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Sammlung: Büchner, Woyzeck

Woyzeck (5)

1836-1837, Georg Büchner

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Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

KASERNE

Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen

WOYZECK: Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst's brauchen, Andres.

ANDRES ganz starr, sagt zu allem: Jawohl.

WOYZECK: Das Kreuz ist meiner Schwester und das Ringlein.

ANDRES: Jawohl.

WOYZECK: Ich hab auch noch ein' Heiligen, zwei Herze und schön Gold — es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht:
          Herr! wie dein Leib war rot und wund,
          So laß mein Herz sein aller Stund'.
Mein Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn' auf die Händ' scheint — das tut nix.

ANDRES: Jawohl.

WOYZECK zieht ein Papier hervor: Friedrich Johann Franz Woyzeck, Wehrmann, Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillon, 4. Kompanie, geboren Mariä Verkündigung, den 20. Juli. — Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat und 12 Tage.

ANDRES: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du mußt Schnaps trinken und Pulver drin, das töt' das Fieber.

WOYZECK: Ja, Andres, wenn der Schreiner die Hobelspäne sammelt, es weiß niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird.

STRASSE

Marie mit Mädchen vor der Haustür, Großmutter; später Woyzeck

MÄDCHEN: Wie scheint die Sonn' am Lichtmeßtag
                Und steht das Korn im Blühn.
                Sie gingen wohl die Wiese hin,
                Sie gingen zu zwein und zwein.
                Die Pfeifer gingen voran,
                Die Geiger hinterdrein,
                Sie hatten rote Socken an ...

ERSTES KIND: Das ist nit schön.

ZWEITES KIND: Was willst du auch immer!

ERSTES KIND: Marie, sing du uns!

MARIE: Ich kann nit.

ERSTES KIND: Warum?

MARIE: Darum.

ZWEITES KIND: Aber warum darum?

DRITTES KIND: Großmutter, erzähl!

GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! — Es war einmal ein arm Kind und hatt kein' Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn' gangen, und wie es zur Sonn' kam, war's ein verwelkt Sonneblum'. Und wie's zu den Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und is ganz allein.

WOYZECK erscheint: Marie!

MARIE erschreckt: Was is?

WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit.

MARIE: Wohin?

WOYZECK: Weiß ich's?

WALDSAUM AM TEICH

Marie und Woyzeck

MARIE: Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster.

WOYZECK: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich!

MARIE: Aber ich muß fort.

WOYZECK : Du wirst dir die Füß' nit wund laufe.

MARIE: Wie bist du nur auch!

WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es jetzt is, Marie?

MARIE: Am Pfingsten zwei Jahr.

WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es noch sein wird?

MARIE: Ich muß fort, das Nachtessen richten.

WOYZECK: Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heiße Lippen hast! heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht ich den Himmel geben, sie noch einmal zu küssen. — Friert's dich? Wenn man kalt is, so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren.

MARIE: Was sagst du?

WOYZECK: Nix. Schweigen.

MARIE: Was der Mond rot aufgeht!

WOYZECK: Wie ein blutig Eisen.

MARIE: Was hast du vor? Franz, du bist so blaß. — Er holt mit dem Messer aus. Franz, halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe!

WOYZECK sticht drauflos: Nimm das und das! Kannst du nicht sterben? So! so! — Ha, sie zuckt noch; noch nicht? noch nicht? Immer noch — stößt nochmals zu. — Bist du tot? Tot! totl Er läßt das Messer fallen und läuft weg.

DAS WIRTSHAUS

WOYZECK: Tanzt alle, immer zu! schwitzt und stinkt! Er holt euch doch einmal alle! Singt.
              Ach, Tochter, liebe Tochter,
              Was hast du gedenkt,
              Daß du dich an die Landkutscher
              Und die Fuhrleut' hast gehenkt.
Er tanzt. So, Käthe! setz dich! Ich hab heiß, heiß! Er zieht den Rock aus. Es ist einmal so, der Teufel holt die eine und läßt die andre laufen. Käthe, du bist heiß! Warum denn? Käthe, du wirst auch noch kalt werden. Sei vernünftig. — Kannst du nicht singen?

KÄTHE singt: Ins Schwabenland, das mag ich nicht,
                   Und lange Kleider trag ich nicht,
                   Denn lange Kleider, spitze Schuh',
                   Die kommen keiner Dienstmagd zu.

WOYZECK: Nein, keine Schuh', man kann auch ohne Schuh' in die Höll' gehn.

KÄTHE singt: O pfui, mein Schatz, das war nicht fein,
                   Behalt dein Taler und schlaf allein.

WOYZECK: Ja, wahrhaftig, ich möchte mich nicht blutig machen.

KÄTHE: Aber was hast du an deiner Hand?

WOYZECK: Ich? ich?

KÄTHE: Rot! Blut!

Es stellen sich Leute um sie.

WOYZECK: Blut? Blut?

WIRT: Uu — Blut!

WOYZECK: Ich glaub, ich hab mich geschnitten, da an der rechten Hand.

WIRT: Wie kommt's aber an den Ellenbogen?

WOYZECK: Ich hab's abgewischt.

WIRT: Was, mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen? Ihr seid geschickt!

NARR: Und da hat der Ries' gesagt: Ich riech, ich riech Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon!

WOYZECK: Teufel, was wollt ihr? Was geht's euch an? Platz, oder der erste — Teufel! Meint ihr, ich hätt jemand umgebracht? Bin ich ein Mörder? Was gafft ihr? Guckt euch selbst an! Platz da! Er läuft hinaus.

AM TEICH

Woyzeck. allein

Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab es dagelassen. Es verrät mich! Näher, noch näher! Was is das für ein Platz? Was hör ich? Es rührt sich was. Still. — Da in der Nähe. Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! Was bist du so bleich, Marie? Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband verdient mit deinen Sünden? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab ich dich gebleicht? Was hängen deine Haare so wild? Hast du deine Zöpfe heut nicht geflochten? ... — Das Messer, das Messer! Hab ich's? So! Er läuft zum Wasser.
So, da hinunter! Er wirft das Messer hinein. Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. — Nein, es liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. Er geht in den Teich und wirft weit. So, jetzt — aber im Sommer, wenn sie tauchen nach Muscheln? — Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. — Hätt ich es zerbrochen! — — Bin ich noch blutig? Ich muß mich waschen. Da ein Fleck, und da noch einer ...
Es kommen Leute.

ERSTE PERSON: Halt!

ZWEITE PERSON: Hörst du? Still! Dort!

ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton!

ZWEITE: Es ist das Wasser, es ruft: schon lang ist niemand ertrunken. Fort! es ist nicht gut, es zu hören!

ERSTE: Uu! jetzt wieder! — wie ein Mensch, der stirbt!

ZWEITE: Es ist unheimlich! So dunstig, allenthalben Nebelgrau — und das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken. Fort!

ERSTE: Nein, zu deutlich, zu laut! Da hinauf! Komm mit!

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 445
  • Hinzugefügt am 04. Dez 2011 - 13:00 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

woyzeck, 19., Jahrhundert, deutschland, drama, klassik, vormärz, biedermeier, restauration, fürstenherrschaft,

Einsteller: klassiker

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1 Kommentar

  1. sophie-clark

    Der gute Woyzeck hat sich eindeutig für die falsche Frau aufgeopfert.

    29. Aug 2013 - 12:00 Uhr

 

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