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Sammlung: Kurt Tucholsky 05
Einen Augenblick mal! Teil 01
1890-1935, Kurt Tucholsky
Dass der Berliner, an welchem Ort auch immer, allein gelassen, nachdenklich dasitzt, den Boden fixiert und plötzlich, wie von der Tarantel gestochen, aufspringt und ruft: „Wo kann man denn hier mal telefonieren?“, das ist bekannt. Wenn es keine Berliner gäbe, das Telefon hätte sie erfunden. Es ist ihnen überlegen und sie sind seine Geschöpfe.
Man stelle sich einen kühnen jungen Mann vor, der einen ernsten Geschäftsmann während einer wichtigen Verhandlung stören will. Es wird ihm nicht gelingen. Hellebarden versperren den Weg, Privatsekretärinnen werfen sich vor die Schwelle, nur über ihre Weichteile geht der Weg und jeder Angriff des noch so kühnen jungen Mannes muss misslingen. Wenn er nicht antelefoniert.
Wenn er nämlich antelefoniert, dann kann er den Präsidenten bei der Regierung, den Chefredakteur bei den Druckfehlern, die gnädige Frau bei der Anprobe stören. Denn das Berliner Telefon ist keine maschinelle Einrichtung, es ist eine Zwangsvorstellung.
Klopft das Volk drohend an die Türen, macht der Berliner noch lange nicht auf. Klingelt aber ein kleiner Apparat, dann winkt er noch dem adligsten Besucher ab, murmelt mit jener Unterwürfigkeitsmiene, wie man sie sonst nur bei gläubigen Sektierern findet: „’n Augenblick mal!“, und wirft sich voll wilden Interesses in den schwarzen Trichter. Vergessen sind Geschäft, Hebamme, Börse und Vergleichsverhandlung. „Hallo? Ja, bitte? Hier da...wer dort?“
Einen Berliner fünfzehn Minuten lang, ungestört von einem Telefon, zu sprechen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Wieviel Pointen verpuffen da! Wieviel angesammelte Energie raucht zum Fenster hinaus! Wie umsonst sind Verhandlungslist, Tücke und herrlich ausgeknobelte Hinterhältigkeit! Das Telefon ist keine Erfindung der Herren Bell und Reiß. Der V-Vischer hat die ganze Tücke des Objekts in diesen Kasten gelegt. Es klingelt nur, wenn man das gar nicht haben will.
- Text-Herkunft: Gemeinfrei
- Text-ID 4380
- Hinzugefügt am 14. Feb 2014 - 17:22 Uhr
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Verwandte Suchbegriffe
Telefon, Geschöpf, Geschäftsmann, Präsident, Regierung
Einsteller: sophie-clark
Alle Texte der Sammlung "Kurt Tucholsky 05"
Prosa > Epik > SatireKurt Tucholsky | in: Kurt Tucholsky 05 | 1890-1935
Einen Augenblick mal! Teil 01
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