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Sammlung: Hans Paasche

Mein Lebenslauf Teil 01

1881-1920, Hans Paasche

Schneidemühl, 26. November 1917

Ich wurde in Rostock in Mecklenburg am 3. April 1881 geboren. Mein Vater war dort Professor und Reichstagsabgeordneter. Meine Kinderjahre verlebte ich in Marburg, wo mein Vater an der Hochschule lehrte und in der Stadtverwaltung als Stadtrat mitwirkte. Meine Eltern lebten glänzend in einem großen Hause mit Garten, Pferdestall und Reitbahn. Meine Schwester ist ein Jahr älter als ich, und wir hatten zeitweilig gemeinsam eine Erzieherin, eine Französin. Mein Vater ließ mich viel wandern, reiten und turnen und regte mich an für Naturliebe und Zeichnen. Meine Mutter hielt auf Musik. Ich erhielt früh Violinunterricht, und sie begleitete mich auf dem Klavier. Sie liebte Schiller, bekämpfte Goethe und war gegen Fabulieren. Daß sie mich wegen meiner Begabung bevorzugte, entfremdete mich meiner Schwester, deren ganz andere Gaben nicht anerkannt wurden. Sie fühlte sich auch im Elternhaus nicht wohl und ging in eine Pension. Ich war zwölf Jahre alt, als meine Eltern nach Berlin zogen, weil mein Vater sich wieder in den Reichstag hatte wählen lassen. Ich kam in Berlin auf das Joachimstalsche Gymnasium. Meine Ferien verbrachte ich regelmäßig auf dem kleinen Landgut, das mein Vater in der Provinz Posen gekauft hatte. Meine Eltern hatten immer den Wunsch, ich sollte Professor werden. Ich ging aber in Unterprima von der Schule weg, weil ich gesundheitlich litt und wurde Seekadett. Mein Vorgesetzter, ein Sohn des berühmten Moritz von Egidy, lobte meinen Eifer und nannte mich in meinem Zeugnis vielseitig begabt. Das ärgerte meine späteren Vorgesetzten, und ich bekam das schon auf der Marineschule zu fühlen. Meine Entwicklung wurde dadurch beeinflußt, daß ich aus Freiheitsgefühl von Hause aus ein Gegner der Trinksitte war, nicht rauchte und nur in der Gesellschaft verkehrte. Ich hatte deshalb ohne erheblichen Zuschuß vom Vater immer Geld für Bücher, Musik und Theater. Ich war in Kiel in einer Professorenfamilie und in Wilhelmshaven im Hause des kommandierenden Admirals wie ein Kind der Familie. Herbst 1903 kam ich auf die Militärturnanstalt nach Berlin und wohnte bei meinen Eltern. 1904 wurde ich auf den kleinen Kreuzer Bussard nach Ostafrika kommandiert. Ich war bald mit Land und Leuten und mit der Landessprache, dem Kisuaheli, so vertraut, daß mir, als der Aufstand der Schwarzen 1905 ausbrach, auf besonderen Wunsch des Gouverneurs, des Grafen Götzen, ein Kommando in das Innere des Landes anvertraut wurde. Es wurde dann anerkannt, daß ich durch mein Vorgehen auf dem Nordufer des Rufiji die Aufstandsbewegung auf den Süden der Kolonie beschränkt habe (Tätigkeit der Kaiserlichen Marine im Aufstand von Ostafrika. Amtlicher Bericht, erschienen bei Ernst S. Mittler, Berlin und Graf Götzen: Deutsch-Ostafrika im Aufstande, Dietrich Reiner, Berlin). Ich hatte außer einer farbigen Truppe zuerst eine Abteilung Matrosen, später nur einen Sanitätsunteroffizier bei mir, blieb sieben Monate im Lande und brachte gründliche Kenntnisse mit. Nach meinem Kommando an der ostafrikanischen Küste verbrachte ich mehrere Monate Urlaub in der Massaisteppe. Fieber hatte mich so mitgenommen, daß ich in Deutschland mehrere Monate Erholungsurlaub nehmen mußte. Ich verlobte mich mit Ellen Witting, der ältesten Tochter des Geheimen Regierungsrats Richard Witting, der damals Direktor der Nationalbank für Deutschland war, nachdem er jahrelang im Dienste der Verwaltung gestanden hatte, zuletzt als Oberbürgermeister von Posen. Die geistige Regsamkeit und Wahrheitsliebe meines Schwiegervaters und das vorbildliche Familienleben in seinem Hause hatten einen wohltätigen Einfluß auf mich. Über meine Erlebnisse in Ostafrika schrieb ich ein Buch: »Im Morgenlicht«. Der militärische Frontdienst fiel mir jetzt sehr schwer. Ich sehnte mich nach Afrika zurück und hatte kein Interesse für die Waffenausbildung. Ich ließ mir kleine Nachlässigkeiten im militärischen Dienst zuschulden kommen. Der damalige Flottenchef, Admiral von Holtzendorff, redete mir selbst noch zu, ich sollte mich überwinden, es kämen dann später bessere Stellungen für mich, ich dachte aber an meine Pläne für Ostafrika und wollte meinen Abschied. So wurde ich mit dem Charakter als Kapitänleutnant im Frühjahr 1909 entlassen. Einige Monate vorher hatte ich geheiratet und reiste nun mit meiner Frau auf ein Jahr nach Innerafrika, wo wir ein ganzes Jahr blieben. Wir besuchten den Victoriasee und die Gebiete Ruanda und Urundi. Nach der Rückkehr wohnte ich in Berlin-Westend, war Geschäftsführer der Deutschen Nyanza-Schiffahrtsgesellschaft und beschäftigte mich viel mit Kolonialfragen. Sanitätsrat Dr. Strecker forderte mich auf, mit ihm zusammen als Herausgeber der Zeitschrift »Die Abstinenz« zu zeichnen, und im Jahre 1912 gründete Dr. Hermann Popert mit mir die Halbmonatsschrift »Der Vortrupp«, die inzwischen sehr bekannt geworden ist. Das brachte mich mit vielen Menschen und Ideen in Berührung. Ich hielt viele Vorträge über Kolonien und Reform und schrieb Leitaufsätze für den Vortrupp. Das alles war unentgeltlich, wie ich auch die Geschäfte des von Oberst Gallus gegründeten Kolonialen Verkehrsvereins ehrenamtlich führte. Der »Vortrupp« stand der Parteipolitik fern. Wir erhofften alles für unser Volk von der Lebensreformbewegung. Die akademische Jugend und die junge Lehrerschaft kamen uns begeistert entgegen. Große Bedeutung legte ich auch dem Schneeschuhlauf bei, den ich als Schüler von Matthias Zdarsky selbst eifrig betrieb und über den ich im Vortrupp schrieb. Auf dem Freideutschen Jugendtage im Herbst 1913 aber wurde mir klar, daß die Grundlagen für eine deutsche Zukunft nur geschaffen werden konnten, wenn man tiefer grub, als es mir mit meiner geistigen Ausrüstung möglich war. Besonders war es nötig, daß ich meine vorwiegend naturwissenschaftliche Bildung durch Philosophie und Geschichte der Kultur ergänzte. Die Weltereignisse zwangen dann auch die Reformer von früher, sich neue Ziele zu stecken, und ich habe seit Beginn des Krieges nichts Erhebliches schreiben können. Seit 1912 kenne ich die Ernährungsfragen und die vegetarische Bewegung, seit 1913 den Pazifismus. Auch der Weltsprachenfrage habe ich im »Vortrupp« Geltung verschafft. Im Jahre 1913 wurde ich auf meine Bitte in die Liste der nicht zum Tragen der Uniform berechtigten Offiziere eingetragen. Ich kam bei meiner schriftstellerischen Tätigkeit in Gefahr, unschuldig durch Gegner in ehrengerichtliche Untersuchungen verwickelt zu werden, die meine Arbeit lähmten.

