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Sammlung: Arthur Achleitner 02

Familie Lugmüller Teil 01

o. J., Arthur Achleitner

Vom azurblauen Firmament scheidet die Lenzsonne und vergoldet die Zinnen der kleinen Stadt Neubaumbach, deren ebene Dächer einen italienischen Eindruck hervorrufen, obwohl das Städtchen und seine Bewohner gut deutsch sind und kaum einer der italienischen Sprache auch nur annähernd mächtig ist. Brave Leute, fromm und arbeitsam, nur etwas schwatzhaft und stets interessiert für Neuigkeiten. Bis auf die Privatfehde gegen die Bevölkerung des benachbarten Wallfahrtortes, das im Neid wegen des großen Fremdenzuzuges, von dem das Städtchen so gut wie gar nicht profiteirt, und der den Städtern vor der Nase vorübergeht, wurzelt, könnte man die Neubaumbacher Bevölkerung musterhafte Leute nennen. Die Altbaumbacher verlachen diesen Hass und Neid, und klimpern mit den harten Talern im Sack; sie haben den Nutzen und können daher leicht lachen, wenn auch Altbaumbach nur ein Markt und keine Stadt ist. Von der Stadtwürde beißen die Neubaumbacher nicht viel herunter und ebensowenig von den Wallfahrern, die betend durch das Städtchen ziehen und die Groschen erst in Altbaumbach springen lassen. Fehlen die Wallfahrer auf der Straße, dann herrscht eine wundersame Stille im Städtchen, zumal in alten Zeiten ein vorsichtiger Landesherr durch ein Dekret alle lärmenden Gewerbe vor die zwei Stadttore schickte, und daher außerhalb der engeren Stadt ansässig sind. Einer der Landesfürsten hätte auch den Wochenviehmarkt und die Schranne hinunter an den Gries verlegt, weil ihn das Blöken des Marktviehes auf der Hauptstraße störte; allein die Neubaumbacher wehrten sich in Bittgesuchen und wiesen darauf hin, dass Altbaumbach, dessen Fluren die Stadtgrenzen berühren, ohnehin jeglichen Nutzen an sich reiße. Nehme man den Neubaumbachern auch noch die gut zechenden Schrannenbauern und den Wochenmarkt samt den Viehhändlern, dann würden die Bräuer der Stadt zahlungsunfähig, und der Herzog würde lange auf die Steuergroschen warten müssen. Dies wirkte, und Neubaumbach behielt den vielbesuchten Wochenmarkt, und weil der Getreideboden im Bezirk des Städtchens von besonderer Güte ist, so hob sich die Schranne immer mehr, wie auch die Getreidebauern oft vierspännig angefahren kommen, um den Neubaumbachern ihren Wohlstand zu demonstrieren. 

Dem lauen Frühlingstag ist ein verklärter Abend gefolgt; die letzten Strahlen umsprühen noch den gotischen Turm der Stadtpfarrkirche und umzittern die Giebel der Häuser auf der Westseite, die teilweise noch altfränkische Architektonik aufweisen. Die weiche Luft lassen die Neubaumbacher willig durch die geöffneten Fenster ein und freuen sich des linden Frühlingsabends. Stärker als sonst ist daher das Wagengerassel des gegen sieben Uhr durch das eine Stadttor einfahrenden Postomnibus in den Wohnhäusern vernehmbar, und da dies immer ein Ereignis zu sein pflegt, erscheinen stets neugierige Gesichter an den Fenstern, obwohl die Insassen des Postwagens nicht erkennbar sind. Eben künden die Glocken von den Türmen Neubaumbachs die Feierstunde, das Ave Maria. Der Postillon aber bläst sein Einzugslied dazwischen, indes die müden Gäule den gelben Omnibus über das holperige Pflaster schleppen und von selbst die Richtung zum Gasthof »Zur Post« einschlagen, der inmitten der Hauptstraße gelegen ist.

