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Sammlung: Arthur Achleitner 04

Nur eine Nelke Teil 01

o. J., Arthur Achleitner

Die Botanik war die Leidenschaft des Herrn Patzelsperger, seit er sich in den besten Jahren zur Ruhe gesetzt hat. Seinen Blumen zu Liebe war er bis in sein vierzigstes Lebensjahr ledig geblieben, die Pflege seiner Lieblinge im Garten und Treibhaus ließ ihn ganz vergessen, dass auch unter den Mädchen manch liebliche Blume blühte. Kaum, dass es drinnen im Gebirge Frühling wurde, zog Herr Patzelsperger, nachdem er seine Pfleglinge dem Gärtner anvertraut hatte, hinaus. Ihn hielt es nicht mehr in dem Häusermeer, wenn draußen die Primeln und Glockenblümelein den Frühling einläuteten. Bewaffnet mit einer riesigen Blechtrommel, ging Herr Patzelsperger botanisieren, mit seltenem Eifer, mit einer wahren Leidenschaft, die nur noch im Sommer von den Schmetterlingen und den fleißigen Bienen übertroffen werden konnte. In vielen Tälern und auf einsamen Höhen kannte jung und alt den »Blumenfex«, wie ihn die Gebirgler nannten, weil er willig die größten Strapazen ertrug, um nach seltenen Blumen zu fahnden.

Heuer war Herr Patzelsperger trotz des regnerischen Sommers gar weit in die Tiroler Berge geraten. Die bayerischen Berge, die Flora des Unterinntales waren von ihm längst »abgegrast«, ihn lockte jetzt die Dolomitenblumenwelt. An seinem Stammtisch in der Wurstküche zu München hatte er den Winter über oft die These verteidigt, dass an Orten mit mineralogischem Reichtum sich auch eine reiche Flora fand. Viel Glück hatte er mit dieser Behauptung nicht, denn von der ganzen Flora des Königreiches Bayern interessierte die Stammtischgesellschaft, Herrn Patzelsperger ausgenommen, in der Zeit von Ostern bis Michaeli nur der gutgeratene, feingeschnittene und stark gesalzene Radi, der selbst den bajuwarischen Soldaten lieber ist, als Pomeranzen, was ein Isarwinkler in Uniform einst aus der Akropolis dem König Otto ins Gesicht gesagt hat.

Als eine Perle nach Herrn Patzelspergers Geschmack wurde ihm die große Seißeralpe in Südtirol gerühmt, wenn seine These richtig sein sollte. Was diese größte Alm Tirols an Mineralien bietet, sei enorm, möglich, dass die Flora sich als konkurrenzfähig erweist.

Den Brenner hatte Herr Patzelsperger bereits überschritten, es wässerte der Himmel auch auf Südtirol herab. Ja statt des ersehnten Gerstensaftes gab es hinter Franzensfeste gar noch veritablen Schnee, wie zu Allerheiligen im Campo santo zu München. Noch tröstete den Blumenfex die gerühmte Seißeralm, auf die er frohen Mutes von Kastelruth aus losstapfte, weil eben ein Quadratmeter blauer Himmel sichtbar wurde und der majestätische Schlern in tiefe Tinten getaucht herüber grüßte. 

Lange schon marschiert Herr Patzelsperger, aber von einer Alm hat er noch wenig gesehen. Drei Stunden werde er wohl brauchen bis auf die Seißeralm, hat man ihm in Kastelruth gesagt. Gottlob, kommt auf dem Plattenweg eben ein Maultier und hinterdrein ein Knecht daher. Der schmucke Bursche mit rabenschwarzem Haar und keckem Schnurrbart muss doch Auskunft geben können.

Ja, Schnecken! War ein Grödener, den Dialekt mit ladinischen Brocken versteht der stärkste Münchner nicht. Herr Patzelsperger, der sich auf seine Sprachkenntnisse nicht wenig einbildet, seit er die Botanik studiert hat, hat nur die letzten zwei Worte gründlich verstanden: »Wohl, wohl!«

Na, dann weiter, mit der Blumensucherei ist es ja ohnehin nichts, hoffentlich wird es oben und am Puflatsch besser. Aber ärgerlich ist es doch, dass am Ende die Stammtischler in der Wurstküche Recht bekommen sollten mit dem Kampf gegen seine These. Wäre rein zum aus der Haut fahren! Versteht außer dem dicken Aktuar (und der hat es auch schon längst verschwitzt) kein Mensch was von der Blumologie.

Der Weg macht eine Krümmung, noch eine kleine Anhöhe. »Jesus, eine Alm!«, schreit Herr Patzelsperger frohlockend. Bevor er aber das erhabene, wenn ich nicht irre von Richard Wagner komponierte Lied anstimmte. »Grüß dich Gott, meine liebe Sennerin!«, zog er die Uhr hervor. Die frühe Nachmittagsstunde erlaubte ein Weiterwandern, umfasst ja doch die Seißeralpe an die siebzig Sennhütten. Herr Patzelsperger hatte also die Wahl. Also weiter gewandert!

Mit der Flora wird es immer trübseliger, sie nimmt im umgekehrten Verhältnis zur Wolkenmenge am bleigrauen Himmel ab und hört, wie Herr Patzelsperger zur zweiten Almhütte kommt, ganz auf. Nichts als Gras, das kurze Gras, das aussieht, als wäre es eben sorgfältig geschoren worden. War der Blumenfex bisher ärgerlich, so wurde er jetzt springgiftig, denn Herrn Patzelspergers Gemütsart war nicht sanfter Natur.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8200
  • Hinzugefügt am 06. Jan 2021 - 11:11 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

Botanik, Ruhe, Blume, Garten, Leidenschaft

Einsteller: sophie-clark

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