Text-Suche

Wer ist online

75 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Sammlung: Arthur Achleitner 05

Der linke Schacherer Teil 01

o. J., Arthur Achleitner

1.

Am rechten Ufer der munteren, Städte teilenden Salzach, einige Stunden von der Hauptstadt Salzburg entfernt, baut sich in scharfer Steigung ein Höhenrücken von großer Ausdehnung auf, der Haunsberg, das äußerste Vorgebirge von Salzburgs nordischen Alpen mit dem Edelsitz der Hauensberger (Hounsberg), deren Besitzungen zu mittelalterlicher Zeit weit nach Tirol, Kärnten, Bayern, Steiermark und Österreich hineinreichten.

Ein lieblicher Ausblick eröffnet sich von diesem Hochwald und fruchtbares Ackerland umfassenden über sechs Stunden langen Höhenrücken. Dem Morgen zu wird der Blick überrascht durch das anmutende Bild des idyllischen Mattsee, drüben weiter der Wallersee, über welchen die Bergriesen des Salzkammergutes herübergrüßen, überragt vom eisumgürteten Dachstein, dann die Steinwüsten des Tännengebirges, des hohen Gölls, des sagenreichen Untersberges und der Ausläufer bis zum bayerischen Wendelstein. Dem Westen zu öffnet sich in unabsehbarer Ausdehnung die bayerische Hochebene, abgegrenzt von den Schlangenwindungen der silberglänzenden hastig dem Inn entgegeneilenden Salzach. Ein lohnender Ausblick fürwahr von dem Bergrücken mit so geringer Seehöhe. Ein für Naturschönheit empfängliches Auge mussten die Erbauer jener Bauernhäuser gehabt haben, deren Mauern am Nordwesthang des Haunsberges aufragen. Zwei Höfe stehen in ziemlich enger Nachbarschaft, ein bescheidenes Haus mit Scheune und kleinem Stall mit dem Zunamen, der »rechte Schacherer«. Dafür bläht sich auf Büchsenschussweite der wuchtige Bau des »linken Schacherer« auf, mit seinen stolzen Mauern gleichsam pochend auf Macht und Gewalt, kühn aufragend wie der nahe Klosterberg, auf welchem, eine Stätte mönchischer Gelehrsamkeit, das Stift Michaelbeuren thront. Der »linke Schacherer« steht mit seinen Quadern auf freiem, klösterlichen Grund als Nachfolger eines mittelalterlichen Frauenklosters. Wie auch an anderen Orten dem Skapulier stets der Schleier nahe zu sein pflegte. In einer Zeit des Robots und Zehents ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Keck guckt dieses Gehöft in die freie Welt, in die schöne Landschaft. So mögen einst die schwertumgürteten Ritter ausgeblickt haben, wenn heranziehende Kaufleute Staub aufwirbelten auf der völkerverbindenden Heerstraße. Und später fromme Klosterfrauen sehnsüchtigen Blickes hinüber zum ob seiner Gelehrsamkeit und feinen Tafel berühmten Stift Michaelbeuren.

Hellen Auges, kecken Blickes schaute auch zu Beginn unserer Erzählung im Anfang der fünfziger Jahre der Bewohner des linken Schachererhofes in die ihn umgebende Welt.

Hansjörgel war um die angegebene Zeit ein etwa fünfunddreissigjähriger Bursche, dem die »Schneid« und Verwegenheit im ersten Augenblick vom Gesicht abzulesen war. Trotzig saß ihm der Hut mit der Auerhahnfeder auf dem pechschwarzen vollen Haar, keck blickten seine dunklen Augen aus dem sonnenverbrannten Gesicht und über dem auffallend kleinen Mund saß ein keck aufgedrehter schwarzer Schnurrbart, um den ihn der fescheste Kavallerist hätte beneiden können. Nach alter Sitte trug er Beinkleider, die in ihrer unteren Hälfte aus Leder gefertigt waren, zum Schutz gegen das Abstoßen und Durchwetzen bei langem Gebrauch. Der kecke Bursche stand in massiven Stiefeln und stützte sich mit seinen wuchtigen Fäusten just auf das Hackbeil und lauschte aufmerksam nach dem Tannicht hinüber, aus welchem ein Ruf ihn aus seiner Beschäftigung des Holzzerkleinerns eben aufgerüttelt hatte. Allein nichts rührte sich, es musste also Täuschung sein. Hansjörgerl schwingt das Beil aufs neue, dass die Splitter weit im Kreis herumfliegen und Zeugnis von seinem Fleiss geben. Das muss ihm der Neid lassen, wenn Hansjörgerl einmal die Arbeit anfasste, dann packte er sie mit seinen Fäusten voll und ganz und sie ging ihm dann flott, wie spielend von der Hand. Aber gar so sehr pressierte es ihm nicht immer mit dem arbeiten. Die häuslichen Arbeiten verrichtete eine Verwandte von ihm, die alte Traudl, welche für die paar Knechte und Mägde kocht und für das Hauswesen sorgt, denn Hansjörgel ist trotz seiner fünfunddreissig Jahre noch immer ledig und hat sich nicht entschließen können, eine richtige Bäuerin auf den Schachererhof zu bringen. Fesche »Häuserinnen« hatten allerdings eine Zeitlang im Schachererhof residiert, aber das dauerte nie lange. Wie so eine saubere Häuserin anfing, dem Hansjörgel den Pantoffel aufzunötigen oder gar vom Heiraten einige Wörtchen fallen ließ, flugs war die ganze Geschichte wieder aus und die vorlaute Sprecherin über die Schwelle. Der Hansjörgl war indes durchaus kein Frauenfeind. Das weiß die Resi auf dem Röserlhof unten bei Weitwörth im Salzachtal sehr genau, er und sie lieben sich ja schon lange, auf die nächste Lichtmess schon sieben Jahre. Also gewissermaßen lange genug, um einmal Ernst zu machen mit einer Hochzeit, zu der auch der Pfarrer von Lauterbach »ja« sagt und nicht bloß der Hansjörgl.

