Text-Suche

Wer ist online

104 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Sammlung: Büchner, Dantons Tod

Dantons Tod | 4. Akt (1)

1835, Georg Büchner

<- vorheriger Text nächster Text ->

Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

VIERTER AKT

EIN ZIMMER

Julie. Ein Knabe

JULIE: Es ist aus. Sie zitterten vor ihm. Sie töten ihn aus Furcht. Geh! ich habe ihn zum letzten Mal gesehen; sag ihm, ich könne ihn nicht so sehen. Sie gibt ihm eine Locke. Da, bring ihm das und sag ihm, er würde nicht allein gehn — er versteht mich schon. Und dann schnell zurück, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen.

EINE STRASSE

Dumas. Ein Bürger

BÜRGER: Wie kann man nach einem solchen Verhör soviel Unschuldige zum Tod verurteilen?

DUMAS: Das ist in der Tat außerordentlich; aber die Revolutionsmänner haben einen Sinn, der andern Menschen fehlt, und dieser Sinn trügt sie nie.

BÜRGER: Das ist der Sinn des Tigers. — Du hast ein Weib.

DUMAS: Ich werde bald eins gehabt haben.

BÜRGER: So ist es denn wahr?

DUMAS: Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen.

BÜRGER: Du bist ein Ungeheuer!

DUMAS: Schwachkopf! Du bewunderst Brutus?

BÜRGER: Von ganzer Seele.

DUMAS: Muß man denn gerade römischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga verhüllen können, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern? Ich werde mir die Augen mit dem Ärmel meines roten Fracks abwischen; das ist der ganze Unterschied.

BÜRGER: Das ist entsetzlich!

DUMAS: Geh, du begreifst mich nicht!

Sie gehen ab.

DIE CONCIERGERIE

Lacroix, Hérault auf einem Bett, Danton, Camille auf einem andern

LACROIX: Die Haare wachsen einem so und die Nägel, man muß sich wirklich schämen.

HÉRAULT: Nehrnen Sie sich ein wenig in acht, Sie niesen mir das ganze Gesicht voll Sand!

LACROIX: Und treten Sie mir nicht so auf die Füße, Bester, ich habe Hühneraugen!

HÉRAULT: Sie leiden noch an Ungeziefer.

LACROIX: Ach, wenn ich nur einmal die Würmer ganz los wäre!

HÉRAULT: Nun, schlafen Sie wohl! wir müssen sehen, wie wir miteinander zurechtkommen, wir haben wenig Raum. — Kratzen Sie mich nicht mit Ihren Nägeln im Schlaf! — So! — Zerren Sie nicht so am Leintuch, es ist kalt da unten! —

DANTON: ja, Camille, morgen sind wir durchgelaufne Schuhe, die man der Bettlerin Erde in den Schoß wirft.

CAMMLE: Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel sich Pantoffeln geschnitten und damit auf der Erde herumtappen. Es geht aber auch danach. — Meine Lucilel

DANTON: Sei ruhig, mein junge!

CAMILLE: Kann ich's? Glaubst du, Danton? Kann ich's? Sie können die Hände nicht an sie legen! Das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leib sich ausgießt, ist unlöschbar. Sieh, die Erde würde nicht wagen, sie zu verschütten; sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst würde wie Tau an ihren Wimpern funkeln, Kristalle würden wie Blumen um ihre Glieder sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln.

DANTON: Schlafe, mein Junge, schlafe!

CAMILLE: Höre, Danton, unter uns gesagt, es ist so elend, sterben müssen. Es hilft auch zu nichts. Ich will dem Leben noch die letzten Blicke aus seinen hübschen Augen stehlen, ich will die Augen offen haben.

DANTON: Du wirst sie ohnehin offen behalten, Samson drückt einem die Augen nicht zu. Der Schlaf ist barmherziger. Schlafe, mein Junge, schlafe!

CAMILLE: Lucile, deine Küsse phantasieren auf meinen Lippen; jeder Kuß wird ein Traum, meine Augen sinken und schließen ihn fest ein. —

DANTON: Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie die Wände enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg. — Ich las einmal als Kind so 'ne Geschichte, die Haare standen mir zu Berg.
ja, als Kind! Das war der Mühe wert, mich so groß zu füttern und mich warm zu halten. Bloß Arbeit für den Totengräber!
Es ist rnir, als röch ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden, du seist ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt und stinkt, und dir Artigkeiten sagen. Wir haben uns sonst schon mehr miteinander die Zeit vertrieben.
Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel; die Melodie darauf ist ausgespielt. Morgen bist du eine leere Bouteille; der Wein ist ausgetrunken, aber ich habe keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu Bett — das sind glückliche Leute, die sich noch besaufen können. Morgen bist du eine durchgerutschte Hose; du wirst in die Garderobe geworfen und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du willst.
Ach, das hilft nichts! Jawohl, es ist so elend, sterben müssen. Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir können im Grab so gut wimmern wie in der Wiege.
Camille! Er schläft; indem er sich über ihn bückt: ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldnen Tau des Schlafes ihm nicht von den Augen streifen.
Er erhebt sich und tritt ans Fenster. Ich werde nicht allein gehn: ich danke dir, Julie! doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen totküßt, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. — Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt; es muß ein großer Jammer in dem Aug' sein, von dem sie abträufelten.

