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Sammlung: Büchner, Leonce und Lena

Leonce und Lena (03)

1836, Georg Büchner

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Gemeinfreier Text - Persönlich redigiert!

 

 

 

DRITTE SZENE
EIN REICHGESCHMÜCKTER SAAL
KERZEN BRENNEN

Leonce mit einigen Dienern

LEONCE: Sind alle Läden geschlossen? Zündet die Kerzen an! Weg mit dem Tag! Ich will Nacht, tiefe ambrosische Nacht. Stellt die Lampen unter Kristallglocken zwischen
die Oleander, daß sie wie Mädchenaugen unter den Wimpern der Blätter hervorträumen. Rückt die Rosen näher, daß der Wein wie Tautropfen auf die Kelche sprudle. Mu-sik! Wo sind die Violinen? Wo ist die Rosetta? -Fort! Alle hinaus!
Die Diener gehen ab. Leonce streckt sich auf ein Ruhebett. Rosetta, zierlich gekleidet, tritt ein. Man hört Musik aus der Ferne.

ROSETTA nähert sich schmeichelnd: Leonce!

LEONCE: Rosetta!

ROSETTA: Leonce!

LEONCE: Rosetta!

ROSETTA: Deine Lippen sind träg. Vom Küssen?

LEONCE: Vom Gähnen!

ROSETTA: Oh!

LEONCE: Ach Rosetta, ich habe die entsetzliche Arbeit ...

ROSETTA: Nun?

LEONCE: Nichts zu tun ...

ROSETTA: Als zu lieben?

LEONCE: Freilich Arbeit!

ROSETTA beleidigt: Leonce!

LEONCE: Oder Beschäftigung.

ROSETTA: Oder Müßiggang.

LEONCE: Du hast recht wie immer. Du bist ein kluges Mädchen, und ich halte viel auf deinen Scharfsinn.

ROSETTA: So liebst du mich aus Langeweile?

LEONCE: Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr seid eins. O dolce far niente! Ich träume über deinen Augen wie an wunderheimlichen tiefen Quellen, das Kosen deiner Lippen schläfert mich ein wie Wellenrauschen. Er umfaßt sie. Komm, liebe Langeweile, deine Küsse sind ein wollüstiges Gähnen, und deine Schritte sind ein zierlicher Hiatus.

ROSETTA: Du liebst mich, Leonce?

LEONCE: Ei warum nicht?

ROSETTA: Und immer?

LEONCE: Das ist ein langes Wort: immer! Wenn ich dich nun noch fünftausend Jahre und sieben Monate liebe, ist's genug? Es ist zwar viel weniger als immer, ist aber doch eine erkleckliche Zeit, und wir können uns Zeit nehmen, uns zu lieben.

ROSETTA: Oder die Zeit kann uns das Lieben nehmen.

LEONCE: Oder das Lieben uns die Zeit. Tanze, Rosetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht!

ROSETTA: Meine Füße gingen lieber aus der Zeit. Sie tanzt und singt:

O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
In bunten Schuhen,
Und möchtet lieber tief, tief
Im Boden ruhen.

O meine heißen Wangen, ihr müßt glühen
Im wilden Kosen,
Und möchtet lieber blühen —
Zwei weiße Rosen.

O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen,
Und schlieft im Dunkel lieber aus
Von euren Schmerzen.

LEONCE indes träumend vor sich hin: Oh, eine sterbende Liebe ist schöner als eine werdende. Ich bin ein Römer; bei dem köstlichen Mahle spielen zum Dessert die goldnen Fische in ihren Todesfarben. Wie ihr das Rot von den Wangen stirbt, wie still das Auge ausglüht, wie leis das Wogen ihrer Glieder steigt und fällt! Adio, adio, meine Liebe, ich will deine Leiche lieben.
Rosetta nähert sich ihm wieder.
Tränen, Rosetta? Ein feiner Epikureismus, weinen zu können. Stelle dich in die Sonne, damit die köstlichen Tropfen kristallisieren, es muß prächtige Diamanten geben. Du kannst dir ein Halsband daraus machen lassen.

ROSETTA: Wohl Diamanten, sie schneiden mir in die Augen. Ach, Leonce! Will ihn umfassen.

LEONCE: Gib acht! Mein Kopf! Ich habe unsere Liebe darin beigesetzt. Sieh zu den Fenstern meiner Augen hinein! Siehst du, wie schön tot das arme Ding ist? Siehst du die zwei weißen Rosen auf seinen Wangen und die zwei roten auf seiner Brust? Stoß mich nicht, daß ihm kein Ärmchen abbricht, es wäre schade. Ich muß meinen Kopf gerade auf den Schultern tragen, wie die Totenfrau einen Kindersarg.

ROSETTA scherzend: Narr!

LEONCE: Rosetta! Rosetta macht ihm eine Fratze. Gott sei Dank! Hält sich die Augen zu.

ROSETTA erschrocken: Leonce, sieh mich an!

LEONCE: Um keinen Preis!

ROSETTA: Nur einen Blick!

LEONCE: Keinen! Was meinst du: um ein klein wenig, und meine liebe Liebe käme wieder auf die Welt. Ich bin froh, daß ich sie begraben habe. Ich behalte den Eindruck.

ROSETTA entfernt sich traurig und langsam, sie singt im Abgehn:

Ich bin eine arme Waise,
Ich fürchte mich ganz allein.
Ach, lieber Gram —
Willst du nicht kommen mit mir heim?
 

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 661
  • Hinzugefügt am 25. Mär 2012 - 08:16 Uhr

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Vormärz, Georg, Büchner, Leonce, und, Lena, Biedermeier, Wiener, Kongress, Fürstenherrschaft, gesellschaftlicher, Stillstand, Parabel, Gesellschaft, Deutschland, 19., Jahrhundert, Satire

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