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Sammlung: Charles Darwin

Enstehung der Arten Teil 01

1860, Charles Darwin


 

 Abänderung durch Domestizität.


Ursachen der Veränderlichkeit. Wirkungen der Gewohnheit. Wechselbeziehungen der Bildung. Erblichkeit. Charaktere kultivirter Varietäten. Schwierige Unterscheidung zwischen Varietäten und Arten. Entstehung kultivirter Varietäten von einer oder mehren Arten. Zahme Tauben, ihre Verschiedenheiten und Entstehung. Frühere Züchtung und ihre Folgen. Planmässige und unbewusste Züchtung. Unbekannter Ursprung unsrer kultivirten Rassen. Günstige Umstände für das Züchtungs-Vermögen des Menschen.

     Wenn wir die Einzelwesen einer Varietät oder Untervarietät unsrer alten Kultur-Pflanzen und -Thiere betrachten, so ist einer der Punkte, die uns zuerst auffallen, dass sie im Allgemeinen mehr von einander abweichen, als die Einzelwesen einer Art oder Varietät im Natur-Zustande. Erwägen wir nun die grosse Manchfaltigkeit der Kultur-Pflanzen und -Thiere, welche sich zu allen Zeiten unter den verschiedensten Klimaten und Behandlungs-Weisen abgeändert haben, so glaube ich sind wir zum Schlusse gedrängt, dass diese grössere Veränderlichkeit unsrer Kultur-Erzeugnisse die Wirkung minder einförmiger und von den natürlichen der Stamm-Ältern etwas abweichender Lebens-Bedingungen ist. Auch hat, wie mir scheint, Andrew Knight's Meinung, dass diese Veränderlichkeit zum Theil mit überflüssiger Nahrung zusammenhänge, einige Wahrscheinlichkeit für sich. Es scheint ferner ganz klar zu seyn, dass die organischen Wesen einige Generationen hindurch neuen Lebens-Bedingungen ausgesetzt seyn müssen, ehe ein bemerkliches Maass von Veränderung in ihnen hervortreten kann, und dass, wenn ihre Organisation einmal abzuändern begonnen hat, diese Abänderung gewöhnlich durch viele Generationen fortwährt. Man kennt keinen Fall, dass ein veränderliches Wesen im Kultur-Zustande aufgehört hätte veränderlich zu seyn. Unsre ältesten Kultur-Pflanzen, wie der Weitzen z. B., geben oft noch neue Varietäten, und unsre ältesten Hausthiere sind noch immer rascher Umänderung oder Veredelung fähig.

     Man hat darüber gestritten, in welchem Lebens-Alter die Ursachen der Abänderungen, worin sie immer bestehen mögen, wirksam zu seyn pflegen, ob in der ersten, oder in der letzten Zeit der Entwickelung des Embryos, oder im Augenblicke der Empfängniss. Geoffroy St. Hilaire's Versuche ergeben, dass eine unnatürliche Behandlung des Embryos Monstrositäten erzeuge, und Monstrositäten können durch keinerlei scharfe Grenzlinie von Varietäten unterschieden werden. Doch bin ich sehr zu vermuthen geneigt, dass die häufigste Ursache zur Abänderung in Einflüssen zu suchen seye, welche das männliche oder weibliche reproduktive Element schon vor dem Akte der Befruchtung erfahren hat. Ich habe verschiedene Gründe für diese Meinung; doch liegt der Hauptgrund in den bemerkenswerten Folgen, welche Einsperrung oder Anbau auf die Verrichtungen des reproduktiven Systemes äussern, indem nämlich dieses System viel empfänglicher für die Wirkung irgend eines Wechsels in den Lebens-Bedingungen als jeder andere Theil der Organisation zu seyn scheint. Nichts ist leichter, als ein Thier zu zähmen, und wenige Dinge sind schwieriger, als es in der Gefangenschaft zu einer freiwilligen Fortpflanzung zu veranlassen in den zahlreichen Fällen sogar, wo man Männchen und Weibchen bis zur Paarung bringt. Wie viele Thiere wollen sich nicht fortpflanzen, obwohl sie schon lange in nicht sehr enger Gefangenschaft in ihrer Heimath-Gegend leben! Man schreibt Diess gewöhnlich verdorbenen Naturtrieben zu; allein wie viele Kultur-Pflanzen gedeihen in der äussersten Kraft-Fülle, ohne jemals oder fast jemals Samen anzusetzen! In einigen wenigen solchen Fällen hat man herausgefunden, dass sehr unbedeutende Verhältnisse, wie etwas mehr oder weniger Wasser zu einer gewissen Zeit des Wachsthums für oder gegen die Samen-Bildung entscheidend wird. Ich kann hier nicht eingehen in die zahlreichen Einzelheiten, die ich über diese merkwürdige Frage gesammelt: um aber zu zeigen, wie eigenthümlich die Gesetze sind, welche die Fortpflanzung der Thiere in Gefangenschaft bedingen, will ich nur anführen, dass Raubtiere selbst aus den Tropen-Gegenden sich bei uns auch in Gefangenschaft ziemlich gerne fortpflanzen, doch mit Ausnahme der Sohlengänger oder der Bären-Familie, während Fleisch-fressende Vögel nur in den seltensten Fällen oder fast niemals fruchtbare Eier legen. Viele ausländische Pflanzen haben ganz werthlosen Pollen genau in demselben Zustande wie die meist unfruchtbaren Bastard-Pflanzen. Wenn wir auf der einen Seite Hausthiere und Kultur-Pflanzen oft selbst in schwachem und krankem Zustande sich in der Gefangenschaft ganz freiwillig fortpflanzen sehen, während auf der andern Seite jung eingefangene Individuen, vollkommen gezähmt, Geschlechts-reif und kräftig (wovon ich viele Beispiele anführen kann, in ihrem Reproduktiv-Systeme durch nicht wahrnehmbare Ursachen so angegriffen erscheinen, dass sie sich nicht zu befruchten vermögen, so dürfen wir uns um so weniger darüber wundern, wenn dieses System in der Gefangenschaft in nicht ganz regelmäßiger Weise wirkt und eine Nachkommenschaft erzeugt, welche den Ältern nicht vollkommen ähnlich oder welche veränderlich ist.