CAMILLE: Oh! Er hat sich aufgerichtet und tastet nach der Decke.

DANTON: Was hast du, Camille?

CAMILLE: Oh, oh!

DANTON schüttelt ihn: Willst du die Decke herunterkratzen?

CAMILLE: Ach du, du — o halt mich! sprich, du!

DANTON: Du bebst an allen Gliedern, der Schweiß steht dir auf der Stirne.
CAMILLE: Das bist du, das ich — so! Das ist meine Hand! Ja, jetzt besinn ich mich. O Danton, das war entsetzlich!

DANTON: Was denn?

CAMILLE: Ich lag so zwischen Traum und Wachen. Da schwand die Decke, und der Mond sank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfaßt' ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte sich gesenkt, ich stieß daran, ich betastete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das war entsetzlich, Danton!

DANTON: Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das sahst du.

CAMILLE: Meinetwegen, es braucht grade nicht viel, um einem das bißchen Verstand verlieren zu machen. Der Wahnsinn faßte mich bei den Haaren. Er erhebt sich. Ich mag nicht mehr schlafen, ich mag nicht verrückt werden. Er greift nach einem Buch.

DANTON: Was nimmst du?

CAMILLE: Die Nachtgedanken.

DANTON: Willst du zum voraus sterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus dem Betstuhl, sondern wie aus dem Bett einer Barmherzigen Schwester wegschleichen. Es ist eine Hure; es treibt mit der ganzen Welt Unzucht.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 473
  • Hinzugefügt am 31. Dez 2011 - 17:27 Uhr

Aufrufe: 101 | Downloads: 0 | Dieser Text gefällt 2 Leuten

<- vorheriger Text nächster Text ->

Verwandte Suchbegriffe

frankreich, revolution, 1789, Danton, St.Just, robespierre, rouge, terreur, cordeliers, jakobiner, weltliteratur, drama, guillotine, republik,

Einsteller: klassiker

Kommentieren

Noch keine Kommentare vorhanden.

 

Alle Texte der Sammlung "Büchner, Dantons Tod"

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 1. Akt (1)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   PERSONEN Georg Danton - Legendre • Camille Desmoulins

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 1. Akt (2)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EINE GASSE Simon. Sein Weib SIMON schlägt das Weib: Du

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 1. Akt (3)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DER JAKOBINERKLUB EIN LYONER: Die Brüder von Lyon senden uns, um

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 1. Akt (4)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EIN ZIMMER Danton. Marion MARION: Nein, laß mich! So

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 1. Akt (5)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EIN ZIMMER Robespierre. Danton. Paris ROBESPIERRE: Ich sage

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 2. Akt (1)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   ZWEITER AKT EIN ZIMMER Danton, Lacroix, Philippeau,

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 2. Akt (2)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EINE PROMENADE Spaziergänger EIN BÜRGER: Meine gute

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 2. Akt (3)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EIN ZIMMER Danton. Canzille. Lucile CAMILLE: Ich

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 2. Akt (4)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EIN ZIMMER Es ist Nacht DANTON am Fenster : Will denn das

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 2. Akt (5)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DER NATIONALKONVENT Eine Gruppe von Deputierten

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 3. Akt (1)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DRITTER AKT DAS LUXEMBOURG. EIN SAAL MIT GEFANGNEN

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 3. Akt (2)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EIN ZIMMER Fouquier-Tinville. Herman FOUQUIER: Alles bereit?

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 3. Akt (3)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DAS LUXEMBOURG. EIN KERKER Dillon. La flotte. Ein

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 3. Akt (4)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DER WOHLFAHRTSAUSSCHUSS St. Just, Barère, Collot d'Herbois,

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 3. Akt (5)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DIE CONCIERGERIE Lacroix, Danton, Philippeau, Camille LACROIX:

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 4. Akt (1)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   VIERTER AKT EIN ZIMMER Julie. Ein Knabe JULIE: Es

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 4. Akt (2)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   PLATZ VOR DER CONCIERGERIE Ein Schließer, zwei Fuhrleute mit

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 4. Akt (3)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   DIE CONCIERGERIE Danton an einem Fenster, was ins nächste Zimmer

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 4. Akt (4)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EIN ZIMMER JULIE: Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Dantons Tod | 1835

Dantons Tod | 4. Akt (5)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   EINE STRASSE LUCILE: Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will