Bei Beginn des Krieges stellte ich mich der Marine wieder zur Verfügung. Ich wurde Nachrichtenoffizier auf dem Leuchtturm Rotersand und Oktober 1914 Erster Offizier auf S.M.S. Pelikan. Der Kommandant war Fregattenkapitän v. Bülow. (Wilhelmshaven, Adalbertstraße). Im Juli 1915 wurde ich zur II. Torpedodivision nach Wilhelmshaven kommandiert. Ich wurde Kompanieführer der 7. Kompanie. Mein Kommandant war Korvettenkapitän Kalm (Gronau bei Hannover), der Kommandeur der Division Kapitän zur See Köthner, bald darauf Kapitän Studnitz, der hier auf seinen Abschied wartete, und nach ihm Kapitän Lübbert. Am 31. Januar 1916 wurde ich entlassen.

Als ich mich wieder zum Dienst in der Marine meldete, war es meine Absicht, der Sache des Vaterlandes mit allen Kräften zu dienen und auch die besonderen Kenntnisse, die ich mir in den letzten Jahren erarbeitet hatte, im Dienst nutzbar zu machen. Ich rechnete nur mit einer kurzen Kriegsdauer und dachte auch gar nicht daran, daß ich selbst bei dieser Gelegenheit Gehalt bekäme. Ich dachte nur an die Sache und nicht an meine Person. Ich war überrascht, als man mir nach einigen Monaten eine hohe Summe auszahlte. Ich bemerke gleich, daß im Kreise meiner Kameraden niemand annahm, daß inaktive Offiziere sich aus anderen Gründen als wegen materieller Vorteile gemeldet haben könnten: Daraus erklärt sich auch eine gewisse verächtliche Zurückhaltung, die ich nie zu deuten wußte. Die Auffassung, daß der Kriegsdienst, besonders der gefahrlose, zu dem die meisten bestimmt waren, eine Versorgung sei, trat mir immer häufiger entgegen und stieß mich ab. Auch merkte ich, daß meine Kameraden für den uneigennützigen Kampf, den ich für die Gesundung des Volkes geführt hatte, kein Verständnis hatten, weil sie annahmen, ich verdiene damit Geld! So sehr ich die große Uneigennützigkeit einzelner Offiziere zu würdigen wußte, es wurde mir klar, daß das Denken des Standes in seiner Gesamtheit rein materiell gerichtet war.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 3242
  • Hinzugefügt am 15. Jan 2014 - 13:49 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

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Einsteller: sophie-clark

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1 Kommentar

  1. sophie-clark

    Im nächsten Teil:Lebhafte Bereitwilligkeit

    18. Sep 2016 - 08:36 Uhr

 

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