     Man hat Unfruchtbarkeit als den Untergang des Gartenbaues bezeichnet; aber Variabilität entsteht aus derselben Ursache wie Sterilität, und Variabilität ist die Quelle all der ausgesuchtesten Erzeugnisse unserer Gärten. Ich möchte hinzufügen, dass, wenn einige Organismen (wie die in Kästen gehaltenen Kaninchen und Frettchen) sich unter den unnatürlichsten Verhältnissen fortpflanzen, Diess nur beweiset, dass ihr Reproduktions-System dadurch nicht angegriffen worden ist; und so widerstreben einige Thiere und Pflanzen der Veränderung durch Zähmung oder Kultur und erfahren nur sehr geringe Abänderung, vielleicht kaum eine stärkere als im Natur-Zustand.

     Man könnte eine lange Liste von Spielpflanzen (Sporting plants) aufstellen, mit welchem Namen die Gärtner einzelne Knospen oder Sprossen bezeichnen, welche plötzlich einen neuen und von der übrigen Pflanze oft sehr abweichenden Charakter annehmen. Solche Knospen kann man durch Propfen und oft mittelst Samen fortpflanzen. Diese Spielpflanzen sind in der Natur ausserordentlich selten, im Kultur-Zustande aber nichts Ungewöhnliches, und wir sehen in diesem Falle, dass die abweichende Behandlung der Mutterpflanze die Knospe oder den Sprossen, nicht aber das Ei'chen oder den Pollen berührt hat. Die meisten Physiologen sind aber der Meinung, dass zwischen einer Knospe und einem Ei'chen auf ihrer ersten Bildungs-Stufe kein wesentlicher Unterschied ist, so dass die Spielpflanzen in der That meiner Meinung zur Stütze gereichen, dass die Veränderlichkeit grossentheils von Einflüssen herzuleiten seye, welche die Behandlung der Mutterpflanze auf das Ei'chen oder den Pollen oder auf beide schon vor dem Befruchtungs-Akte ausgeübt hat. Diese Fälle zeigen dann auch, dass Abänderung nicht, wie einige Autoren angenommen, nothwendig mit dem Generations-Akte zusammenhänge.