Der Klang des Posthorns hat auch im alten Haus nahe der »Post«, das dem Ratsgebäude gegenüberliegt, jemanden ans Fenster gelockt, eine ältliche Frau lehnt sich weit über die Fensterbrüstung, um im Dämmerschein zu erkennen, wer mit der Post angekommen ist. Braune Zöpfe umschlingen einen asketischen Kopf, zu dem jedoch die dunklen, ein seltsames Feuer sprühenden Augen nicht passen wollen. Ein schlichtes Kattunkleid umschließt den hageren Körper der mit einem Bruder im Werkmeisterhaus zurückgebliebenen Tochter der Familie Lugmüller. Zwei Schwestern haben das Elternhaus bereits verlassen und geheiratet. Für das hagere Fräulein, die Werkmeister-Marie, hat die sehnsüchtig erwartete Befreiungsstunde noch nicht geschlagen, um sie hat noch kein Mann geworben, und Jahr um Jahr ist verflossen im stillen Warten. An schüchternen Annäherungsversuchen hat es allerdings nicht gerade gefehlt, aber in der Blütezeit glaubte Marie auf besser situierte Werber warten zu sollen, auf Männer mit sozialer Stellung und womöglich mit etwas Vermögen, die aber nicht gekommen sind, weil sich bessere Partien fanden. Und jetzt, im Alter von beinahe dreißig Jahren, würde Marie gerne einen der einst abgewiesenen Freier nehmen. Immer weiter vor hat sich Marie vorgebeugt, so dass ihre Füße kaum mehr den Fußboden berühren. Ihre Neugierde ist aufs Höchste erregt durch den Anblick eines fremden Herrn, der eben den Postomnibus verlässt und, mit einem Tiroler Jägerhut auf dem Kopf, die dunklen Häuser am dürftig beleuchteten Hauptplatz betrachtet. Ein Mann mit einem Tiroler Hut, ein Fremder, der mit der Post vom Ausland kommt, das ist ein großes Ereignis für Neubaumbach, und Werkmeisters Marie fühlt die Tragweite dieser Begebenheit. Schade, dass die Dunkelheit die Gesichtszüge des Fremden nicht mehr erkennen lässt. Ob der Tiroler noch jung ist? Was er in Neubaumbach wohl will? Ein schriller Ruf lässt Marie zusammenzucken. Im Hintergrund der Wohnstube mahnt Lisi, die alte Köchin und Vertrauensperson im Haus des königlichen Werkmeisters Lugmüller, zum Fensterverschließen, und da Marie nicht gleich hört, wiederholt Lisi ihre Mahnung in verschärfter Weise: »Mach' doch das Fenster zu, Marie! Ist doch keine Manier, nach Gebetläuten noch im Fenster zu liegen und sich noch dazu so weit hinauszubeugen! Wer wird sich solche Freiheiten herausnehmen! Ein anständiges Mädchen sicher nicht!«

Klirrend schlägt dMarie das Fenster zu und schnippisch erwidert sie:

»Lass mich doch mit den ›Freiheiten‹ in Ruhe! ›Freiheiten, es ist zum Lachen! Was haben sich die anderen Schwestern für ›Freiheiten‹ herausgenommen und jede hat einen Mann gefunden!«

»Ja, aber was für welche! Gott sei es geklagt!« klagt das Hausfaktotum.

»So, so! Hat sich die Line vielleicht zu beklagen? Die wird wohl auskömmlich genug versorgt sein, hat ein Haus, einen fleißigen Mann und die besten Aussichten, einmal zu Vermögen zu gelangen!«

Abweisend versetzt Lisi: »Ach, geh doch! Beim Pferdebeschlagen wird man nicht reich und vom Schlüsselmachen auch nicht!«

»Das wie ist völlig Nebensache!« opponiert Marie, des ewigen Schulmeisterns satt.

»Das ist ja recht hübsch! Schöne Ansichten das! Und zum Erwerb solcher Grundsätze hat man dich im Kloster erziehen lassen! Schade um jeden Groschen! Ein schönes Erziehungsresultat, fürwahr!«

Dem unerquicklichen Disput macht der Ruf einer weiblichen Stimme Ende. Dort ruht die blinde Frau Lugmüller im Lehnstuhl, die in Folge ihrer Augenerkrankung zu ständiger Untätigkeit verurteilt ist und die Tage trauernd und betend im Sorgenstuhl verbringt. Die Matrone im silberweißen Haar fragt mit zitternder Stimme, was denn der Streit im Wohnzimmer zu bedeuten habe?

Marie tritt ins Zimmer, gefolgt von Lisi, die eben Antwort geben will, als die Tochter sagt: »Ist nur unnützes Gerede, Mutter! Die Lisi hat mir das Fensterschauen verboten; nach ihrer Meinung gehört ein Mädel nach Gebetläuten nicht mehr ans Fenster! Ist wirklich lachhaft! Als wenn ich noch kurze Röckchen tragen würde!«

In ihrer ruhigen Weise mahnt Frau Lugmüller, die seit Beginn ihres Augenleidens immer die Geldbörse in Händen hält und sich selbst im Bett davon nicht trennt, zum Frieden im Hause: »Die gute Lisi hat ganz Recht! Und ihr darfst du nichts verübeln! Sie hat dich wie die anderen Kinder ja noch herumgetragen und mir treulich geholfen, euch aufzuziehen! Was sie sagt, ist sicher ehrlich gemeint! Das merke dir! Ünd mach Licht im Wohnzimmer, Marie! Der Vater wird bald heim kommen, und bei Lampenschein sein Gläschen Tiroler trinken wollen! Du weißt, er liebt Ruhe und Frieden im Haus!«

