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Sammlung: Julius Rodenberg
Bilder aus dem Berliner Leben Teil 01
1831-1914, Julius Rodenberg
Die letzte Pappel
Der Sturm von gestern Nacht hat sie gefällt. Es war aber auch ein furchtbarer Sturm. Die Fenster klapperten, die Ziegel fielen von den Dächern, draußen war ein solcher Rumor und in meinem Schlafzimmer ein solcher Zug, dass ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder in einer Schiffskajüte zu schlafen glaubte. Die ganze Nacht träumte ich von der See, und als ich einmal aufwachte, meine brave Schwarzwälder Uhr draußen auf dem Gang schlug gerade drei, da war mir, als ob ich den alten Kapitän rufen hörte, den alten dicken Kapitän mit der roten Nase und den kurzen Beinen, denselben, mit dem ich vor Jahren einmal in einer ähnlichen Nacht unterwegs war, zwischen Leith und Hamburg, und dann vernahm ich ordentlich das Ächzen des Schiffes und das Brausen der Wellen, und ein Ton war in der Luft, als ob ein Baum bräche, als ob Holz splittere ... »Mein Gott, mein Gott«, rief ich, »wir sind verloren«, und ich wollte mich eben anschicken, das sinkende Schiff zu verlassen, um in einem der Boote Rettung zu suchen, als ich zum Glück bemerkte, dass ich in meinem Bett war und dass sich alles in guter Ordnung befand, mit Ausnahme der Wettergardinen und Ringe, die vor dem Fenster zusammen mit dem Wind klingelten und musizierten, dass einem der Schlaf wohl vergehen konnte. Doch es war Sphärenmusik, verglichen mit den Schrecken der heulenden See, die sich mir so lebendig aufdrängten, dass ich nicht nur den gischtüberschäumten Steuerbord gesehen, das Tosen der Brandung gehört, das Gemisch von Salz und Teer gerochen, sondern auch gewissermaßen den Grog geschmeckt hatte, den ich gestern Abend mit dem alten Kapitän getrunken. Der friedliche Zuruf meiner Uhr beruhigte mich indessen auch über diesen letzteren Punkt, es wurde mir plötzlich klar, dass ich gestern Abend Grog getrunken hatte, starken Grog obendrein, aber nicht mit dem Kapitän, der, Gott weiß es, schon lange kein Schiff mehr führt. Ich schlief also wieder ein. Aber in derselben Nacht und um dieselbe Stunde ist sie vom Sturm gebrochen worden, die letzte Pappel.
- Text-Herkunft: Gemeinfrei
- Text-ID 5887
- Hinzugefügt am 17. Jul 2014 - 12:09 Uhr
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Bild, Aufsatz, Julius, Rodenberg, Berlin
Einsteller: sophie-clark
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mehr…Die letzte Pappel Der Sturm von gestern Nacht hat sie gefällt. Es war aber auch ein furchtbarer Sturm. Die Fenster
2 Kommentare
Geschichten aus dem Berliner Leben.
02. Nov 2015 - 16:27 Uhr
Im nächsten Teil:Mehr Pappeln als Häuser
10. Sep 2016 - 13:01 Uhr