     Sämlinge von derselben Frucht erzogen oder Junge von einem Wurfe weichen oft weit von einander ab, obwohl die Jungen und die Alten, wie Müllerbemerkt, offenbar genau denselben Lebens-Bedingungen ausgesetzt gewesen; und es ergibt sich daraus, wie unerheblich die unmittelbaren Wirkungen der Lebens-Bedingungen im Vergleiche zu den Gesetzen der Reproduktion, der Wechselbeziehungen des Wachsthums und der Erblichkeit sind; denn wäre die Wirkung der Lebens-Bedingungen in dem Falle, wo nur ein Junges abändert, eine unmittelbare gewesen, so würden zweifelsohne alle Junge dieselben Abänderungen zeigen. Es ist sehr schwer zu beurtheilen, wie viel bei einer solchen Abänderung dem unmittelbaren Einflusse der Wärme, der Feuchtigkeit, des Lichtes und der Nahrung im Einzelnen zuzuschreiben seye; ich halte mich aber überzeugt, dass solche Kräfte bei Thieren nur sehr wenig unmittelbaren Erfolg haben können, während derselbe bei Pflanzen offenbar grösser ist. In dieser Beziehung sind Buckman's neuere Versuche mit Pflanzen von grossem Werthe. Wenn alle oder fast alle Einzelnwesen, welche den nämlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen, auch auf dieselbe Weise abgeändert werden, so scheint diese Wirkung anfangs jenen Einflüssen unmittelbar zugeschrieben werden zu müssen; es lässt sich aber in einigen Fällen nachweisen, dass ganz entgegengesetzte Bedingungen ähnliche Veränderungen des Baues bewirken können. Demungeachtet glaube ich, dass ein kleiner Betrag der stattfindenden Umänderung der unmittelbaren Einwirkung der Lebens-Bedingungen zugeschrieben werden kann, wie in einigen Fällen die veränderte Grösse von der Nahrungs-Menge, die Färbung von besonderen Arten der Nahrung und vom Lichte, und vielleicht die Dichte des Pelzes vom Klima ableitbar ist.

     Auch Gewöhnung hat einen entschiedenen Einfluss, wie die Versetzung von Pflanzen aus einem Klima ins andere deren Blüthe - Zeit ändert. Bei Thieren ist er bemerkbarer; ich habe bei der Haus-Ente gefunden, dass die Flügel-Knochen leichter und die Bein-Knochen schwerer im Verhältniss zum ganzen Skelette sind als bei der wilden Ente; und ich glaube, dass man diese Veränderung getrost dem Umstände zuschreiben kann, dass die zahme Ente weniger fliegt und mehr geht, als bei dieser Enten-Art in ihrem wilden Zustande der Fall ist. Die erbliche stärkere Entwicklung der Euter bei Kühen und Geisen in solchen Gegenden, wo sie regelmässig gemelkt werden, im Verhältnisse zu andern, wo es nicht der Fall, ist ein anderer Beleg dafür. Es gibt keine Art von Haus - Säugethieren, welche nicht in dieser oder jener Gegend hängende Ohren hätte, und so ist die Meinung, die irgend ein Schriftsteller geäussert, dass dieses Hängendwerden der Ohren vorn Nichtgebrauch der Ohr-Muskeln herrühre, weil das Thier sich nicht mehr durch drohende Gefahren beunruhigt fühle, ganz wahrscheinlich.

     Es gibt nun viele Gesetze, welche die Veränderungen regeln, von welchen einige wenige sich dunkel erkennen lassen, und die nachher noch kürzlich erwähnt werden sollen. Hier will ich nur anführen, was man Wechselbeziehung der Entwicklung nennen kann. Eine Veränderung in Embryo oder Larve wird sicherlich meistens auch Veränderungen im reifen Thiere nach sich ziehen. Bei Monstrositäten sind die Wechselbeziehungen zwischen ganz verschiedenen Theilen des Körpers sehr sonderbar, und Isidore Geoffroy St.-Hilaire führt davon viele Belege in seinem grossen Werke an. Viehzüchter glauben, dass verlängerte Beine gewöhnlich auch von einem verlängerten Kopfe begleitet sind. Einige Beispiele erscheinen ganz wunderlicher Art; so, dass Katzen mit blauen Augen allezeit taub sind. Farbe und Eigenthümlichkeiten der Konstitution sind mit einander in Verbindung, wovon sich viele merkwürdige Falle bei Pflanzen und Thieren anführen lassen. Aus den von Heusinger gesammelten Thatsachen geht hervor, dass weisse Schaafe und Schweine von gewissen Pflanzen-Giften ganz anders als die dunkel-farbigen berührt werden. Unbehaarte Hunde haben unvollkommene Zähne; lang- und grob-haarige Thiere sollen geneigter seyn, lange und viele Hörner zu bekommen: Tauben mit Federfussen haben eine Haut zwischen ihren äußeren Zehen; kurzschnabelige Tauben haben kleine Füsse, und die mit langen Schnäbeln auch lange Füsse. Wenn man daher durch Auswahl geeigneter Individuen von Pflanzen und Thieren für die Nachzucht irgend eine Eigenthümlichkeit derselben zu steigeren gedenkt, so wird man gewiss meistens, ohne es zu wollen, diesen geheinmissvollen Wechselbeziehungen der Entwickelung gemäss noch andre Theile der Struktur mit abändern. Das Ergebniss der mancherlei entweder ganz unbekannten oder nur dunkel sichtbaren Gesetzen der Variation ist ausserordentlich zusammengesetzt und vielfältig. Es ist wohl der Mühe werth die verschiedenen Abhandlungen über unsre alten Kultur-Pflanzen, wie Hyazinthen, Kartoffeln, Dahlien u. s. w. sorgfältig zu studiren und von der endlosen Menge von Verschiedenheiten in Bau und Lebensäusserung Kenntniss zu nehmen, durch welche alle diese Varietäten und Subvarietäten von einander abweichen. Ihre ganze Organisation scheint bildsam geworden zu seyn. um bald in dieser und bald in jener Richtung sich etwas von dem älterlichen Typus zu entfernen.

