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Sammlung: Büchner, Dantons Tod

Dantons Tod | 1. Akt (2)

1835, Georg Büchner

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Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

EINE GASSE

Simon. Sein Weib

SIMON schlägt das Weib: Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichischier Sündenapfel!

WEIB: He, Hülfe! Hülfe!

Es kommen

LEUTE gelaufen: Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!

SIMON: Nein, laßt mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!

WEIB: Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.

SIMON: So reiß ich von den Schultern dein Gewand.
           Nackt in die Sonne schleudr ich dann dein Aas.
Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht.

Sie werden getrennt.

ERSTER BÜRGER: Was gibt's?

SIMON: Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch e i n Name; oh, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.

ZWEITER BÜRGER: Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.

SIMON: Alter Virginius, verhülle dein kahl Haupt — der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! Er sinkt um.

WEIB: Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.

ZWEITER BÜRGER: Dann geht er mit dreien.

WEIB: Nein, er fällt.

ZWEITER BÜRGER: Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.

SIMON: Du bist die Vampirzunge, die mein wärmstes Herzblut trinkt.

WEIB: Laßt ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird; es wird sich schon geben.

ERSTER BÜRGER: Was gibt's denn?

WEIB: Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, seht ihr — denn wir haben kein Holz, seht ihr —

ZWEITER BÜRGER: So nimm deines Mannes Nase.

WEIB: Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke — sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.

SIMON: Ha, sie bekennt!

WEIB: Du Judas! hättest du nur ein paar Hosen hinaufzuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du Branntweinfaß, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? — Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es hat ihr weh getan; kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut's ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!

SIMON: Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha, Appius Claudius!

ERSTER BÜRGER: Ja, ein Messer, aber nicht für die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen. Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben Magendrücken; ihr habt Löcher in den Jacken, und sie haben warme Röcke; ihr habt Schwielen in den Fäusten, und sie haben Samthände. Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt's erworben, und sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, müßt ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben, und man muß sie totschlagen!

DRITTER BÜRGER: Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: das Veto frißt euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

ERSTER BÜRGER: Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!

ZWEITER BÜRGER: Totgeschlagen, wer auswärts geht!

ALLE schreien: Totgeschlagen! Totgeschlagen!

Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.

EINIGE STIMMEN: Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!

ZWEITER BÜRGER: Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne!

Eine Laterne wird herunter gelassen.

JUNGER MENSCH: Ach, meine Herren!

ZWEITER BÜRGER: Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!

EINIGE singen: Die da liegen in der Erden,
                     Von de Würm' gefresse werden;
                     Besser hangen in der Luft,
                     Als verfaulen in der Gruft!

JUNGER MENSCH: Erbarmen!

DRITTER BÜRGER: Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! 's ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zapplen, aber wir werden uns Iosschneiden. — An die Laterne!

JUNGER MENSCH: Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.

DIE UMSTEHENDEN: Bravo! Bravo!

EINIGE STIMMEN: Laßt ihn laufen! Er entwischt.

Robespierre tritt auf , begleitet vonWeibern und Ohnehosen.

ROBESPIERRE: Was gibt's da, Bürger?

DRITTER BÜRGER: Was wird's geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen!

ERSTER BÜRGER: Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch füttern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

ALLE: Totgeschlagen! Totgeschlagen!

ROBESPIERRE: Im Namen des Gesetzes!

ERSTER BÜRGER: Was ist das Gesetz?

ROBESPIERRE: Der Wille des Volks.

ERSTER BÜRGER: Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!

EINIGE STIMMEN: Hört den Aristides! hört den Unbestechlichen!

EIN WEIB: Hört den Messias, der gesandt ist, zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts.

ROBESPIERRE: Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlägen. Aber, Volk, deine Streiche dürfen deinen eignen Leib nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen; ihre Augen sind untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar. Kornmt mit zu den Jakobinern! Eure Brüder werden euch ihre Arme öffnen, wir werden ein Blutgericht über unsere Feinde halten.

VIELE STIMMEN: Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre!

Alle ab.

SIMON: Weh mir, verlassen! Er versucht sich aufzurichten.

WEIB: Da! Sie unterstützt ihn.

SIMON: Ach, meine Baucis! du sammelst Kohlen auf mein Haupt.

WEIB: Da steh!

SIMON: Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat es.
          Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind.
          Hamlet tat's nicht, Hamlet verleugnet's.
Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen?

WEIB: Dort um das Eck herum.

SIMON: Fort zu ihr! Komm, mein tugendreich Gemahl.

Beide ab.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 456
  • Hinzugefügt am 13. Dez 2011 - 17:58 Uhr

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Französische, Revolution, 1789, Schreckensherrschaft, rouge, terreur, cordeliers, jakobiner, weltliteratur, deutsches, drama, georg, büchner, girnde, girendisten, hebert, hebertisten, st., just, septembermorde, robespierre

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