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Sammlung: Büchner, Dantons Tod

Dantons Tod | 2. Akt (3)

1835, Georg Büchner

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Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

EIN ZIMMER

Danton. Canzille. Lucile

CAMILLE: Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen — welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff, und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihrn das Gesicht und läßt das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt — ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt, wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall! — ach, die Kunst!
Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche Wirklichkeit! — Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneiden den Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! — Die Griechen wußten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.

DANTON: Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern. Danton wird hinausgerufen.

CAMILLE: Was sagst du, Lucile?

LUCILE: Nichts, ich seh dich so gern sprechen.

CAMILLE: Hörst mich auch?

LUCILE: Ei freilich!

CAMILLE: Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?

LUCILE: Nein, wahrhaftig nicht.

Danton kommt zurück.

CAMILLE: Was hast du?

DANTON: Der Wohlfahrtsausschuß hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten. Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter als zu leben.

CAMILLE: Danton, noch ist's Zeit!

DANTON: Unmöglich — aber ich hätte nicht gedacht...

CAMILLE: Deine Trägheit!

DANTON: Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich.

CAMILLE: Wo gehst du hin?

DANTON: Ja, wer das wüßte!

CAMILLE: Im Ernst, wohin?

DANTON: Spazieren, mein Junge, spazieren. Er geht.

LUCILE: Ach, Camille!

CAMILLE: Sei ruhig, lieb Kind!

LUCILE: Wenn ich denke, daß sie dies Haupt —! Mein Camille! das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?

CAMILLE: Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.

LUCILE: Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf —warum denn gerade das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch damit anfangen?

CAMILLE: Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!

LUCILE: Such ihn auf!

CAMILLE: Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.

LUCILE: So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das — sie küßt ihn — und das! Geh! Geh! Camille ab.
Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? Man muß sich fassen.
Singt: Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,
         Wer hat sich das Scheiden erdacht?
Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, daß es den Weg so von selbst findet. — Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.
Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus.

Sie geht.

FREIES FELD

DANTON: Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. Er setzt sich nieder; nach einer Pause:
Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, daß er vielleicht noch kräftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! — Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d. h. mein Gedächtnis, zu retten.
Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. Er erhebt sich und kehrt um.
Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. Eigentlich muß ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, man will mich schrecken ; sie werden's nicht wagen! Ab.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 464
  • Hinzugefügt am 31. Dez 2011 - 11:19 Uhr

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frankreich, revolution, 1789, Robespierre, Schreckensherrschaft, ad-share, rouge, terreur, cordeliers, jakobiner, weltliteratur, drama

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