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Collection: Adam Heinrich Müller

Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland Teil 03

1779-1829, Adam Heinrich Müller

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Zu einem wahren Gespräch gehören gewisse Erfordernisse, die sich, zumal in unserer Zeit, seltener finden, als man denken sollte. Zuvorderst zwei durchaus verschiedene Sprecher, die einander geheimnisvoll und unergründlich sind. Dann zwischen beiden eine gewisse gemeinschaftliche Luft, ein gewisser Glaube, ein Vertrauen, ein gemeinschaftlicher Boden der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Beide Forderungen sollte der Mensch eigentlich erfüllen, inwiefern er Mensch ist. Indes finde ich besonders die heutige Generation so einförmig und so zerrissen, von dem, was sie vereinigen sollte, nämlich den Ideen, so abgewandt, und in den Formen des Geistes, worin sie sich brechen sollte, so gleichförmig, dass es mich nicht wundern kann, wenn es überhaupt viel mehr Redende als Hörende, viel mehr Lehrende als Lernende, und wenig wahres Gespräch gibt. Die ein Gespräch führen sollen, müssen einander etwas zu sagen haben, etwas Freies, Eigentümliches. Die Form des Geistes in ihnen muss eine durchgängig verschiedene sein. Jedermann gibt das auf den ersten Blick zu. Aber dass etwas ebenso mächtiges Gemeinschaftliches zwischen ihnen sein muss, so wie ich eben von dem Verhältnis der Geschlechter bemerkte, dass neben dem höchsten Zwiespalt, den die Natur anrichtet, sie ein desto gewaltigeres Streben nach der Vereinigung und dem Frieden legt, also, ein wahres und inniges Gespräch begründet hat, bedarf einer näheren Auseinandersetzung.

Für sich allein oder für jedermann ist niemand ein Redner. Wem nicht gewisse Personen, gewisse Arten des Widerspruchs den Mund verschließen, der mag ein geübter Sophist sein, aber ein Redner ist er sicherlich nicht. Wer nicht über gewisse Dinge mit mir einig ist, mit dem kann ich über die anderweiten nicht streiten. Glaubt ihr an mich, so bin ich ein Redner, zweifelt ihr an mir, so bin ich stumm. Nicht etwa aus Absicht oder mit Vorsatz, aber weil mir wirklich das Vermögen, das Talent der Rede im Mund verlöscht. Glaubt ihr an mich, kann wohl nichts anderes heißen, als, glaubt ihr, dass ich etwas Höheres will als mich. nämlich die Wahrheit oder die Gerechtigkeit. Die beiden Sprecher im Gespräch müssen also aneinander glauben, eine Luft des Vertrauens muss sie beide umfangen, ein Boden der Gesinnung muss sie beide tragen. Zumindest muss ein gemeinschaftliches Gesetz des Anstandes und Wohllautes zwischen ihnen herrschen.

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Beredsamkeit, Rede, Adam, Heinrich, Müller

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