     Nicht-erbliche Abänderungen sind für uns ohne Bedeutung. Aber schon die Zahl und Manchfaltigkeit der erblichen Abweichungen in dem Bau des Körpers, sey es von geringerer oder von beträchtlicher physiologischer Wichtigkeit, ist endlos. Dr. Prosper Lucas' Abhandlung in zwei starken Bänden ist das Beste und Vollständigste, was man darüber hat. Kein Viehzüchter ist darüber in Zweifel, dass die Neigung zur Vererbung sehr gross ist: Gleiches erzeugt Gleiches ist sein Grund-Glaube, und nur theoretische Schriftsteller haben dagegen Zweifel erhoben. Wenn irgend eine Abweichung öfters zum Vorschein kommt und wir sie in Vater und Kind sehen, so können wir nicht sagen, ob sie nicht etwa von einerlei Grundursache herrühre, die auf beide gewirkt habe. Wenn aber unter Einzelwesen einer Art, welche offenbar denselben Bedingungen ausgesetzt sind, irgend eine seltene Abänderung in Folge eines ausserordentlichen Zusammentreffens von Umständen an einem Vater zum Vorschein kommt — an einem unter mehren Millionen — und dann am Kinde wieder erscheint, so nöthigt uns schon die Wahrscheinlichkeit diese Wiederkehr aus der Erblichkeit zu erklären. Jedermann hat schon von Fällen gehört, wo so seltene Erscheinungen, wie Albinismus, Stachelhaut, ganz behaarter Körper u. dgl. bei mehren Gliedern einer und der nämlichen Familie vorgekommen sind. Wenn aber so seltene und fremdartige Abweichungen der Körper-Bildung sich wirklich vererben, so werden minder fremdartige und ungewöhnliche Abänderungen um so mehr als erbliche zugestanden werden müssen. Ja vielleicht wäre die richtigste Art die Sache anzusehen die, dass man jedweden Charakter als erblich und die Nichterblichkeit als Ausnahme betrachtete.

