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Sammlung: Björnstjerne Björnson

Blacken Teil 01

1868, Björnstjerne Björnson

Björgan war früher Pfarrhof der Gemeinde Kvikne in Dovrekjäden. Das Gehöft liegt hoch oben, vollkommen für sich allein; als kleiner Knabe stand ich im Wohnzimmer auf dem Tisch und sah sehnsüchtig zu den Kindern unten im Tal hinab, die im Winter auf Schneeschuhen den Fluß entlangliefen oder im Sommer auf dem Rasen spielten. Björgan lag so hoch, daß Getreide dort nicht mehr wuchs, weshalb das Gehöft jetzt auch an einen Schweizer verkauft und ein Pfarrhof im Tal angekauft worden, wo es doch wenigstens etwas ebener ist. Schmerzlich früh trat der Winter auf Björgan ein! Ein Acker, den Vater in einem warmen und frühen Frühling versuchsweise bestellt hatte, lag eines Morgens unter Schnee verhüllt da; anstatt eines Platzregens konnte ein Schneesturm das gemähte Gras ereilen, und wenn der Winter nun erst zunahm! Die Kälte wurde so groß, daß ich die Klinke der Haustür nicht anzufassen wagte, weil mir die Finger bei der Berührung des Eisens schmerzten. Mein Vater, der an der Küste des Randsfjord geboren und folglich abgehärtet war, mußte nach den entlegeneren Teilen seines Kirchspiels doch oft mit einer Maske vor dem Gesicht fahren. Es knarrte und knirschte auf den Wegen, sobald jemand gegangen kam, und kamen mehrere, so entstand ein ohrzerreißender Lärm. Der Schnee reichte oft bis zum zweiten Stockwerk des schwerfälligen Hauses, kleinere Nebengebäude schneiten ganz ein, Hügel, Gebüsche und Hecken verschwanden unter der Schneedecke völlig, ein unermeßliches Schneemeer dehnte sich aus, in dem bei jedem Sturm, welcher hier Höhlungen riß, dort Schneewehen zusammentrieb, die Gipfel hoher Birken wellenförmig hin und her schwankten. Ich stand auf dem Tisch und sah, wie Schneeschuhläufer von uns aus nach dem Tal hinabeilten, sah, wie die Lappländer aus den Bergwäldern mit ihren Renntierschlitten die steilen Felsenwände hinabsausten und dann wieder zu uns hinaufjagten. Ihre Schlitten schwankten hin und her, und ich werde nie vergessen, wie aus jedem, sobald der Zug endlich auf dem Hofe hielt, ein Pelzbündel herauskroch und sich als ein kleines, geschäftiges und lustiges Menschenkind entpuppte, das Renntierfleisch verkaufte.

Die Bewohner des Kviknetales sollen sich in späteren Zeiten zu einem intelligenten und kräftigen Volksstamm entwickelt haben, allein zu jener Zeit war die Pfarrei Kvikne eine der berüchtigtsten im ganzen Lande. Nicht allzulange vorher hatte ein Pfarrer Pistolen mit in die Kirche nehmen müssen; ein anderer fand bei seiner Heimkunft aus der Kirche all sein Hausgerät von Männern mit geschwärzten Gesichtern, die in das Pfarrhaus eingedrungen waren und seine Frau, welche allein zu Hause gewesen, fast zu Tode erschreckt hatten, zertrümmert und zerschlagen. Der letzte Pfarrer war von dort fortgezogen und hatte sich entschieden geweigert, zurückzukehren. Lange Jahre war die Gemeinde ohne Pfarrer geblieben, bis Vater – vielleicht gerade deshalb – die Pfarrei erhielt, denn man traute ihm zu, daß er imstande wäre, ein Boot gegen Sturm und Strom festzuhalten.

 Ich entsinne mich noch ganz deutlich, wie ich eines Sonnabendmorgens eben im Begriff stand, die Treppe zur Amtsstube, die nach dem Scheuern einen wahren Eisspiegel bildete, auf allen vieren hinaufzuklettern, und noch nicht viele Stufen emporgekommen war, als mich plötzlich ein aus der Amtsstube heraustönendes Krachen und Gepolter voller Angst wieder hinabjagte. Denn dort oben hatte es der Vorkämpfer und Hüne des Kirchspiels übernommen, dem widerspenstigen Pfarrer die dortige Volkssitte beizubringen, fand aber zu seiner Überraschung, daß ihm der Pfarrer erst seine eigene Sitte beibringen wollte. Er gelangte so zur Türe hinaus, daß er die ganze Treppe hinabrollte, unten seine verschiedentlichen Glieder zusammensuchte und in vier Sprüngen die Haustür erreichte. Die Leute in Kvikne wußten nicht besser, als daß der Pfarrer ihnen die Gesetze gab, welche vom Reichstag ausgingen. Deshalb wollten sie ihm die Ausführung des Schulgesetzes verbieten; sie boten meinem Vater Trotz und versammelten sich zahlreich bei dem Zusammentritt des Schulvorstands, um seine Verhandlungen zu verhindern. Trotz der inständigen Bitten meiner Mutter begab er sich zu der Sitzung, und als ihm niemand bei der Einteilung der Schulbezirke und bei ähnlichen wichtigen Angelegenheiten beizustehen wagte, tat er es unter dem drohenden Murren der Menge selbst nach bestem Wissen; aber als er mit dem Protokoll unter dem Arm hinausging, wichen sie auseinander, und niemand tastete ihn an. Man denke sich den Jubel meiner Mutter, als sie ihn, ruhig wie immer, angefahren kommen sah.

