrhunderts eine Blüthe der Phantasie und Poesie fehlt. Nie sieht man in der Ferne das Blau des Himmels noch den Schimmer der Sterne.« So unbestreitbar die zweite Hälfte dieses Satzes, so zweifelhaft ist die erste Hälfte: es sind die zartesten Seelen, welche in der Furcht, ihrer Bewegungen nicht Meister sein zu können, sich zu verbergen suchen, wenn die Thräne quillt, oder sie mit einem Scherz weglachen, und wenn Montesquieu mit seiner Unempfindlichkeit renommierte: »Ich war der Freund aller Geister und der Feind aller Herzen,« so geschah es offenbar nur, um sich gegen die Weinerlichkeit seiner Zeit zu wehren: denn das 18. Jahrhundert war vielleicht nur deshalb so unkünstlerisch, weil seine Empfindsamkeit eine zu wirkliche war, das Subjekt zu sehr beherrschte, um ihm zu erlauben, sie künstlerisch zu objektieren. Erst Goethen war es gegeben, dieser Empfindsamkeit Herr zu werden, und ihm ist es denn auch gelungen, sie dichterisch darzustellen.

Das 18. Jahrhundert war ein wenig wie Montesquieu; gar strenge in der Theorie, in der Praxis gerne nachsichtig: in der Form war alles Konvention; im Wesen war oft das Menschliche allein giltig. Es ging mit fast allem wie mit Montesquieu's Heirath. Die Gesetze erklärten die gemischten Ehen für Konkubinate, die daraus entsprossenen Kinder für Bastarde, verwiesen die Leichen der so Verheiratheten auf den Schindanger; in Wirklichkeit heirathete ein Präsident des Parlaments von Bordeaux, der mit Anwendung solcher Gesetze betraut war, eine Protestantin und die es blieb. Heute würde Montesquieu in Bordeaux keinen Priester finden, der ihn traute und begnügte er sich mit der Civilehe, so würde Mme. de Montesquieu nicht in der Gesellschaft empfangen werden. Ich will nicht sagen, daß es nicht besser wäre, gesetzliche Freiheit zu haben als gesellschaftliche: ich will nur daran erinnern, daß die letztere größer war im 18. Jahrhundert als heute. Von jenem gilt wirklich das Wort von den »schlechten Gesetzen, welche der Mißbrauch korrigiert«. Man denke an die Akademie: und was einer dem ersten Gelehrten Frankreichs, Herrn Littré, vor zehn Jahren zugestoßen ist, als es dem Bischof Dupanloup und Herrn Guizot gelang, ihn von der erlauchten Versammlung fern zu halten, weil er ein Freidenker sei. Wie anders Kardinal Fleury mit Montesquieu! Der hatte auch seinen Dupanloup, den Vater Tournemine, der die Lettres persane denunzierte, welche gerade das Anrecht des Präsidenten auf die akademische Ehre ausmachten. Und in Wahrheit, die beiden Perser Montesquieu's waren nicht glimpflich mit den Mönchen und dem »Zauberer von Rom, der glauben machen will, drei mache eins,« umgesprungen. Fleury, der als regierender Minister sein Veto zu geben hatte, erhob keinen Einspruch, wie er ja auch Voltaire's »Mahomet« gegen die Eiferer in Schutz genommen hatte. Es genügte, daß Montesquieu an den verfänglichen Stellen des dem Kardinal bestimmten Exemplars unverfängliche Kartons einschieben ließ. Der Minister wußte wohl um den Sachverhalt, aber er drückte ein Auge zu, damit nicht gesagt werden könne, der größte Schriftsteller der Zeit sei von der Akademie ausgeschlossen worden. Man weiß, daß Voltaire selber eine Zierde jener Akademie war, von der heute H. Taine ausgeschlossen wird, weil er ein Feind des Christenthums ist. Montesquieu rächte sich auf seine Weise am Denunzianten, der seine Aufnahme verzögert. Vater Tournemine hielt gar viel auf seine Berühmtheit: so oft nun Montesquieu in der Folge seinen Namen aussprechen hörte, rief er stets: »Vater Tournemine! Was ist das, Vater Tournemine? Ich habe nie von ihm reden gehört!«