     Die Gesetze, welche die Erblichkeit regeln, sind gänzlich unbekannt, und niemand vermag zu sagen, wie es komme, dass dieselbe Eigenthümlichkeit in verschiedenen Individuen einer Art und in Einzelwesen verschiedener [?]-Arten zuweilen erblich ist und zuweilen es nicht ist; wie es komme, dass das Kind zuweilen zu gewissen Charakteren des Grossvaters oder der Grossmutter oder noch früherer Vorfahren zurückkehre; wie es komme, dass eine Eigenthümlichkeit sich oft von einem Geschlechte auf beide Geschlechter übertrage, oder sich auf eines und zwar dasselbe Geschlecht beschränke. Es ist eine Thatsache von nur geringer Wichtigkeit für uns, dass eigenthümliche Merkmale, welche an den Männchen unsrer Hausthiere zum Vorschein kommen, ausschliesslich oder doch vorzugsweise wieder nur auf männliche Nachkommen übergehen. Eine wichtigere und wie ich glaube verlässige Erscheinung ist die, dass, in welcher Periode des Lebens sich die abweichende Bildung zeigen möge, sie auch in der Nachkommenschaft immer in dem entsprechenden Alter, oder zuweilen wohl früher, zum Vorschein kommt. In vielen Fällen ist Diess nicht anders möglich, weil die erblichen Eigenthümlichkeiten z. B. in den Hörnern des Rindviehs an den Nachkommen sich erst im reifen Aller zeigen können: und eben so gibt es bekanntlich Eigenthümlichkeiten des Seidenwurms, die nur den Raupen- oder den Puppen-Zustand betreffen. Aber erbliche Krankheiten u. e. a. Thatsachen veranlassen mich zu glauben, dass die Regel eine weitere, Ausdehnung hat, und dass selbst da, wo kein offenbarer Grund für das Erscheinen einer Abänderung in einem bestimmten Aller vorliegt, doch das Stieben vorherrscht, auch am Nachkommen in dem gleichen Lebens-Abschnitte sich zu zeigen, wo sie an dem Vorfahren erstmals eingetreten ist. Ich glaube, dass diese Regel von der grössten Wichtigkeit für die Erklärung der Gesetze der Embryologie ist. Diese Bemerkungen beziehen sich übrigens auf das erste Sichtbarwerden der Eigenthümlichkeit, und nicht auf ihre erste Veranlassung, die vielleicht schon in dem männlichen oder weiblichen Zeugungsstoff liegen kann, in der Weise etwa, wie der aus der Kreutzung einer kurz-hornigen Kuh und eines langhörnigen Bullen hervorgegangene Sprössling die grössre Länge seiner Hörner erst spät im Leben zeigen kann, obwohl die erste Ursache dazu schon im Zeugungsstoff des Vaters liegt.

     Ich habe des Falles der Rückkehr zur grossälterlichen Bildung erwähnt und in dieser Beziehung noch anzuführen, dass die Naturforscher oft behaupten, unsre Hausthier-Rassen nähmen, wenn sie verwilderten, zwar nur allmählich, aber doch gewiss, wieder den Charakter ihrer wilden Stammältern an, woraus man dann geschlossen hat, dass Folgerungen von zahmen Rassen auf die Arten in ihrem Natur-Zustande nicht zulässig seyen. Ich habe jedoch vergeblich auszumitteln gestrebt, auf was für entscheidende Thatsachen sich jene so oft und so bestimmt wiederholte Behauptung stütze. Es möchte sehr schwer sein, ihre Richtigkeit nachzuweisen; denn wir können mit Sicherheit sagen, dass sehr viele der ausgeprägtesten zahmen Varietäten im wilden Zustande gar nicht leben könnten. In vielen Fällen kennen wir nicht einmal den Urstamm und vermögen uns daher noch weniger zu vergewissern, ob eine vollständige Rückkehr eingetreten ist oder nicht. Jedenfalls würde, um die Folgen der Kreutzung zu vermeiden, nöthig seyn, dass nur eine einzelne Varietät in die Freiheit zurückversetzt werde. Ungeachtet aber unsre Varietäten gewiss in einzelnen Merkmalen zuweilen zu ihren Urformen zurückhehren, so scheint mir doch nicht unwahrscheinlich, dass, wenn man die verschiedenen Abarten des Kohls z. B. einige Generationen hindurch in einem ganz armen Boden zu naturalisiren fortführe (in welchem Falle dann allerdings ein Theil des Erfolges der unmittelbaren Wirkung des Bodens zuzuschreiben wäre), dieselben ganz oder fast ganz wieder ihre wilde Urform annehmen würden. Ob der Versuch nun gelinge oder nicht, ist für unsere Folgerungs-Reihe ohne grosse Erheblichkeit, weil durch den Versuch selber die Lebens-Bedingungen geändert werden. Liesse sich beweisen, dass unsre kultivirten Rassen eine starke Neigung zur Rückkehr, d. h. zur Ablegung der angenommenen Merkmale an den Tag legten, wenn sie unter unveränderten Bedingungen und in beträchtlichen Massen beisammen gehalten würden, so dass freie Kreutzung etwaige geringe Abweichungen der Struktur in Folge ihrer Durcheinandermischung verhütete, — in diesem Falle wollte ich zugeben, dass sich aus den zahmen Varietäten nichts hinsichtlich der Arten folgern lasse. Aber es ist nicht ein Schatten von Beweis zu Gunsten dieser Meinung vorhanden. Die Behauptung, dass sich unsere Wagen- und Rasse-Pferde, unsre lang- und kurz-hornigen Rinder, unsre manchfaltigen Federvieh-Sorten und Nahrungs-Gewächse nicht eine fast endlose Zahl von Generationen hindurch fortpflanzen lassen, wäre aller Erfahrung entgegen. Ich will noch hinzufügen, dass, wenn im Natur-Zustande die Lebens-Bedingungen wechseln, Abänderungen und Rückkehr des Charakters wahrscheinlich eintreten werden; aber die Natürliche Züchtung würde, wie nachher gezeigt werden soll, bestimmen, wie weit die hieraus hervorgehenden neuen Charaktere erhalten bleiben.

