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Sammlung: Ludwig Habicht

Der Falschmünzer Teil 01

1830-1908, Ludwig Habicht

Die sturmbewegten Jahre 1848 und 1849 hatten viele Tausende im deutschen Vaterlande entwurzelt und in die Ferne getrieben. Die meisten, die in ihrer schäumenden Begeisterung für die Freiheit und ein noch unerreichbares Ideal mit den Gesetzen der guten alten Ordnung in Konflikt geraten, waren in die Schweiz oder nach England geflüchtet, um auf fremdem Boden nach tausend Entbehrungen und Kämpfen sich wieder eine Existenz zu erringen, oder völlig unterzugehen. Wer nicht durch irgend einen Zufall in die Schweiz verschlagen wurde, und wer besonders über keine großen Geldmittel zu verfügen hatte, der zog England vor. Dort, in dem Gewühl der Weltstadt, winkte doch für jedes Talent, für jede Arbeitskraft ein weiterer Spielraum, um sich Geltung zu verschaffen, zum wenigsten notdürftig zu behaupten.

Unter den vom Schicksal nach London Verschlagenen befand sich auch ein junger Gelehrter, Doktor Willibald. Er war trotz seiner Jugend in die Paulskirche gewählt worden, und wenn er auch dort nicht als ausgezeichneter Redner hervorgeragt, so hatte man doch seinen tüchtigen Charakter, sein vielseitiges Wissen, seine edle Begeisterung für die Sache des Vaterlandes sehr geschätzt. Wie von einem solch jugendlichen Feuer- und Brausekopf zu erwarten war, hatte er auf der äußersten Linken gesessen, war dann, nachdem durch das Zurückweisen der Kaiserkrone seitens Friedrich Wilhelms IV. die Verwirklichung des deutschen Einheitstraumes vorläufig wieder in weite, nebelhafte Ferne gerückt schien, in verzweifelter Stimmung mit dem Rumpfparlament nach Stuttgart gegangen, hatte sich dem nutzlosen Aufstande in Baden angeschlossenund war endlich nach London geflüchtet, um dem preußischen Standrechte, mindestens jahrelanger Festungshaft zu entgehen.

Wohl war Dr. Willibald einer großen Gefahr glücklich entronnen, aber das war auch alles. Mit seinem Idealismus, seiner Schwärmerei für Poesie und Kunst, für die hohe Weisheit der Hegelschen Philosophie fühlte er sich angewidert in einem Lande, wo über den reichen grünen Fluren eine graue Nebeldecke hängt und aus tausend turmhohen Essen eine schwarzgemischte Feuersäule steigt, die ankündet, daß man sich im Mittelpunkt der industriellen Welt befindet. Ihm war nicht wohl unter diesen ewig klappernden Maschinen, unter diesem Zischen und Brausen von Dampf und Wasser, unter diesem Wogen und Treiben nimmer ruhender Geschäftigkeit, wo ihn kein Freundesauge grüßte und sich keine Hand mit dem tröstenden Zuspruch bot: »Fremder, ich habe eine Minute Zeit für dich, ich werde dir helfen.« Rastlos drängte alles vorwärts, ein ewiger Lärm, ein ewiges Treiben, jeden Augenblick wurde von fortstürmenden Millionen die Schlacht des Lebens geschlagen und Tausende sanken täglich unter den grimmen Streichen, um schwer verwundet, einsam und hilflos zu verkommen, während dieser Kampf aller gegen alle weiter tobte.

Wie hätte sich der junge Doktor der Philosophie behaglich fühlen sollen in einer Welt, die mit seinem früheren stillen Heimwesen im grellsten Widerspruche stand?

Er war von den romantischen Ufern des Rheins endlich hierher verschlagen worden, in die qualmende Riesenstadt, in der jeder, wie von Furien gepeitscht, jeden Augenblick um sein Dasein zu ringen schien. Und doch, wie unheimlich gerade ihn dies fieberhafte Geschäftstreiben berührte, es gab kein Zurück – es galt, sich hier ebenfalls eine Existenz zu schaffen. Die kleine Summe, die ihm zur Verfügung stand, war bald aufgezehrt, und nun mußte an eine geregelte Einnahme gedacht werden; aber wie die erlangen in dieser kalten, nur von Maschinen und Händen bevölkerten Wüste?