Dieser Widerspruch des Gesetzestextes und der Praxis geht durch's ganze Jahrhundert, und Montesquieu's Leben bietet der Beweise die Fülle. Freilich gehörte er zu den Privilegierten, aber der symbolische Akt, der seinen Eintritt in's Leben wie den anderer Privilegierten begleitete, schien nicht umsonst vollzogen: wie Montaigne und Buffon wurde auch Montesquieu von einem armen Bettler aus der Taufe gehoben, »damit sein Pathe ihn sein ganzes Leben über daran erinnere, daß die Armen seine Brüder sind.« Jedenfalls vergaß Montesquieu nie, daß seine Privilegien ihn zu Gegenleistungen verpflichteten. Zu Hülfe kamen ihm seine Privilegien immerhin selbst da, wo er sie nicht direkt anrufen konnte. Auch Nichtbevorrechtete, wie Voltaire, Diderot, Beaumarchais, wußten über die Gesetze, insbesondere über die Censur, zu triumphieren, aber nur um den Preis langer Kämpfe. Montesquieu überwand sie wie spielend. Überwunden wurden sie immer: wie hätten wir sonst jene einzige Literatur des 18. Jahrhunderts, der wir unsere Freiheit danken.

Wohl mußten alle Werke Montesquieu's, auch die, welche Kirche und Staat angriffen, anonym und im Auslande veröffentlicht werden; auch wurde ihre Einfuhr in Frankreich verboten, aber die Anonymität war so durchsichtig, daß der Verfasser auf seine nicht unterzeichneten Schriften hin in die Akademie gewählt wurde: ein Pfäfflein hatte die Güte, nach Amsterdam zu reisen und den Druck der Lettres persanes zu besorgen; ein befreundeter Jesuit sah dem Präsidenten die Druckbogen durch; und die Grenze war so lässig überwacht, daß in einem Jahre (1721) nicht weniger als acht Auflagen von dem Buche in Frankreich abgesetzt wurden. Nicht ganz so leicht ging's mit dem doch so viel gemäßigteren »Geist der Gesetze«. Zwar verweigerte die Censur diesmal die Einführung in Frankreich nicht, aber sie vermochte Montesquieu, der sich übrigens nicht lange bitten ließ, einige anstößige Stellen – es waren im ganzen vierzehn – durch Kartons zu ersetzen; allein die Obrigkeit verbot es nachträglich (1749), doch nur für kurze Zeit. Kaum hatte Malesherbes die Direktion des Buchhandels im Ministerium übernommen (1750), so hob er auch die Hindernisse der Zirkulation.

Ähnlich ging's in Rom, wo man das Werk auf den Index setzen wollte, trotz aller Kartons, trotz des französischen Gesandten, trotz des heiligen Vaters selber – es war der gutmüthige Lambertini, der acht Jahre vorher die Widmung des »Mahomet« so gnädig aufgenommen. Ein Eiferer hat schon gleich nach dem Erscheinen des Werkes es der Versammlung der französischen Geistlichkeit, welche alle fünf Jahre tagte, denunziert; diese aber hatte abgelehnt, sich damit abzugeben. Die Sorbonne war weiter gegangen: sie hatte eine vollständige Censur aller ketzerischen Stellen entworfen; doch blieb's bei dem Entwurfe, da Montesquieu sie auf eine verbesserte, zweite Auflage vertröstete. In Rom dauerten die Unterhandlungen vier Jahre lang und, obschon der einflußreiche Kardinal Passionei – derselbe, von dem C. Justi uns in seinem »Winkelmann« ein so herrliches Porträt gegeben und der auch früher als Mittelsmann zwischen dem Papste und Voltaire gedient – sich eifrig bei den Berichterstattern der Kongregation verwandt, wurde die erste Auflage, sowie die italienische Übersetzung des Buches doch 1752 auf den Index gestellt, wie gewöhnlich donec corrigantur, und überdies wurde, wohl auf Benedict's XIV. Veranlassung, das Dekret geheim gehalten, d. h. unwirksam gemacht. Man sieht, selbst in Rom waren schon vor Ganganelli » avec le ciel des accommodements«. Freilich hatte Montesquieu in diesen vier Jahren, in Rom wie in Paris, eine Gewandtheit, eine Beredtsamkeit, eine Thätigkeit entwickelt, die jedem Diplomaten, Advokaten und Geschäftsmanne Ehre gemacht hätten. Seine Denkschriften, seine Korrekturen, seine Privatbriefe waren kleine Meisterwerke an Feinheit, und die Hauptschrift, zu der diese Vertheidigung seines Buches Anlaß gab, die Défense de l'esprit des Lois, ist vielleicht das vollendetste Kunstwerk Montesquieu's geblieben.