     Wenn wir die erblichen Varietäten oder Rassen unsrer Haus-Thiere und Kultur-Gewächse betrachten und dieselben mit einander nahe verwandten Arten vergleichen, so finden wir in jeder zahmern Rasse, wie schon bemerkt worden, eine geringere (Übereinstimmung des Charakters, als bei ächten Arten. Auch haben zahme Rassen von derselben Thier Art oft einen etwas monströsen Charakter, womit ich sagen will, dass, wenn sie sich auch von einander und von den übrigen Arten derselben Sippe in mehren wichtigen Punkten unterscheiden, sie doch oft im äussersten Grade in irgend einem einzelnen Theile sowohl von den andern Varietäten als insbesondere von den übrigen nächstverwandten Arten derselben Sippe zurückweichen. Diese Fälle (und die der vollkommenen Fruchtbarkeit gekreutzter Varietäten einer Art. wovon nachher die Rede seyn soll) ausgenommen, weichen die kultivirten Rassen einer und derselben Spezies in gleicher Weise, nur gewöhnlich in geringerem Grade, von einander ab. wie die einander nächst verwandten Arten derselben Sippe im Natur-Zustande. Ich glaube, man wird Diess zugeben, wenn man findet. dass es kaum irgend-welche gepflegte Rassen unter den Thieren wie unter den Pflanzen gibt, die nicht schon von einigen urteilsfähigen Richtern als wirkliche Varietäten und von andern ebenfalls sachkundigen Beurtheilern als Abkömmlinge einer ursprünglich verschiedenen Art erklärt worden wären. Gäbe es irgend einen bestimmten Unterschied zwischen kultivirten Rassen und Arten, so könnten dergleichen Zweifel nicht so oft wiederkehren. Oft hat man versichert, dass gepflegte Rassen nicht in Sippen-Charakteren von einander abweichen. Ich glaube zwar, dass sich diese Behauptung als irrig erweisen lässt: doch gehen die Meinungen der Naturforscher weit auseinander, wenn sie sagen sollen, worin Sippen-Charaktere bestehen , da alle solche Werthungen nur empirisch sind. Überdiess werden wir nach der Ansicht von der Entstehung der Sippen, die ich jetzt aufstellen will, kein Recht haben zur Erwartung, bei unseren Kultur-Erzeugnissen oft auf Sippen-Verschiedenheiten zu stossen.      Wenn wir den Betrag der Struktur-Verschiedenheiten zwischen den gepflegten Rassen von einer Art zu schätzen versuchen, so werden wir bald dadurch in Zweifel versetzt, dass wir nicht wissen, ob dieselben von einer oder von mehren älterlichen Arten abstammen. Es wäre von Interesse, wenn sich diese Frage aufklären, wenn sich z. B. nachweisen liesse, ob das Windspiel, der Schweisshund, der Dachshund, der Jagdhund und der Bullenbeisser, welche sich so genau in ihrer Form fortpflanzen, Abkömmlinge von nur einer Stamm-Art seyen? Denn solche Thatsachen würden sehr geeignet seyn unsre Zweifel zu erregen über die Unveränderlichkeit der vielen einander sehr nahe stehenden natürlichen Arten der Füchse z. B., die so ganz verschiedene Weltgegenden bewohnen. Ich glaube nicht, dass wir jetzt im Stande sind zu erkennen, ob alle unsre Hunde von einer wilden Stamm-Art herkommen, obwohl Diess bei einigen andren Hausthier-Rassen wahrscheinlich oder sogar genau nachweisbar ist.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 5852
  • Hinzugefügt am 03. Jul 2014 - 12:45 Uhr

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Einsteller: sophie-clark

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1 Kommentar

  1. sophie-clark

    Charles Darwin starb am 19. April 1882 in Downe.

    Quelle:Wikipedia,Charles Darwin

    19. Nov 2015 - 08:08 Uhr

 

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