Text-Suche

Wer ist online

55 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Sammlung: Büchner, Woyzeck

Woyzeck (1)

1836-1837, Georg Büchner

  nächster Text ->

Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!Verglichen mit:
Büchners Werke in einem Band
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974

 

PERSONEN

Woyzeck • Marie
Hauptmann • Doktor • Tambourmajor
Unteroffizier • Andres • Margret
Budenbesitzer • Marktschreier
Alter Mann mit Leierkasten • Jude
Wirt • Erster Handwerksbursch
Zweiter Handwerksbursch
Käthe • Narr Karl • Großmutter
Erstes, zweites, drittes Kind
Erste, zweite Person
Polizeikommissar

Soldaten. Studenten. Burschen und Mädchen
Kinder. Volk

BEIM HAUPTMANN

Hauptmann auf einem Stuhl; Woyzeck rasiert ihn

HAUPTMANN: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den zehn Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er: Er hat noch seine schöne dreißig Jahr' zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck!

WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig — das siehst du ein; nun ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja, ein Augenblick — Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht! Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehn, oder ich werd melancholisch.

WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. — Red Er doch was, Woyzeck! Was ist heut für Wetter?

WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind!

HAUPTMANN: Ich spür's schon, 's ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus.
Pfiffig: Ich glaub, wir haben so was aus Süd-Nord?

WOYZECK: Jawohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN: Ha! ha! hal Süd-Nord! Ha! ha! ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! — Gerührt: Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, — aber — mit Würde: Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochehrwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, — ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir.

WOYZECK: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen.

HAUPTMANN: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag: Er, so mein ich Ihn, Ihn —

WOYZECK: Wir arme Leut' — Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat — Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in die Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.

HAUPTMANN: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh, wie sie über die Gassen springen — verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? Ich sag mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch, — gerührt — ein guter Mensch, ein guter Mensch.

WOYZECK: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend, — ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut', das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!

HAUPTMANN: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. — Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!

FREIES FELD, DIE STADT IN DER FERNE

Woyzeck und Andres schneiden Stecken im Gebüsch

ANDRES pfeift

WOYZECK: Ja, Andres, der Platz ist verflucht. Siehst du den lichten Streif da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen? Da rollt abends der Kopf. Es hob ihn einmal einer auf, er meint', es wär ein Igel: drei Tag' und drei Nächt', und er lag auf den Hobelspänen. Leise: Andres, das waren die Freimaurer! ich hab's, die Freimaurer!

ANDRES singt: Saßen dort zwei Hasen,
                     Fraßen ab das grüne, grüne Gras ...

WOYZECK: Still! Hörst du's, Andres? hörst du's? Es geht was!

ANDRES: Fraßen ab das grüne, grüne Gras
             Bis auf den Rasen.

WOYZECK: Es geht hinter mir, unter mir. Stampft auf den Boden: Hohl, hörst du? alles hohl da unten! Die Freimaurer!

ANDRES: Ich furcht mich.

WOYZECK: 's ist so kurios still. Man möcht den Atem halten. — Andres!

ANDRES: Was?

WOYZECK: Red was! Starrt in die Gegend. Andres! wie hell! über der Stadt is alles Glut! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen. Wie's heraufzieht! — Fort! Sieh nicht hinter dich! Reißt ihn ins Gebüsch.

ANDRES nach einer Pause: Woyzeck, hörst du's noch?

WOYZECK: Still, alles still, als wär die Welt tot.

ANDRES: Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort!

DIE STADT

Marie mit ihrem Kind am Fenster. Margret
Der Zapfenstreich geht vorbei, der T ambourmajor voran

MARIE das Kind wippend auf dem Arm: He, Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da kommen sie!

MARGRET: Was ein Mann, wie ein Baum!

MARIE: Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw'. Tambourmajor grüßt.

MARGRET: Ei, was freundliche Auge, Frau Nachbarin! So was is man an ihr nit gewöhnt.

MARIE singt: Soldaten, das sind schöne Bursch' ...

MARGRET: Ihre Auge glänze ja noch —

MARIE: Und wenn! Trag Sie Ihre Auge zum Jud', und laß Sie sie putze; vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpf' verkaufe könnt.

MARGRET: Was, Sie? Sie? Frau Jungfer! Ich bin eine honette Person, aber Sie, es weiß jeder, Sie guckt sieben Paar lederne Hose durch!

MARIE: Luder! Schlägt das Fenster durch. Komm, mei Bub! Was die Leut' wolle. Bist doch nur ein arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud' mit dei'm unehrliche Gesicht! Sa! sa! Singt:

Mädel, was fangst du jetzt an?
Hast ein klein Kind und kein' Mann!
Ei, was frag ich danach?
Sing ich die ganze Nacht
Heio, popeio, mei Bu, juchhe!
Gibt mir kein Mensch nix dazu.

Es klopft am Fenster.

MARIE: Wer da? Bist du's, Franz? Komm herein!

WOYZECK: Kann nit. Muß zum Verles'.

MARIE: Hast du Stecken geschnitten für den Hauptmann?

WOYZECK: Ja, Marie.

MARIE: Was hast du, Franz? Du siehst so verstört.

WOYZECK geheimnisvoll: Marie, es war wieder was, viel — steht nicht geschrieben: Und sieh, da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?

MARIE : Mann!

WOYZECK: Es ist hinter mir hergangen bis vor die Stadt. Etwas, was wir nicht fassen, begreifen, was uns von Sinnen bringt. Was soll das werden?

MARIE: Franz!

WOYZECK: Ich muß fort. — Heut abend auf die Mess'! Ich hab wieder was gespart. Er geht.

MARIE: Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn! Er schnappt noch über mit den Gedanken! — Was bist so still, Bub? Furchtst dich? Es wird so dunkel; man meint, man wär blind. Sonst scheint als die Latern' herein. Ich halt's nit aus; es schauert mich! Geht ab.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 428
  • Hinzugefügt am 04. Dez 2011 - 07:42 Uhr

Aufrufe: 89 | Downloads: 1 | Dieser Text gefällt 3 Leuten
Der Text hat 6 Empfehlungen in sozialen Netzwerken.

  nächster Text ->

Verwandte Suchbegriffe

georg, büchner, woyzeck, 19., Jahrhundert, deutschland, drama, klassik, vormärz, biedermeier, restauration,

Einsteller: klassiker

Kommentieren

Noch keine Kommentare vorhanden.

 

Alle Texte der Sammlung "Büchner, Woyzeck"

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Woyzeck | 1836-1837

Woyzeck (1)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   PERSONEN Woyzeck • Marie Hauptmann • Doktor •

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Woyzeck | 1836-1837

Woyzeck (2)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   BUDEN. LICHTER. VOLK ALTER MANN singt und KIND tanzt zum

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Woyzeck | 1836-1837

Woyzeck (3)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   STRASSE Hauptmann. Doktor. Hauptmann keucht die Straße

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Woyzeck | 1836-1837

Woyzeck (4)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   FREIES FELD WOYZECK: Immer zu! immer zu! — Hisch, hasch! so gehe

 

Dichtung > Dramatik > DramaGeorg Büchner | in: Büchner, Woyzeck | 1836-1837

Woyzeck (5)

mehr…

Verglichen mit: Büchners Werke in einem Band Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1974   KASERNE Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen WOYZECK: Das