Text-Suche

Wer ist online

88 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Sammlung: Ludwig Anzengruber

Hartingers alte Sixtin Teil 01

1839-1889, Ludwig Anzengruber

An dem Zaune hinter dem Hartingerschen Gehöft lehnte breitbeinig ein hochgewachsener Bursche, den linken Arm hatte er untergestemmt und den rechten um die Hüfte seiner kleinen, drallen, braunäugigen Dirne gelegt, welche drinnen im Küchengarten stand. Manchmal, wenn er gar eifrig auf sie einsprach, strich der Flaum seines keimenden Backenbartes ihre Wange, dann lachte sie und schob ihn mit beiden Armen etwas von sich. Ihre Wangen brannten, ihre Blicke schielten seitwärts nach dem Boden, und wenn sie sich mitunter zwang, die Augen aufzuschlagen, so sah sie dem Burschen etwas stier in die seinen. Bald trat sie auf den einen Fuß, bald auf den anderen, und der freie tänzelte dann unstet herum und strich durch das Gras. Ein dichter, breiter Holunderstrauch, dessen weiße Blütenbüschel in der Abendluft einen starken Duft aushauchten, deckte dem Liebespaar den Rücken.

»Ich komm', Sopherl,« flüsterte der Bursche, »kannst dich verlassen, ich komm'.«

»Na, wenn d' kommst, so wirst da sein,« sagte die Dirn und zeigte die blanken Zähne, denn wenn etwas ein Spaß sein soll, so muß dazu gelacht werden. »Da werd' ich sein, kurios werd' ich da sein.« Er sagte ihr leise etwas ins Ohr und sie zerzupfte ein Holunderblatt.

»Es gilt?« Er hielt die breite Hand hin.

»Nein, Steffel.«

»Magst mich, so magst auch; magst mich nit, so magst nit. Zum Foppen und Hinhalten acht' ich mich auch für die reichste Bauerstochter z'gut.«

»Geh, was du gleich bös' sein magst. Denk nur, wie mer Gott's und Welt's wegen auch nit wenig in der Angst is.«

»Beileib', 's Fensterl riegeln mer fein sauber zu und sperren Gott und d' Welt aus.«

Sie legte beide runde Arme um seinen Hals und schmiegte den Kopf an seine Brust. »Ich tu' mich so viel fürchten, Steffel.«

»Hat's gar nit not, Sopherl.« Er sang halblaut:

»D' Lieb is voll Hoamlichkeit, 
So viel ich waß, 
D' Lieb' is kein Pöllerschuß, 
Fallst nit in d' Fraß

»Hat's wirklich nit not, Sopherl, daß d' dich fürcht'st.« Er flüsterte ihr ins Ohr, bis sie sich losriß und ihm eine Maulschelle gab. –

»Ui, ui,« rief der Bursch und hielt sich die Wange. »Wart' nur, kommst du mir grob, komm' ich dir auch nit fein.«

Die Dirne drehte sich aus ihren Schuhabsätzen um, als wollte sie davoneilen.

»Sopherl, mein!«

Sie blieb stehen.

 »Ich komm'.«

Da raffte sie beide Hände voll Holunderblätter und warf sie ihm an den Kopf, damit lief sie wirklich fort.

Der Bursch reckte sich hoch auf, so lang er war, und blickte schmunzelnd nach dem Hartingerschen Gehöft hinüber. Er drückte den Hut schief auf den Scheitel, dann tat er ein paar Schritte, besann sich wieder, blieb stehen und zog aus der Brusttasche eine kurze Pfeife hervor; nachdem er selbe unter vielen Umständlichkeiten ausgeklopft, gestopft und den Tabak in Brand gesetzt hatte, schritt er qualmend mit federnden Schritten den schmalen Steig entlang, aber nicht dem Dorfe zu.

Die jungen Leute, die auf so angenehme Weise die Zeit totschlugen, hatten es nicht gemerkt, daß sie schon längere Weile nicht mehr allein waren, daß jemand in den Garten getreten war und sich da zu schaffen machte.