Die politischen Freunde, denen London ebenfalls eine Zufluchtsstätte geworden, waren über die Weltstadt verstreut und hatten ja alle noch in der unwirtbaren Fremde mit tausend Schwierigkeiten zu ringen, und die übrigen Parteigenossen, die mit ihren wilden Demokratenbärten die Hauptstadt Großbritanniens unsicher machten, flößten Dr. Willibald kein großes Zutrauen ein. Jetzt erst gewahrte er, welchen Schlamm die Bewegung in Deutschland aufgewühlt, welch rohe, wüste Gesellen hinter ihnen gestanden, deren ungestümes Drängen er selbst und seine Freunde so viel beachtet. Dort in Frankfurt waren ihm diese Leute als gute Patrioten, als glühende Freunde der Freiheit erschienen, und jetzt erkannte er zu seinem Schmerz, daß sich hinter der Maske des Patriotismus nichts weiter geborgen, als geistige Verlumptheit, rohe Selbstsucht und Gemeinheit. So lange diese wackeren Republikaner gehofft, beim Zertrümmern alles Bestehenden gute Beute zu machen, hatten sie redlich und eifrig zusammen gestanden: jetzt war der schöne Traum zerronnen, und nun trat die niederträchtigste Selbstsucht des einzelnen zu Tage, zeigte sich erst, aus welch verzweifelten Elementen die radikale Partei zusammengesetzt war.

Nach einigen schmerzlichen und bitteren Erfahrungen erkannte der junge Doktor bald, daß es für ihn keine gefährlicheren Feinde gab, als die deutschen Flüchtlinge, besonders diejenigen, die seinem Bildungsgrade nicht angehörten.

Vergeblich war all sein Bemühen, an irgend einer Lehranstalt eine Stelle zu erhalten. Schon 1848 hatten sich in Deutschland sehr viele unmöglich gemacht und waren nach London gegangen, um hier jeden erdenklichen Lehrplatz zu besetzen; den Nachzüglern des folgenden Jahres mußte es deshalb schon ungleich schwerer werden, irgend ein Unterkommen zu finden. Selbst als der junge Philosoph Privatunterricht in alten und neuen Sprachen, in verschiedenen Wissensfächern ankündigte, meldete sich niemand. Da fiel ihm ein, daß er ja in seinen Mußestunden mit Vorliebe Flügel gespielt und man ihm sogar einige Fertigkeiten nachgerühmt habe. Durch die vielen deutschen Flüchtlinge war plötzlich in England der Sinn für Musik geweckt worden; Dr. Willibald erließ daher in der »Times« einige dahin zielende Inserate und siehe da, sie hatten wirklich Erfolg. Die Kunst, der er nur flüchtige Stunden gewidmet, sollte ihn jetzt überm Wasser halten, während all die Kenntnisse, die er in jahrelanger, harter Geistesarbeit aufgespeichert, nicht im stande waren, ihm den kleinsten Verdienst zu verschaffen. Es war freilich für den jungen Gelehrten äußerst demütigend, aber seit seiner Flucht aus Deutschland war schon manches Ideal in Trümmer gesunken, was verschlug es da, wenn auch sein ganzes Dasein eine schiefe Richtung nahm? Wer ihm einst gesagt hätte, als er noch wohlbestallter Oberlehrer an einem Gymnasium war und von einem Lehrstuhl an der Universität träumte, daß er nach zwei Jahren sich mit Unterricht im Flügelspielen abquälen und noch froh sein würde, einige ungeschickte Schüler zu bekommen.

Die Engländer sind keine vorwiegend musikalische Nation, und wenn sie sich jetzt auf die edle Tonkunst werfen, so muß Fleiß und Ausdauer das fehlende Talent ersetzen. Auch Dr. Willibald hatte sehr mittelmäßige Schüler und unter ihnen war Mr. Templeton der mittelmäßigste. Er hatte nicht das mindeste musikalische Talent, mißhandelte das arme Instrument entsetzlich, aber mit der Zähigkeit eines Engländers suchte er der widerspenstigen Kunst etwas beizukommen, und sein frisches, blühendes Gesicht erglänzte, wenn es ihm endlich gelang, ein leichtes Stück ohne Fehler abzuhaspeln. Dr. Willibald hatte ihm offen und ehrlich gesagt, daß bei seinem Mangel an musikalischem Gehör das dereinstige Resultat mit der aufgewandten Mühe in keinem Verhältnis stehen würde; doch Mr. Templeton ließ sich davon nicht abschrecken; er verzog nur seinen ziemlich breiten Mund zu einem Lächeln und erklärte, daß seine Braut es gewünscht, er möge sie auf dem Flügel begleiten, und daß er nicht eher aufhören könne, als bis er diese Fertigkeit erlangt habe. Sie mußte sehr schön oder sehr reich sein, die diesen etwas schwerfälligen jungen Mann anspornte, im Schweiße seines Angesichts Musik zu treiben, dachte Willibald und wäre neugierig gewesen, die Braut Mr. Templetons kennen zu lernen, um so mehr, als die blaugrauen Augen seines Schülers sich ungewöhnlich belebten, wenn er von seiner Braut sprach, was in der Folge, als beide näher miteinander bekannt waren, öfter geschah. Der Engländer ist gegen Fremde äußerst mißtrauisch und zurückhaltend, aber wenn einmal das Eis gebrochen, dann kehrt er seine im Grunde offene und gerade Natur heraus, und wem er einmal seine Freundschaft zugewandt, der kann sich auf ihn in allen Lebenslagen verlassen.