Bezeichnender Weise hatte der »Geist der Gesetze« anfangs und vornehmlich bei den Freunden wenig Erfolg; Präsident Hénault meinte, das Buch sei nur ein Entwurf; Silhouette rieth, es zu verbrennen; selbst Crebillon und Fontenelle riethen vom Druck ab; Helvetius und Saurin warfen ihm vor, zu nachsichtig für die kirchlichen und adeligen Vorurtheile zu sein. »Unser Freund Montesquieu, sagte Helvetius mit komischem Mitleiden, wird seinen Namen eines Weisen und Gesetzgebers einbüßen und nur noch ein Magistrat, ein Edelmann, und ein Mann von Witz sein. Das betrübt mich, für ihn wie für die Menschheit, der er besser hätte dienen können.« Auch Mme. du Deffand sagte in ihrer pikanten Weise, »der Geist der Gesetze« sei »Geist über die Gesetze«. Die satirischen Verse über diesen »Fall« des berühmten Verfassers der lettres persanes regneten; die Priester vor Allem die Jansenisten, die das den Jesuiten gezollte Lob nicht schlucken konnten, nannten das Buch einen »Skandal«, ein Kind der Verfassung Unigentius. Vor Allem war es die Theorie vom Einflüsse des Klimas und Bodens, die unser Herder hernach so beredt weiter entwickelt, welche den Witz der Satiriker und die Einwände der Kritiker hervorrief. Montesquieu nahm sich den Erfolg nicht zu Herzen. »Ich höre ein Paar Bremsen um mich summen; aber wenn die Bienen nur ein wenig Honig darin finden, so genügt es mir.« Ein Mann wie Montesquieu rechnet eben, so angenehm ihm auch die Anerkennung der Zeitgenossen sein würde, nur auf die Anerkennung der Nachgeborenen: denn er weiß, daß, wenn die Nachwelt nichts Mittelmäßiges hinübernimmt, die Mitwelt oft auch das Wertloseste bewundert, sobald es ihrer Laune oder ihrem Tagesgeschmack entspricht.

Die Anerkennung kam vom Ausland, das man ja eine zeitgenössische Nachwelt genannt hat. »Das Buch wird in Frankreich eine Umwälzung in den Geistern hervorbringen,« sagte man in Turin, und in Potsdam schrieb der große König seine Glossen dazu, die Montesquieu errathen zu können glaubte In der Schweiz und in England war die Bewunderung eine ungetheilte. Hume bot sich an, das Werk zu übersetzen. Chesterfield las es dreimal hintereinander; eine Engländerin meinte, als sie hörte, das Buch werde in Frankreich heftig getadelt: »Warum hat er's nicht hier geschrieben? Man würde ihm ein Standbild errichtet haben.« Bald besann man sich auch in Montesquieu's Vaterland eines Bessern und als er bald darauf (1755) ein Sechsundsechziger in Paris starb, bezeichnender Weise umgeben von toleranten Priestern und zwei aufgeklärten Freundinnen, der Herzogin von Aiguillon und Mme. Dupré de Saint-Maur, von der er einst gerühmt hatte: »sie ist gleich gut zur Geliebten, zur Frau und zur Freundin,« und die ihm jetzt die Augen zudrückte – als Montesquieu das Zeitliche segnete, war der »Geist der Gesetze« in ganz Frankreich wie im Auslande als das bedeutendste Werk anerkannt, das die Literatur des 18. Jahrhunderts bis dahin hervorgebracht.