Es war eine lange, hagere Magd, sie hatte ein leichtes Tuch nach vorne und hinten » zipfet« um den Kopf gebunden, so daß es von ihrem reichen tiefschwarzen Haar nichts sehen ließ, und wenngleich aus dem mürrischen Gesichte mit den herben Zügen ein Paar dunkle Augen brennend hervorleuchteten, so drückten doch die Brauen zu tief auf selbe herab. Die Kleidung, welche sie trug, verunzierte sie geradezu; dieselbe war freilich so reinlich wie nur möglich gehalten, doch schien sie in allen Stücken zusammengesucht; der Spenser mit dem langen Leib und den schmalen Ärmeln, der Rock, der ihr sackartig um die Beine schlotterte, und die plumpen Schnürstiefel ließen das Eckige und Derbknochige ihrer Gestalt über Gebühr hervortreten. Kurz eine Person, die nichts auf sich gab und ebensowenig auf andere zu geben schien.

Sie schritt an den Beeten hin, kniete an einzelnen nieder und jätete das Unkraut mit hastigen, aber sicheren Griffen aus, kein Wurzelstrunk blieb heil in der Erde zurück. Sie kam hinauf bis an das andere Ende und kniete jetzt dicht vor dem Holunderstrauch.

Sie horchte auf. Einen Augenblick flog ein höhnisches Lächeln über ihr Gesicht und sie murmelte: »Wenn man dasTschapperl machen ließ!?« Dann aber nahmen ihre Züge einen tiefen Ernst an und sie schüttelte mehrmal nachdrücklich den Kopf.

 Die Leute im Ort sagten, über Hartingers Sixtin wäre nicht klug zu werden. Vor Jahren kam sie zu einer Zeit, wo sie auf dem Hofe überzählig war und ihr Teil Arbeit ihr von der der andern zugewiesen werden mußte. Bald merkte das Gesinde, daß sie sich noch nebenher, außer den Stunden, zu beschäftigen suchte und nahm ihr dieses »Schönmachen vor dem Dienstherrn« anfangs gewaltig übel; als man aber sah, daß sie dabei blieb, ob nun der Bauer um die Wege war oder nicht, da kannte man sich erst recht nicht mit ihr aus und zuckte die Achseln. Die erste Zeit ließ sich's der Hartinger angelegen sein, sein einziges Kind, die damals kleine Sopherl, von der Sixtin fern zu halten; er brauchte sich nicht lange darüber Sorge zu machen, denn die Magd hielt sich alsbald fremd zu dem Kinde, wie später auch zu der heranwachsenden Dirne. Jedes Jahr, wenn der Tag wiederkehrte, an welchem sie dermaleinst der Hartinger in seinen Dienst genommen, trat sie in aller Frühe zu dem Bauer in die Stube, zog die Türe hinter sich vorsorglich zu und verblieb eine kleine Weile mit dem Alten allein. Das fiel dem Gesinde auf, es verlegte sich aufs Horchen an der Türe und aufs Lugen durchs Schlüsselloch, um doch zu wissen, was die beiden miteinander hätten, und bald wußte man, daß es damit Jahr für Jahr, das eine wie das andere Mal folgenden Hergang hatte.

Die Sixtin sagte: »Guten Morgen, Bauer, mit dem heutigen Tage ist wieder ein Jahr um.«

»Ich weiß,« sagte er und nickte.

»Hast du mir etwas zu verweisen,« sagte sie, »oder eine Vermahnung, oder ein Begehr?«

»Nein,« sagte er, »hast dich brav g'halten.«

»So vergelt dir's Gott, Bauer,« sagte sie. »Jetzt geh' ich für dich beten.« Darauf griff sie seine Hand, küßte sie und ging geradenweges nach der Kirche. Den Bauer konnte man immer danach eine Weile nachdenklich am Fenster stehen sehen.

»Es ist nicht daraus klug zu werden,« sagten die Leute, »aber möcht' nur der Hartinger reden, der muß was wissen.« Sie hatten recht.

