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Sammlung: Ernst Barlach 02

Sturm Teil 01

1870-1938, Ernst Barlach

Am Himmel fliegt eine klumpige Wolke wie ein schwarzer Sack, und der Halbmond hängt darunter wie eine silberne Gondel. Die Leute gehen vornüber, als stünden sie auf einem sinkenden Schiff, der Wind stopft ihnen Mund und Nasenlöcher und legt ihnen eine unsichtbare, schwere Last auf Brust und Schultern, daß sie keuchen und gebeugt wie Lastträger vorwärtsschreiten. Den Menschen, die genug an ihren eigenen Geschäften zu tragen haben, denen ist der Sturm eine Wiege, in der sie ihr schlafloses Sorgenkind ein wenig zum Dämmern und Träumen bringen, aber den andern, den Sorglosen, Befreiten, den Gleichmütigen in ihrer gelangweilten Selbstüberdrüssigkeit und Selbstzufriedenheit, denen ist er ein Ohrenbläser, der von irgendetwas unheimlich Nahem raunt, die sind wie vor eine spanische Wand gestellt, hinter der das Schicksal irgendetwas Schweres aufbaut, das seine Ahnung in dumpfem Druck von sich läßt und über sie schickt. Und selbst die Leichtsinnigsten haben einen leisen Stich, ein Pünktchen auf ihrer glatten Seele, nur ein Bläschen von Stecknadelkopfdicke, aber wenn sie es spüren, kühlt sie doch ein leiser Schauer, ob es nicht eine Blutvergiftung, ein erstes Zeichen böser Dinge bedeuten könnte.

Die Bäume lassen sich wiegen in ihrer Frömmigkeit oder schütteln, wie er will, sie wissens nicht besser, als daß alles kommen wird, wie es kommen muß. Die Erde, in der sie wurzeln, hebt und senkt sich auf der Windseite bei den stärksten Stößen, und dünne Risse öffnen sich einen Augenblick und schließen sich wieder, wenn der Stoß nachläßt. Die Pfützen und den Fluß überläuft es wie Gänsehaut, wenn sie den Wind spüren, aber wenn er ihnen stärker zusetzt und Furchen schaufelt, scheint es doch, als verführte sie der Leichtsinnige und Wilde zum Mittun, als versuchte sich das Wasser im Windwerden und als schlügen sie unversehens einmal über die Stränge des ewig Waagerechten. Da scheint das strenge Gesetz [der] Trennung von Luft und Wasser ein wenig gelockert, und die Farbe des grauen Tages fühlt sich schon wohl im sonst so schwarzen Wasser, das schlafende schimmert matt silbrig vom verschämten Lächeln der Lüsternheit nach luftiger Entartung, nach Erlösung vom ewig ehrbaren und stilstrengen Ichsein.

Nur die Wiese ändert keine Linie, aber vielleicht ist die Zucht des schweren Bodens am tiefsten gelockert, von einem Krampf der Hingebung an das Schmeicheln und ungestüme Bedrängen, ja, die Willenlosigkeit des wehenden Grases läßt die verborgene Durchdrungenheit der Erde von diesen Windseligkeiten ahnen, und am Ende ist sie die Verführteste von allen. Wie Maulwürfe wühlt der Schmerz in ihren Tiefen, daß sie bleiben muß, was sie ist; aber die Tausende schwarzer Häufchen liegen in Reihen und Kringeln doch allsichtbarlich da und zeigen, daß da unten etwas steckt, etwas Schwarzes, Schweres und doch Weich-Verlangendes, etwas Mystisches wie Schicksal und Seele; etwas, das wie ein Laster aufbricht und doch nichts ist als Sehnsucht und unwiderstehliche Triebe.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 3102
  • Hinzugefügt am 11. Jan 2014 - 15:24 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

sturm, ernst, barlach, himmel, halbmond

Einsteller: sophie-clark

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2 Kommentare

  1. sophie-clark

    Ernst Barlach wurde am 2.Januar 1870 in Barlach geboren.

    21. Okt 2015 - 15:29 Uhr

  2. sophie-clark

    Vorherige Erzählung:Reise des Humors und der Beobachtungsgabe

    02. Aug 2017 - 16:26 Uhr

 

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