Auch Mr. Templeton faßte nach einiger Zeit ein besonderes Zutrauen zu seinem Lehrer, um so mehr, als er ihn »respektable« fand, womit der Engländer noch mehr bezeichnen will, als achtungswert. Dazu kam, daß beide so ziemlich in einem Alter waren und der junge Mann an der gelegentlichen Unterhaltung des Doktors großes Gefallen fand. Auch Willibald begann sich für seinen schlechtesten Schüler zu interessieren, der wenigstens soviel andre gute Eigenschaften hatte. Er besaß einen tüchtigen, gesunden Menschenverstand, der freilich beinahe englisches Nationaleigentum genannt werden könnte, eine lebhafte Teilnahme für alles Wissenswerte und einen äußerst gutmütigen Charakter und, was seltener ist, er war frei von jenen nationalen Vorurteilen, die seine Landsleute so stolz und je nachdem hochmütig und unerträglich machen, ja Dr. Willibald wollte sogar an seinem Schüler »Gemüt« entdeckt haben, jenen wunderbaren Quell, der aus dem tiefsten Herzen entspringt und der andern Nationen fehlt – sie haben nicht einmal das Wort dafür. –

Mr. Templeton war der Sohn eines reichen Kaufmanns der City und er hatte, wie dies bei den Engländern die Regel ist, schon ein gut Stück Welt gesehen. Seine Lehrzeit hatte er in einem großen Hamburger Handlungshause zugebracht, dann war er nach Cuba, später nach Indien gegangen, ein Jahr hatte er in New York zugebracht und dabei war es ihm doch schon möglich gewesen, die für jeden Gentleman notwendige Reise nach dem Kontinente zu machen; er hatte den Rhein, die Schweiz, Italien gesehen und noch dazu ohne jene Gleichgültigkeit, mit der gewöhnlich von seinen Landsleuten diese »Reisearbeit« verrichtet wird, vielmehr bekundeten seine Mitteilungen, daß er überall Sinn und Verständnis für das Schöne mitgebracht, und waren auch seine Urteile nicht von einem durch Kunststudien geläuterten Geschmack diktiert, so verrieten sie doch einen klaren, unbefangenen Blick und ein warmes, lebhaftes Interesse.

Selbst seine äußerliche Erscheinung unterschied sich etwas von dem Stockengländer. Seine Gestalt war nicht so in die Länge gezogen, so steif und ungelenk, er war kaum von Mittelgröße, mehr gedrungen, die Hände und Füße für einen Sohn Albions merkwürdig klein, zuweilen wurden auch seine Bewegungen rascher und lebhafter. Trotzdem wich sein ganzes Auftreten von seinen Landsleuten nicht im mindesten ab; er war für gewöhnlich ebenso schweigsam, so ungelenk in der Unterhaltung, so blöde und zurückhaltend, wie sie alle, nur schien dies Benehmen weniger auf Charaktereigenschaft zu ruhen, vielmehr ein Resultat der Erziehung zu sein.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 3208
  • Hinzugefügt am 14. Jan 2014 - 16:00 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

der, falschmünzer, ludwig, habicht, falschgeld, geldfälscher

Einsteller: sophie-clark

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2 Kommentare

  1. sophie-clark

    Kriminalgeschichte..

    28. Okt 2015 - 16:49 Uhr

  2. sophie-clark

    Im nächsten Teil:Ein Gespräch über musikalisches Talent.

    23. Nov 2015 - 15:25 Uhr

 

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