Es hätte sich ein Roman daraus machen lassen, gewiß – und verstünde ich mich dazu, die Vorgeschichte als Hauptgeschichte zu behandeln, so sollte der Leser so viel Herzweh und Jammer in Kauf bekommen, daß er es nicht für möglich hielte, eine Menschenseele vermöchte dies alles zu ertragen; denn nimmt es uns auch gar nicht wunder, wenn einer, der unter der Last von Schuld und Elend zusammenbricht, im Leben leben bleibt, im Romane verlangen wir was von Verzweiflung und Untergang, reinweiße Sterbehemden über sündige und unschön im Kampfe des Lebens zerfetzte Körper.

Ich verstehe mich aber nicht dazu, die Vorgeschichte zur Hauptgeschichte zu machen; und all das Herzleid und der Jammer war vor langem gewesen, und daß ein Anfang zu seinem Ende gemacht wurde, das geschah vor zwölf Jahren, als der Hartinger, damals schon Witwer, auf seiner Stube saß und einen Brief oft in der Hand hin und her wandte, den ihm sein hochwürdiger Herr Bruder, welcher Pfarrer in einem Provinzialkreisstädtchen war, geschrieben hatte.

»Ei mein', ei mein',« sagte der Hartinger, »er hat gut von Erbarmnis reden, der Bruder, ob er aber an meiner Stell' tät', wie er von mir verlangt? Soll da die Dirn' auf mein' Hof nehmen, die Sixtin, von der er schreibt, daß sie gerade aus dem Strafhaus kommt. – Und aus was für ein' Anlaß is sie drin g'west! O du heilige Gnadenmutter, schütz' du allzeit die arm' schwachen Weiberleut', schütz' mir auch mein Kind!«

 Er blickte durch das Fenster hinaus auf den Hof, wo die kleine, damals vierjährige Sopherl mit glatten, bunten Kieseln spielte.

»Was könnt' ihr die wohl auch mit der Zeit abgucken? Mit der soll sie sich nur auch nix zu schaffen machen. Aber kommen lassen werd' ich's wohl müssen, der Bruder schreibt so dringlich, und ich kenn' ihn, er is a eigensinniger Ding. No, in Gott's Jesus Namen, er geb' sein' Segen dazu!«

Mit aller Bedächtigkeit fertigte er das Antwortschreiben aus und mit der nächsten Woche kam die Sixtin auf den Hof; sie sah damalen nicht anders aus wie heute, sie schritt auf den Bauer zu, meldete ihm einen Gruß von seinem hochwürdigen Herrn Bruder und sie wäre die, wie er wohl wisse.

»Ich weiß,« sagte er rauh. »Also du bist es? No, was ich einmal versprochen hab', das halt' ich auch.« Er bot ihr zur Bekräftigung die Hand und als sie dieselbe ergriff und küßte, da fühlte er, wie ihre Lippen krampfhaft zuckten und zwei schwere Tropfen rannen ihm über den Knöchel. Er trat zurück und sagte leutseliger: »'s hat dich hart angegangen.«

Da beugte sie sich noch tiefer, als wollte sie zusammensinken. In des Bauers Brust erwachte ein Gefühl, das jeden befällt, vor dem, wenn auch verschuldetes Elend in seiner ganzen ratlosen Angst und hilflosen Demut steht, rasch sagte er in begütigendem Tone: »No, sei halt g'scheit,« und wandte sich ab.

So war sie ins Haus gekommen, etliche, die sich in der Nähe verhielten, hatten kein Wort verloren, aber doch nichts ausgefunden. Nein, es war nicht klug zu werden über die Sixtin, die nämliche, die jetzt dort im Garten vor dem Holunderstrauch kniete, aus dem nun in aller Hast die kleine Dirne hervorbrach.

»Guten Abend, Sopherl,« rief die Magd sie an.