Aber der Hansjörgl als Hauptperson mag nicht und so lange er nicht will, wird aus der Hochzeit nichts. Der Resi unten, die wie Hansjörgel auch als Waise das ererbte Bauerngut bewirtschaftete, passt dieses Hinausziehen schon geraume Zeit nicht mehr, das sie zum Gespött im ganzen Tal macht, denn die Oberndorfer wie die Weitwörther Buben nennen sie nie anders, als die »ewige Braut« und machen dann recht anzügliche Bemerkungen wegen dem Myrthenkranz. Resi, die schmucke rotblonde Bäuerin mit üppigen Formen und sinnlichen Lippen gehörte ihrer ganzen vollen Erscheinung und Typus nach eigentlich nicht in diese Gegend, sie war nach Wuchs und Heissblütigkeit Südländerin, keine Bäuerin aus dem Salzburger Vorland. Die Eltern hatten sich schon über dieses Spiel der Natur gewundert und später noch vielmehr die heiratsfähigen Burschen, die nicht schlecht abblitzten, wenn sie dem Röserlhof seine Besitzerin rauben und zum Altar führen wollten.

Wie Resi aber den Hansjörgerl zum ersten Mal sah in seiner kraftstrotzenden Schönheit und Verwegenheit, wie er die Burschen meisterte und kurz entschlossen die ganze Raufgesellschaft an die Luft beförderte, als die Kämpfer das Messer ziehen wollten, da wurde ihr so eigenartig zumute und heftiger pochte es im Herzen. Und fast erschrocken bebte sie zusammen, als Hansjörgel sie ihrem Tänzer abnahm, ohne viel zu fragen, ob dies auch Sitte oder gegen den Brauch sei und hatte dem erschrockenen Mädel auch schon den Arm um die Hüfte gelegt. Die Musikanten mussten aufspielen, so lustig, wie sie nur konnten, Kronentaler wirken in solchen Fällen Wunder. Resis erster Tänzer ballte wohl die Faust im Sack, wagte aber, wozu er nach Landesbrauch berechtigt gewesen wäre, keinen offenen Einspruch, es schien ihm nicht ratsam, seine Knochen in nähere Berührung mit Jörgels Fäusten zu bringen.

Der Rest imponierte dieser Gewaltakt ungeheuer. Solche Extravaganzen durfte sich nur einer erlauben, der keine Gegner fürchtet und jeden Kampf siegesgewiss aufnimmt. Als Jörgel aber jeden Tanz nur mit ihr »strampfen« wollte und bezwungen von des Mädels südlicher Schönheit immer hitziger wurde, da regte sich in der jungen Bäuerin der alte Trotz und unwillig des ihr auferlegten Zwanges, schüttelte sie den Burschen ab und hieß ihn, sich nach einer anderen Tänzerin umzusehen. Hansjörgel lachte, dass es ihn schüttelte. »Oho, Mädel, so sind wir nich; ich lass nicht aus, wenn ich nicht will!« rief er, reckte seine Riesengestalt in die Höhe und hob mit einem einzigen Griff das Mädchen vom Tisch, dass es zappelte. Und mit einem Ruck setzte er das zitternde Mädel mitten in den Tanzsaal, verlangte einen Extratanz und hopste mit seiner verblüfften Tänzerin aus Leibeskräften allein herum zum hellen Gaudium der Burschen und Bauern. Dann ließ er süßen Wein auftischen und Kuchen dazu, wovon essen und trinken konnte, wer nur Lust dazu hatte.

»So sind wir!« jauchzte er lustig in den von Tabaksqualm und Staub erfüllten, heißen Saal, dann führte er sein Mädchen wieder zum Tisch. Unbestritten war Jörgel Herr der Situation, es galt unter den Burschen für ausgemacht, wer nun der Bub der Resi sein werde.

