Text-Suche

Wer ist online

76 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Sammlung: Jakob Wassermann 05

Der Fall Maurizius Band I Teil 01

1873-1934, Jakob Wassermann


 

 

1

Schon ehe der Mann mit der Kapitänsmütze aufgetaucht war, hatte sich eine vorahnende Beunruhigung an dem Knaben Etzel gezeigt. Vielleicht war der Brief mit dem Schweizer Poststempel die Ursache. Von der Schule nach Hause kommend, hatte er den Brief auf dem Spiegeltisch im Flur liegen sehen. Er nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam mit seinen kurzsichtigen Augen. Die Schriftzüge berührten ihn wie etwas Vergessenes, das man nicht an seinen Ort bringen kann. Wie geheimnisvoll das war, ein verschlossener Brief! Herrn Oberstaatsanwalt Wolf Freiherrn von Andergast, lautete die Adresse, geschrieben in einer runden raschen Schrift, die gleichsam auf Rädern lief. »Was mag das für ein Brief sein, Rie?« wandte er sich an die Hausdame, die aus der Küche trat. Er nannte Frau Rie seit seinen Kinderjahren kurzweg Rie. Sie war schon über neun Jahre im Haus und ihm so vertraut, wie eine Frau es sein kann, die den Platz der Mutter einzunehmen berufen ist und ihn in allen äußeren Dingen auch ausfüllt. Es sei bei dieser Gelegenheit gleich erwähnt, daß Herr von Andergast seit neuneinhalb Jahren geschieden war; die drakonischen Scheidungsbedingungen verpflichteten die Frau, sich von ihrem Kinde fernzuhalten, sie durfte ihn weder sehen noch ihm schreiben; selbstverständlich war es auch ihm verboten, ihr zu schreiben, und niemand durfte in seiner Gegenwart von ihr sprechen. So wußte der nun Sechzehnjährige nichts von seiner Mutter, der im Hause herrschende Geist hatte sogar den Antrieb erstickt, nach ihr zu fragen, man hatte ihm nur vor langer Zeit einmal beiläufig gesagt, als handle es sich um eine gleichgültige, fremde Person, sie lebe in Genf und könne aus Gründen, die er als erwachsener Mensch erfahren werde, nicht zu ihm kommen. Damit hatte er sich zufrieden gegeben, weil er sich zufrieden geben mußte. Ob er sich nicht heimlich mit der Sache beschäftigte, war bei der Verschlossenheit, die er in allem zeigte, was sein inneres Leben betraf, nicht zu ergründen. Er hatte zu schweigen gelernt, da er die Unübersteiglichkeit der Schranken kannte, die in einem Fall wie diesem der Wißbegier gesetzt waren. Je mehr auf ihn eindrang, das seine Anteilnahme heischte, je beherrschter glaubte er sich geben zu sollen. So wie die Frage an Frau Rie etwas hinterhältig geklungen hatte, war es bei allem, was er erfahren wollte: er stand im Hinterhalt, und seine kurzsichtigen Augen beobachteten Vorgänge und Personen mit gespannter Aufmerksamkeit.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 6896
  • Hinzugefügt am 03. Nov 2014 - 09:40 Uhr

Aufrufe: 19 | Downloads: 0

Verwandte Suchbegriffe

der, fall, maurizius, jakob, wassermann

Einsteller: sophie-clark

Kommentieren

1 Kommentar

  1. sophie-clark

    Etzel.der Sohn eines Staatsanwalts setzt sich für einen ehemaligen Gutsbesitzer ein,der unschuldig wegen Mordes im Zuchthaus sitzt.

    03. Nov 2015 - 17:03 Uhr

 

Alle Texte der Sammlung "Jakob Wassermann 05"

Prosa > Epik > RomanJakob Wassermann | in: Jakob Wassermann 05 | 1873-1934

Der Fall Maurizius Band I Teil 01

mehr…

    1 Schon ehe der Mann mit der Kapitänsmütze aufgetaucht war, hatte sich eine vorahnende Beunruhigung an dem Knaben Etzel gezeigt.