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Sammlung: Büchner, Dantons Tod

Dantons Tod | 3. Akt (5)

1835, Georg Büchner

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Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

DIE CONCIERGERIE

Lacroix, Danton, Philippeau, Camille

LACROIX: Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein Leben gequält, es wäre jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer zudringlicher wird?

CAMILLE: Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern riß! Aber so in allen Formalitäten wie bei der Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern!

DANTON: Wär es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten! Aber es ist mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht. So mechanisch getötet zu werden!

CAMILLE: Und dann daliegen allein, kalt, steif in dem feuchten Dunst der Fäulnis — vielleicht, daß einem der Tod das Leben langsam aus den Fibern martert — mit Bewußtsein vielleicht sich wegzufaulen!

PHILIPPEAU: Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche erst nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die versetzt werden, unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig stinken. Ist das so arg?

DANTON: Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht wahr, die göttliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.

PHILIPPEAU: Was willst du denn?

DANTON: Ruhe.

PHILIPPEAU: Die ist in Gott.

DANTON: Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schöpfung hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault. — Das lautet verrückt, es ist aber doch was Wahres daran.

CAMILLE: Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist unmöglich. Oh, nicht sterben können, nicht sterben können! wie es im Lied heißt.

DANTON: Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern Röcken und Hemden. — Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. — Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze Unterschied! — Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens gewöhnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme.
O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! — Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste: ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. — Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.

EIN ZIMMER

Fouquier. Amar. Vouland

FOUQUIER: Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine Kommission.

AMAR: Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. Er überreicht Fouquier ein Papier.

VOULAND: Das wird sie zufriedenstellen.

FOUQUIER: Wahrhaftig, das hatten wir nötig.

AMAR: Nun mache, daß wir und sie die Sache vom Hals bekommen.

DAS REVOLUTIONSTRIBUNAL

DANTON: Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den Dezemvirn die Leichenrede zu halten. — Ich wiederhole es, wir verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen. Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen. Zeichen des Beifalls.

Fouquier, Amar und Vouland treten ein.

FOUQUIER: Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent beschließt:
In Betracht, daß in den Gefängnissen sich Spuren von Meutereien zeigen, in Betracht, daß Dantons und Camilles Weiber Geld unter das Volk werfen und daß der General Dillon ausbrechen und sich an die Spitze der Empörer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in Betracht endlich, daß diese selbst unruhige Auftritte herbeizuführen sich bemüht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das Tribunal ermächtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen.

DANTON: Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem Nationalkonvent Hohn gesprochen haben?

VIELE STIMMEN: Nein! Neinl

CAMILLE: Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!

DANTON: Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück über Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen. Auf Amar und Vouland deutend: Seht da die feigen Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses!
Ich klage Robespierre, St. just und ihre Henker des Hochverrats an. — Sie wollen die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der Guillotinenkarren sind die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das Herz des Vaterlandes dringen sollen.
Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein? — Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! Heftige Bewegung unter den Zuhörern, Ge-schrei des Beifalls.

VIELE STIMMEN: Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn!

Die Gefangnen werden mit Gewalt hinausgeführt.

PLATZ VOR DEM JUSTIZPALAST

Ein Volkshaufe

EINIGE STIMMEN: Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!

ERSTER BÜRGER: Ja, das ist wahr, Köpfe statt Brot, Blut statt Wein!

EINIGE WEIBER: Die Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter Bäckerknecht; wir wollen Brot, Brot!

ZWEITER BÜRGER: Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder Brot geben, er hatte recht.

ERSTER BÜRGER: Danton war unter uns am 10. August, Danton war unter uns im September. Wo waren die Leute, welche ihn angeklagt haben?

ZWEITER BÜRGER: Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verräter.

ERSTER BÜRGER: Wer sagt, daß Danton ein Verräter sei?

ZWEITER BÜRGER: Robespierre.

ERSTER BÜRGER: Und Robespierre ist ein Verräter!

ZWEITER BÜRGER: Wer sagt das?

ERSTER BÜRGER: Danton.

ZWEITER BÜRGER: Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus, Danton hat eine schöne Frau, er badet sich in Burgunder, ißt das Wildbret von silbernen Tellern und schläft bei euren Weibern und Töchtern, wenn er betrunken ist. — Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von Orléans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate. — Was hat Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle.

ALLE: Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verräter!

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 472
  • Hinzugefügt am 31. Dez 2011 - 17:23 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

frankreich, revolution, 1789, Danton, St.Just, rouge, terreur, cordeliers, jakobiner, wohlfahrtsausschuss, Lacroix, philippeau, camille, desmoulins, guillotine

Einsteller: klassiker

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