Die blutleeren Lippen trotzig aufgeworfen, geht Marie in die Wohnstube zurück, um die Hängelampe in Brand zu setzen. Lisi aber nimmt jetzt das Wort: »Das muss ich sagen, so müßig war die Marie nie! Was das Mädel nur hat? Sollte sie männersüchtig geworden sein? Bei dieser sorgfältigen Erziehung sollte das doch unmöglich sein! Und dann welcher Jammer, wenn die Ruhe des alten Herrn durch ungebührliches Betragen gestört würde! Das ist ja noch ein Lichtblick in unserem Leben: dieser pflichttreue, herzensgute, wackere Ehrenmann mit seinen bescheidenen Ansprüchen, mit einer Pünktlichkeit, wie sie selten zu finden sein wird!«

Beifällig nickt die Greisin und fügt hinzu: »Ja, so ist es! Gott sei es gedankt und dem heiligen Aloisius! Des Herrn mustergültiger Lebenswandel hat auch meinen geistlichen Herrn Onkel mit der seinerzeitigen Eheschließung, die nicht nach seinem hochwürdigen Geschmack gewesen, wieder versöhnt! Damals wollte er vom Baugehilfen freilich nichts wissen und drohte mir mit Enterbung!«

Mit den Händen unruhig umherfuchtelnd fällt Lisi der Matrone ins Wort: »Das wär' noch schöner! Hat der Herr es vielleicht nicht weit genug gebracht? Ist das vielleicht keine Karriere, königlicher Werkmeister!? Und hochgeachtet von Alt und Jung in der ganzen Stadt! Das ganze Wasser- und Landbauamt ist keinen Pfifferling wert, wenn Herr Lugmüller nicht drinnen arbeiten würde! Das kann man aller Orten hören! Der Herr aber rackert sich ab und kriegt doch keinen Dank!«

»Ja, ja! Aber dass ich nicht vergesse, hast du, Lisi, den Abendtrunk schon geholt?«

»Nein, ihr habt mir ja auch noch kein Geld dazu gegeben!«

Seufzend öffnet Frau Lugmüller die Börse und tastet mit den Fingern die einzelnen Geldstücke ab, um im Greifen mangels Augenlichtes den Wert zu erkennen: »Ja, ja! Immer nur Geld! Wo nur immer hernehmen! Das Bier holst du beim Oberbräu; die dortige Glocke höre ich am häufigsten. Zwei Maß werden wohl langen, nicht Lisi?«

»Es kommt ja nur auf Sie an. Ich kriege seit bald vierzig Jahren alle Abend meine Halbe; die Marie trinkt lieber Wein und ob der Alphons seinen Abendtrunk im Haus nimmt, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hockt er überhaupt im Wirtshaus. Zwingen Sie denn noch eine Maß?«

»O du lieber Himmel! Wie sie mit mir armen, blinden Person umspringen! Statt Mitleid, neiden sie mir gar noch den Schluck Bier am Abend, wo ich doch rein gar nichts mehr vom Leben habe!«

»Aber Frau, wer redet denn vom neiden oder nicht vergönnen! Herrin im Haus sind doch immer noch Sie! Also schaffen Sie an! Ich bitte bloß um zwölf Kreuzer!«

»Immer Geld, den ganzen Tag immer Geld hergeben! Hast Du, Lisi, nicht auch gemeint, es wird einfacher und billiger im Haus, wenn Pepi und Line ausgeheiratet haben? Ich spüre wahrhaftig nichts davon!«

»Wär' auch ein Wunder! Wie soll es denn anders werden, wenn der nichtsnutzige Alphons an der Suppenschüssel kleben bleibt! Und an die Pepi wandern die Kisten auch oft gleich mehrmals in der Woche! Und was die Marie in die Klöster schleppt, ist auch nicht wenig! Der Herr schränkt sich aufs Äußerste ein, aber bei diesen Ausgaben nützt das gar nichts!«

»Ja, Lisi, Du hast Recht! Ich werde doch wieder ein paar Kerzen für den Gnadenaltar in Altbaumbach stiften; vielleicht kommt der Alphons dann doch irgendwo unter und hilft dann dem Vater mit verdienen! Da, Lisi, hast die zwölf Kreuzer! Sag' aber dem Schenkkellner, er soll ordentlich christlich füllen, sag', es gehöre für uns, und wir wären eine gut katholische Familie!«

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8144
  • Hinzugefügt am 27. Nov 2020 - 09:12 Uhr

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Familie, Lugmüller, Arthur, Achleitner, Erzählung

Einsteller: sophie-clark

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