Die Füße wurzelten dem Mädchen an dem Boden, und wie es erschrak, das bewies die Rechte, die schnell nach dem hochklopfenden Herzen fuhr, doch blickte es trotzig und finster und sagte: »Hast gelauert?«

»Zufällig,« sagte die Sixtin, während sie sich erhob. »Nit mit Willen, aber nit ungern.« Sie trat näher und sagte zutraulich, indem sie Sopherl neckend in die Seite stupfte: »Suchst dir auch schon was Lieb's. Aber gelt, armer Hascher, die Zeit wird dir allmächtig lang werden, bis er fensterln kommt, der Steffel?«

Hätte der Hartinger die beiden beobachtet, er würde sicher geglaubt haben, nun gingen die schlimmsten Befürchtungen, die er der Sixtin wegen hatte, in Erfüllung und – er hätte ihr damit unrecht getan. Wollte die Magd dem Mädchen gegenüber sich als Sittenrichterin aufspielen, so gönnte ihr dasselbe kein gutes Wort, wenn überaus eines, und es blieb nichts über, als den Handel dem Vater zu verraten; dann aber wäre es an ein strenges Behüten und Aufpassen gegangen und dabei groß' Frage gewesen, ob sich 's dadurch mit der Dirn gebessert und wer es schließlich dem andern abgewonnen hätte. Die Sixtin dachte ihren eigenen Weg zu gehen und wenn es für sie auch ein Leidensweg war, darum fuhr sie in der angenommenen, zweideutigen Freundlichkeit fort: »Ja, ja, 's is noch a liebe, lange Weil' hin, aber wenn's dir recht sein möcht', so ging' ich mit dir auf dein Kammerl und da täten wir reden von lauter Liebssachen.«

»Weißt du auch davon?« kicherte die Sopherl. 

»Ei freilich. Glaubst du, ich war all' mein' Zeit nur Haut und Knochen, wie jetzt? I bewahr'. Komm nur, komm. Ich verstör' euch nit, ich verhalt' mich kein Minuten länger, als sich schickt; wie sich unterm Fensterl was meld't, gewinn' ich die Tür.«

»Geh du, was du für eine bist, das säh' mer dir gar nicht an,« sagte Sopherl und legte ihren Arm um die Hüfte der Magd und zog sie mit sich vorwärts nach dem Wohngebäude; dieses stand so recht inmitten der ganzen Wirtschaft, nach rückwärts hinaus lag der große Garten und nach vorne ein geräumiger Hof mit Scheunen und Ställen, der durch ein großes Tor mit zwei Holzgatterflügeln abgeschlossen wurde; es war breit genug, um einen Heuwagen einzulassen. Unter dem Fenster von Sopherls Schlafkammer befand sich ein kleines Vorgärtel und hatte seine eigene, rings mit Latten benagelte Umfriedigung.

Während die beiden Frauenzimmer die Treppe hinanstiegen, stand der alte Hartinger vorne an dem Tore des Gehöftes im Gespräch mit einem kleinen, schmächtigen, glatzköpfigen Männlein; die Glatze ließ es eben sehen, weil es den Hut abgenommen hatte und sich den Schweiß abtrocknete, und wenn man den Filz, von der breiten Faust gehalten, mit seinen Rändern beinahe den Boden streifen sah, so merkte man wohl, daß die Arme des Kleinen etwas zu lang geraten waren; auf dem Rücken trug er eine Kraxe mit Warenkästen, lag einer über dem andern und ragten über den Träger hinaus, so lang oder so kurz der selber war.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 3529
  • Hinzugefügt am 22. Jan 2014 - 08:42 Uhr

Aufrufe: 19 | Downloads: 0 | Dieser Text gefällt einer Person
Der Text hat 3 Empfehlungen in sozialen Netzwerken.

Verwandte Suchbegriffe

zaun, gehöft, bursche, abendluft, liebespaar

Einsteller: sophie-clark

Kommentieren

Noch keine Kommentare vorhanden.

 

Alle Texte der Sammlung "Ludwig Anzengruber"

Prosa > Epik > ErzählungLudwig Anzengruber | in: Ludwig Anzengruber | 1839-1889

Hartingers alte Sixtin Teil 01

mehr…

An dem Zaune hinter dem Hartingerschen Gehöft lehnte breitbeinig ein hochgewachsener Bursche, den linken Arm hatte er untergestemmt und den rechten um die Hüfte