So ganz ungerecht waren die ersten Urtheile der Zeitgenossen darum doch nicht. Ich versage mir hier und heute von den Ideen Montequieu's und ihrem Einflüsse auf die Geschichte zu reden; doch dürfte ein Wort über den schriftstellerischen Werth des »Geistes der Gesetze« doch am Platze sein, da es die Persönlichkeit des Mannes vervollständigt. Montesquieu bietet in der That das seltene Beispiel eines mächtigen Geistes, der aus Schüchternheit des Temperaments, aus Rücksichtnahme auf alles Bestehende, aus übertriebener Sorgfalt für die Form, den Gedanken, die ihm am meisten am Herzen lagen, dauernden Eintrag gethan hat. Wie neu, wie muthig, wie zeitgemäß diese Gedanken, selbst in dieser etwas lähmenden Gestalt sein mochten, beweist ihre Wirkung, eine Wirkung, die noch heute dauert, noch lange dauern wird. Immerhin darf gesagt werden, daß der Stil des »Geistes der Gesetze« gewaltig abfällt gegen den der Lettres persanes; die Komposition gegen die derGrandeur et décadence. Die Leichtigkeit, der Fluß, die Ungezwungenheit, welche die Briefe Usbec's und Rica's auszeichnen, haben einer gewissen, sententiösen Concision Platz gemacht, die oft an Dunkelheit grenzt, und die antithetische Schaukel des Satzbaues wird manchmal recht ermüdend. Selbst Chesterfield mußte gestehen, »daß sich sein Freund nicht klar genug ausgedrückt; nur meinte er, es wäre eine Folge der mangelnden Freiheit; in England würde er verständlicher geschrieben haben.« Keineswegs. Montesquieu war immer von einer peinlichen Ängstlichkeit im Stil gewesen. Viele Stellen seiner Lettres persanes waren vier-, fünfmal ausgestrichen und selbst seine Liebesbriefe waren über und über korrigiert, ehe sie abgeschrieben wurden. Während er aber in seiner Jugend alle diese Sorgfalt darauf verwandte, um seinen Gedanken den anspruchslosesten und zugleich getreuesten, bestimmtesten und faßbarsten Ausdruck zu geben, so bemühte er sich später hauptsächlich kurz zu sein und durch seine Tiefe zu imponieren. Jeder Satz sollte das Ergebnis einer ganzen Gedankenentwickelung wie in einer Nuß bieten. Hier war denn doch seine ausschließlich römische Bildung sehr fühlbar, mehr als gut war: schon Saint-Beuve hat angemerkt, daß Montesquieu »nie das erste, einfache, natürliche, naive Alterthum recht gekannt: sein Alterthum ist die zweite, überlegtere, bearbeitetere, lateinischere Epoche.« Ich denke mir, Sallust muß sein Mann gewesen sein, was die Form anlangt, wie Cicero, was den Inhalt betrifft.

Die mühsame Arbeit nun des Nußknackens, die Montesquieu seinen Lesern zumuthete, suchte er ihnen wieder auf andre Weise zu erleichtern, indem er ihnen häufige Ruhepunkte gewährte. Die Kapitel, ja die Bücher des »Geistes der Gesetze« sind meist sehr klein und laden dadurch zum Pausieren und Nachdenken ein: doch wird der Zweck auch damit nicht ganz erreicht. Wie man auf den Stil Montesquieu's in seinem Hauptwerke Kant's Wort anwenden kann, daß »er viel kürzer sein würde, wenn er nicht so kurz wäre,« so kann man mit unserem Philosophen auch von der Komposition des »Geistes der Gesetze« sagen: »Manches Buch wäre viel deutlicher geworden, wenn es nicht so gar deutlich hätte werden sollen.« Nicht daß Montesquieu »die Artikulation oder den Gliederbau des Systems durch seine hellen Farben verklebt und unkenntlich gemacht« hätte, wie Kant es gewissen Schriftstellern vorwirft: nein, das Skelett selbst ist nicht organisch. Vom 12. Buche an ist die Ordnung nur noch eine lose Aneinanderreihung: von einer systematischen Gliederung ist nichts mehr zu spüren, und am Ende haben wir gar einfache Anhänge, die in keinerlei Zusammenhang mit dem philosophischen Gedankengange des Werkes stehen.

Man wird mir zutrauen, daß diese Ausstellungen mich nicht verhindern, auch die Form des »Geistes der Gesetze« nach Gebühr zu würdigen, vor allem die unerreichte Eleganz des Ausdrucks, die wiegende Harmonie des Satzbaues, die unerschöpfliche Mannigfaltigkeit des Tones, die reizende Ironie, welche stets dem drohenden Pathos Einhalt gebietet, die überraschenden und erhellenden Durchblicke, die der große Meister der Sprache so oft im dunkelsten Dickicht seiner gewundenen Gänge zu eröffnen weiß: ich habe nur andeuten wollen, was zu den ungünstigen Urtheilen der Lands- und Zeitgenossen Veranlassung gegeben haben mag; denn nur auf eine Studie der Zeit und des Landes an einem ihrer charakteristischsten Vertreter kam es mir heute an, nicht auf eine literarische, noch weniger auf eine philosophisch-politische Prüfung der Werke Montesquieu's.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 6013
  • Hinzugefügt am 29. Jul 2014 - 09:13 Uhr

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provinz, jahrhundert, land, königreich, monarchie

Einsteller: sophie-clark

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1 Kommentar

  1. sophie-clark

    Aus der Zeit der Französischen Revolution.

    02. Nov 2015 - 14:24 Uhr

 

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