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Sammlung: Büchner, Dantons Tod

Dantons Tod | 3. Akt (4)

1835, Georg Büchner

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Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

DER WOHLFAHRTSAUSSCHUSS

St. Just, Barère, Collot d'Herbois, Billaud-Varennes

BARÈRE: Was schreibt Fouquier?

ST. JUST: Das zweite Verhör ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung der Gemüter soll unbeschreiblich sein. — Danton parodierte den Jupiter und schüttelte die Locken.

COLLOT: Um so leichter wird ihn Samson daran packen.

BARÈRE: Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler könnten uns weniger imposant finden.

BILLAUD: Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und wäre es nur mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu erhalten.

BARÈRE: Er ist wie der hörnerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat ihn unverwundbar gemacht. — Was sagt Robespierre?

ST. JUST: Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte. — Die Geschwornen müssen sich für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen.

BARÈRE: Unmöglich, das geht nicht.

ST. JUST: Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen Händen erwürgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt haben. Die Revolution wird über ihre Leichen nicht stolpern; aber bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzüchtigen könnte.

St. Just wird hinausgerufen. Ein Schließer tritt ein.

SCHLIESSER: In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt.

BILLAUD: Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter.

SCHLIESSER: Es sind schwangere Weiber dabei.

BILLAUD: Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.

BARÈRE: Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine Sitzung. Jede Arznei wäre contrerevolutionär.

COLLOT nimmt ein Papier: Eine Bittschrift, ein Weibername!

BARÈRE: Wohl eine von denen, die gezwungen sein möchten, zwischen einem Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wählen. Die wie Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas später als die Römerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwäche. — Es mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik einer Jungfrau zu treiben.

COLLOT: Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrücken: das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit vier Wochen. Die Antwort ist leicht — er schreibt und liest: »Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest.«
Schließer ab.

BARÈRE: Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, daß die Guillotine zu lachen anfängt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muß sich nicht so familiär machen.

St. Just kommt zurück.

ST. JUST: Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den Gefängnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er saß mit Dillon im nämlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und geplaudert.

BARÈRE: Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr vorgekommen.

ST. JUST: Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll gesprengt werden.

BARÈRE: Das sind Märchen.

ST. JUST: Wir werden sie aber mit dem Märchen in Schlaf erzählen. Die Anzeige habe ich in Händen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des Volks, die Bestürzung der Geschwornen — ich werde einen Bericht machen.

BARÈRE: Ja, geh, St. Just, und spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist!

ST. JUST: Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozeß fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte veranlaßte, von den Debatten ausschließen.

BARÈRE: Du hast einen revolutionären Instinkt; das lautet ganz gemäßigt und wird doch seine Wirkung tun. Sie können nicht schweigen, Danton muß schreien.

ST. JUST: Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten. Sie haben wieder Mut bekommen, sie werden über Verletzung der Formen schreien ...

BARÈRE ihn unterbrechend: Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die Verschwörung des Catilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle mit dem Tod bestrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt. Wer waren seine Ankläger?

COLLOT mit Pathos: Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in ihren Umarmungen ersticken; die Majestät des Volks wird ihnen wie Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf die Häupter der Feiglinge zu schleudern! St. Just ab.

BARÈRE: Hast du das Wort Kur gehört? Sie werden noch aus der Guillotine ein Spezifikum gegen die Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den Moderierten, sie kämpfen mit dem Laster.

BILLAUD: Bis jetzt geht unser Weg zusammen.

BARÈRE: Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen und die Guillotine als Katheder gebrauchen.

BILLAUD: Oder als Betschemel.

COLLOT: Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll.

BARÈRE: Das wird leicht gehen. Die Welt müßte auf dem Kopf stehen, wenn die sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehängt werden sollten.

COLLOT zu Barère: Wann kommst du wieder nach Clichy?

BARÈRE: Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.

COLLOT: Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt wird?

BILLAUD: Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken hinunterhängen machen.

BARÈRE zuckt die Achseln: Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen.

BILLAUD: Er ist ein impotenter Masoret.

Billaud und Collot ab.

BARÈRE allein: Die Ungeheuer! — >Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest! < Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die sie gesprochen. Und ich? — Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, faßt ein Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. — Und durft er einen morden: durft er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter!
Doch — war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins hinaus; der Tod war mir gewiß. Ab.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 471
  • Hinzugefügt am 31. Dez 2011 - 17:22 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

frankreich, revolution, 1789, , Danton, St.Just, rouge, terreur, cordeliers, jakobiner, weltliteratur, drama, barère, collot, d´herbois, Billaud-Varennes

Einsteller: klassiker

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