Das Mädchen zog nun doch andere Seiten auf und gab wenigstens scheinbar nach, indem Resi sich wieder an den Tisch setzte, wo die Zäzil vom Gasteiner, die Schreckliesl und die Mädchen von Kroisbach sich zusammengesetzt hatten und tapfer in die Kuchen bissen und vom süßen Wein naschten. Lange konnte aber der Hansjörgel nicht ruhig sitzen, er wollte noch »eine Hetz« haben, bevor der Morgen anbrach, der den Tanzfreuden ein Ende machte. Er wisperte einem Burschen etwas ins Ohr, worauf dieser verschwand. Nicht lange darauf hatte Jörgel, was er wünschte, eine Zither vor sich liegen. Man hätte es gar nicht glauben sollen, dass seine gewaltigen schwieligen Finger mit den zarten dünnen Saiten der Schlagzither so gut umgehen können. Fest griff er zu und spielte Vierzeilige auf, den lachenden Blick auf Resi gerichtet, der eine Blutwelle nach der anderen ins blühende Gesicht schoss. Dann hub er mit voller Stimme an:

»Und a frischer Bub bin ich,
tu gern etwas wagen,
tu gleich um ein Küsschen
einen Purzelbaum schlagen.«

Die Burschen und Mädchen lachten, dass ihnen die Köpfe wackelten, denn sie wussten, was jetzt folgen würde. Viele hatten den Blick Jörgels auf Resi bemerkt und verstanden, dass das Trotzliedel auf die Jungbäuerin gemünzt war. Aber Resi nicht faul hob rasch das Köpfchen, dass die Kopftüchelenden flatterten und sang ohne Begleitung:

»Die Küsschen machen Flecken,
meine Mutter hat es gesagt,
drum nehme ich mich gewaltig
vorm Küssen in Acht.«

Erwartungsvoll blickte nun alles auf den Jörgel, ob er wohl einen Trumpf darauf zu setzen habe. Und er hatte ihn sofort, indem er antwortete:

»Dass das Küsen eine scheckig macht,
das ist erdichtet,
sonst hätten viele Mädchen
ein scheckiges Gesicht.«

Ehe sich die Burschen satt gelacht hatten, war Jörgel auch schon aufgesprungen und mit einem Satz bei Resi, die er packte in der Absicht, dem Mädchen einen tüchtigen Schmatz auf die vollen Lippen zu pressen. Wie verzweifelt wehrte sich das Mädchen und puffte aus Leibeskräften an dem Riesenmenschen herum, aber Jörgel zog die sich Sträubende immer fester an sich, das sie bald wie in einem Schraubstock war und wehrlos dulden musste, wie er sie küsste, dass es nur so schnalzte.

Die Tischgesellschaft johlte vor Vergnügen. Resi aber raffte sich zornig auf, schlug die Hände vor das glühende Gesicht und eilte aus dem Saal, flink wie ein aufgescheuchtes Reh dem nahen Hof zu.

Den weiten Weg nicht scheuend war dann im Laufe der Zeit Jörgel »Fensterln« gegangen, oft vergebens, aber seine Ausdauer wurde endlich doch belohnt und das Fenster tat sich einmal doch auf. Jörgel und Resi wurden »Liebesleute« und das fand jeder ganz in der Ordnung. Die Leute passten prächtig zusammen, ein schöneres Paar war von Salzburg bis Oberndorf nirgends zu finden und ihre Vermögensverhältnisse schienen auch füreinander zu passen. Jörgel erschien zum Kirchweihtanz und bei anderen öffentlichen Festlichkeiten stets mit seiner Resi und die Umgebung hatte sich daran gewöhnt, die beiden als »Hochzeiter« zu betrachten.

Nur als ein Jahr nach dem anderen ins Land zog, ohne dass der Priester den Bund segnete, da wurde die Sache viel besprochen und die Resi vom Röserlhof Gegenstand bissiger Anzüglichkeiten. Dem Jörgel gegenüber wagte niemand eine Anspielung, denn seine Fäuste waren gefürchtet in der ganzen Gegend. Wenn er etwas davon hörte, wie die Bauern über seinen »Schatz« sprachen, dann lachte er, zeigte die blinkenden Zähne und sagte nur: »Das ist meine Sache!« Dabei blieb es.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8202
  • Hinzugefügt am 06. Jan 2021 - 19:48 Uhr

Aufrufe: 11 | Downloads: 0

Verwandte Suchbegriffe

Der, linke, Schacherer, Arthur, Achleitner

Einsteller: sophie-clark

Kommentieren

Noch keine Kommentare vorhanden.

 

Alle Texte der Sammlung "Arthur Achleitner 05"

Prosa > Epik > ErzählungArthur Achleitner | in: Arthur Achleitner 05 | o. J.

Der linke Schacherer Teil 01

mehr…

1. Am rechten Ufer der munteren, Städte teilenden Salzach, einige Stunden von der Hauptstadt Salzburg entfernt, baut sich in scharfer Steigung ein Höhenrücken von