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Collection: Gedicht R
Rabbi Meyer
1805-1875, Hans Christian Andersen
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Zum Gebet versammelt Israel war,
durch die Scheiben schien die Sonne klar.
Rabbi Meyer stand vor dem Altar.
Der Talar
fiel herab um ihn in prächt'gen Falten.
Feurig und beredten Worts sein Mund
tat die Wand'rung durch die Wüste kund.
Aus dem Herzen drang's zum Herzen und
Gottes Bund
schildert' er und seiner Gnade Walten.
»Für das kommende Geschlecht nur fleht,
das dem Bäumlein gleich in Blüte steht.
Das gelobte Land, das Ihr nicht seht,
sein wird's spät!
Ihm wird reisen, was gesä't wir haben.«
Sprach's, da naht der Stadt sich eine Schar
mit zwei Leichen auf der Totenbahr',
die dem Fluss entrissen. Sagt, wer war
dieses Paar?
Wehe, Rabbi! Es sind deine Knaben!
Sie, die schriftgelehrt und fromm und gut,
wie die Zedern kräftig und voll Mut.
Deren Auge strahlte milde Glut.
In der Flut
hat der Engel sie dem Tod geweihet!
Rückwärts führt kein Pfad hinauf zum Licht.
Und die Mutter, ob ihr Herz auch bricht,
sinkt auf's Knie, verhüllt ihr Angesicht,
fromm dann spricht:
»»Herr! Du gabst, du nahmst, sei gelobt!««
Deckte mit dem weißen Sterbekleid'
sie, die ihres Lebens Trost und Freud'.
Mild ein Strom von Tränen Linderung beut
ihrem Leid:
Sieh! Da kommt der Rabbi heimgegangen.
Und die Lampe zündet sie in Hast,
lächelnd grüßt sie ihn und schnell gefasst,
als er, ruhend von des Tages Last,
sie umfasst.
Und sie liebend küsst auf Stirn und Wangen.
D'rauf spricht er, zur Gattin hingewandt:
»Gingen meine Söhne über Land?
Leer im Tempel, wo man stets sie fand,
war ihr Stand.«
»»Sie sind in der Näh'!«, erwiedert Jene.
Als den Tisch sie nun zurecht gemacht
und dem Mann' den Becher Wein gebracht,
dass er danke Gott, der Tag und Nacht
uns bewacht.
Sprach er wieder: »Rufe meine Söhne!«
Auf zum Himmel blickt sie, wie verklärt,
der im höchsten Schmerz ihr Kraft gewährt.
Und entgegnet: »»Die uns Gott bescheret,
unversehrt
sind und nahe, unseres Stammes Zweige.««
D'rauf beruhigt er das Mahl genießt,
das mit frommen Liedern er beschließt:
»Du, dem's Vöglein singt, dem's Blümchen sprießt,
Herr! Du stehst,
wie ich dankerfüllt vor Dir mich neige!«
»Rufe meine Söhne doch zur Stell'!«
»»Warte, teurer Gatte!«, spricht sie schnell.
»Erst belehre mich. Du bist der Quell,
d'raus ich hell
Recht und Weisheit stets geschöpfet habe.««
»Seit geraumer Zeit die Hüterin
eines seltenen Juwels ich bin,
dass es fast mein Eigentum mir schien.
Geb' ich hin,
wenn's der Eigner wünscht, die selt'ne Gabe?«
»Israels Tochter, welche Zweifel, sprich?!
Gib's zurück! Wie, du besinnest dich?!«
»Ach, mein zweifelnd Herz, es sträubet sich!
Fürchterlich
wird's die Ruhe meines Lebens trüben.«
»Gib's zurück dem Eigner, dem's gebührt!«
Und sie drückt ihn an ihr Herz gerührt,
ihre Lippen seine sanft berührt.
Schonend führt
sie ihn hin an's Lager seiner Lieben,
wo das Paar in Todesruhe schlief.
»Meine Söhne, weh'!«, der Rabbi rief,
aus dem Aug' ein Strom von Tränen lief.
»Herr, so tief
strafst du mich! Was hab' ich denn verbrochen?«
»Hin ist alles, Freude, Ruh' und Glück!«
Doch sie, stärker als ihr Missgeschick,
spricht: »»Du lehrtest mich den Augenblick:
Gib zurück,
was als sein der Eigner angesprochen.«
»Selbst das Sträuben ist dir nicht erlaubt!«
Rabbi Meyer hob empor das Haupt.
»Gott, du hast die Söhne mir geraubt.
Doch, wer glaubt,
spricht: Du gabst, du nahmst, gelobt!«
»Werde Staub zu Staub! In Frieden ruh't!
Wen der Ew'ge nimmt in sich're Hut,
dem schenkt er ein Weib mit Glaubensmut,
treu und gut,
das in Prüfungszeit ihm Trost verleihet!«
- Text origin: In public domain
- Text id 9477
- Added on Dec 08, 2022 - 12:01 PM
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Rabbi-Meyer, Hans-Christian-Andersen, zum-Gebet-versammelt, durch-die-Scheiben, vor-dem-Altar
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