 In diesen Verhältnissen und Umgebungen wurde Blacken geboren! Seine Mutter war eine große, rote Stute aus dem Gudbrandsdal, aller Freude derer, die sie sahen; sein Vater war ein rechter Wildfang, ein echter schwarzer Fjordhengst, der an einer fremden Stelle, als man sorglos mit der Stute vorüberzog, wiehernd aus dem Walde hervorbrach, über Hecken und Gräben setzte und mit dem Recht der Liebe nahm, was sein war. Schon früh wurde von Blacken gesagt: er wird das stärkste Pferd werden, das je ein Mensch hier im Norden gesehen hat, und sowenig ich auch Geschichten von Kämpfen und Schlägereien liebte, so betrachtete ich das Fohlen doch wie einen reichbegabten Kameraden. Es war übrigens keineswegs gegen mich immer artig; ich trage noch eine von seinem Hufe herrührende Narbe über dem rechten Auge; aber trotzdem begleitete ich getreulich die Stute und das Fohlen, schlief mit ihnen auf der Erde und kugelte mich zwischen den Beinen der Stute hindurch, wenn sie weidete. Aber einmal war ich zu weit mitgegangen. Der Tag war warm gewesen, ich war in einer offenstehenden Waldscheuer, in der wir wohl alle drei Schutz gesucht hatten, eingeschlafen; die Stute und das Fohlen waren weitergegangen, aber ich war liegengeblieben. Es war schon spät geworden, als die Leute, welche mich vergebens gerufen und gesucht hatten, mit der Nachricht heimkehrten, daß ich nirgends zu finden wäre. Man denke sich den Schrecken meiner Eltern – alle mußten hinaus, mich zu suchen, Felder und Wälder wurden rufend durchschritten, Bäche und Abgründe untersucht, bis jemand endlich ein Kind im Innern der Scheune weinen hört und mich im Heu sitzend entdeckt. Ich war so voller Angst, daß ich lange nicht reden konnte, denn ein großes Tier war gekommen und hatte mich mit feurigen Augen angeblickt. Ob ich es nur geträumt oder wirklich erlebt hatte, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aber gewiß ist, daß ich noch vor einigen Jahren erwachte, weil ich dieses Tier über mir stehen sah.

 Blacken und ich, wir bekamen bald Kameraden: erst einen kleinen Hund, der mich Zucker stehlen lehrte, dann eine Katze, die eines Tages unerwartet in der Küche erschien. Ich hatte vorher nie eine Katze gesehen; totenblaß stürzte ich in das Zimmer hinein und schrie, daß eine große Ratte aus dem Keller gekommen wäre. Im nächsten Frühjahr wurden wir unserer noch mehr, denn da kam noch ein kleines Ferkel hinzu – und sooft Blacken seine Mutter auf die Arbeit begleitete, hielten doch wir stets zusammen: der Hund, die Katze, das Ferkel und ich. Wir vertrieben uns die Zeit ziemlich gut, namentlich damit, daß wir zusammen schliefen. Ich gab diesen Kameraden ja alles, was ich selbst gern hatte; so brachte ich dem Ferkel einen silbernen Löffel hinaus, damit es anständiger fressen sollte; es versuchte auch in der Tat, das heißt den silbernen Löffel zu fressen. Wenn ich meine Eltern zu den Leuten unten im Tal begleiten mußte, so kam auch der Hund, die Katze und das Ferkel mit. Die beiden ersten setzten sich neben uns in die Fähre, die uns über den Fluß setzen sollte. Das Ferkel grunzte etwas und schwamm darauf hinterher. Wir wurden dann jedes nach seiner Weise bewirtet, und des Abends zogen wir wieder in derselben Ordnung heimwärts.

 Allein bald sollte ich diese Kameraden verlieren und nur Blacken behalten, denn mein Vater erhielt die Pfarrei Nässe im Romsdal. Es war ein merkwürdiger Tag, als wir fortzogen, wir Kinder und ein Kindermädchen in einem kleinen Hause, welches auf einen langen Schlitten gesetzt war, so daß uns weder Wind noch Schnee erreichen konnten, und mein Vater und meine Mutter in einem breiten Schlitten voran, und alle diese Menschen rings um uns her, die uns wieder und immer wieder Lebewohl sagen wollten. Ich kann nicht sagen, daß mir sonderlich traurig zumute war, denn ich zählte erst sechs Jahre und wußte, daß in Drontheim für mich ein Hut und Rock und Beinkleider gekauft waren, die ich bei unserer Ankunft in dem neuen Pfarrort anziehen sollte. Und dort, in unserer neuen Heimat sollte ich zum erstenmal die See sehen! Und dann war ja auch Blacken mit!

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 6240
  • Hinzugefügt am 11. Sep 2014 - 06:50 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

blacken, Björnstjerne, Björnson, pfarrei, pferd

Einsteller: sophie-clark

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1 Kommentar

  1. sophie-clark

    Eine Pferdegeschichte.

    02. Nov 2015 - 16:56 Uhr

 

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Prosa > Epik > ErzählungBjörnstjerne Björnson | in: Björnstjerne Björnson | 1868

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