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Collection: Adolf Damaschke

Ein Berliner Junge Teil 01

1865-1935, Adolf Damaschke

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Kindheit Rosenthaler Straße 39

 

 

Ich wurde am 24. November 1865 in der Rosenthaler Straße 39 geboren. Die Straße, die am Hackeschen Markt beginnt, ist eine der belebtesten des Berliner Zentrums. Das Haus Nr. 39 bestand aus einem Vorderhaus, in dem sich im Erdgeschoss das Möbellager von Dessin befand, darüber einige Wohnungen. Aus dem Hausflur ging eine tiefe Treppe hinunter zu einem Budikerkeller. Obwohl wir die ersten zehn Jahre meines Lebens im Haus wohnten, kann ich mich nicht entsinnen, mehr als zweimal in diesem Keller gewesen zu sein und dann auch nur, um Bestellungen auszurichten. Ans Vorderhaus schloss sich ein langer Seitenflügel. Der Hof war schmal. Er wurde gegen das Nachbarhaus durch eine hohe, kahle Mauer, die heute abgerissen ist, abgeschlossen. Am Ende des Hofes, der uns Kindern endlos lang vorkam, war der Eingang zu »Fritz Kellers Gartenlokal«. Links davon bildete ein zweiter Hausflur die Verbindung zum hinteren Hof. Von diesem dunklen Hausflur führte links eine Treppe hinunter, die auch bei hellichtem Tag nie von einem Lichtstrahl erreicht wurde. Auf ihr kam man zunächst in eine große Tischlerwerkstatt, dann zur Wohnung und Werkstatt eines Tapezierers. Im zweiten Stock lagen unsere Werkstatt und Wohnung. Auf dem zweiten Hof war eine Wagenremise, der Stall für die Pferde des Möbellagers Dessin, ein Heuboden und eine Reihe von Aborten. Denn Wasserklosetts wie heute gab es noch nicht, am wenigsten in Hofwohnungen.

Von unseren Nachbarn in diesem Hinterhaus kann ich mich noch eines Schlossers namens Sommer entsinnen. Sein einziger Sohn war wohl fünf oder sechs Jahre älter als ich. Der Mann verunglückte tödlich und die Leiche wurde im Waschkeller aufgebahrt. Ich weiß noch, wie es mir durch und durch ging, als ich mit dem Sohn des Toten durch die halbgeöffnete Tür zu dem Sarg hinübersah und der Junge weiter nichts zu sagen hatte als: »Jetzt kann ich mir Bonbons und Zigarren kaufen soviel ich will. Jetzt kann er es nicht mehr verbieten!«

 

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Ein-Berliner-Junge, Adolf-Damaschke, Erinnerung, Jugendzeit, Kindheit

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