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Sammlung: Annette von Droste-Hülshoff

Die Judenbuche Teil 03

1842, Annette von Droste-Hülshoff

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In dieser Umgebung wurde Friedrich Mergel geboren, in einem Haus, das durch die stolze Zugabe eines Rauchfangs und kleiner Glasscheiben die Ansprüche seines Erbauers sowie durch seine gegenwärtige Verkommenheit die kümmerlichen Umstände des jetzigen Besitzers bezeugte. Das frühere Geländer um Hof und Garten war einem vernachlässigten Zaun gewichen, das Dach schadhaft, fremdes Vieh weidete auf den Triften, fremdes Korn wuchs auf dem Acker und der Garten enthielt, außer ein paar verholzten Rosenstöcken aus besserer Zeit, mehr Unkraut als Kraut. Freilich hatten Unglücksfälle manches hiervon herbeigeführt; doch war auch viel Unordnung und böse Wirtschaft im Spiel. Friedrichs Vater, der alte Hermann Mergel, war in seinem Junggesellenstand ein sogenannter ordentlicher Säufer gewesen, das heißt einer, der nur an Sonn- und Festtagen in der Rinne lag und die Woche hindurch so manierlich war wie jeder andere. So war ihm denn auch seine Werbung um ein recht hübsches und wohlhabendes Mädchen nicht erschwert. Auf der Hochzeit ging es lustig zu. Mergel war gar nicht so arg betrunken und die Eltern der Braut gingen abends vergnügt heim. Aber am nächsten Sonntag sah man die junge Frau schreiend durchs Dorf zu den Ihrigen rennen, all ihre guten Kleider und neues Hausgerät im Stich lassend. Das war freilich ein großer Skandal und Ärger für Mergel, der allerdings Trostes bedurfte. So war denn auch am Nachmittag keine Scheibe an seinem Hause mehr ganz und man sah ihn noch bis spät in die Nacht vor der Türschwelle liegen, einen abgebrochenen Flaschenhals von Zeit zu Zeit zum Munde führend und sich Gesicht und Hände jämmerlich zerschneidend. Die junge Frau blieb bei ihren Eltern, wo sie bald verkümmerte und starb. Ob nun den Mergel Reue quälte oder Scham, er wurde desTrostmittels jedenfalls immer bedürftiger und wurde bald den gänzlich verkommenen Subjekten zugezählt.

Die Wirtschaft verfiel, fremde Mägde brachten Schimpf und Schaden, so verging Jahr auf Jahr. Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Witwer, bis er mit einemmal wieder als Bräutigam auftrat. War die Sache an und für sich unerwartet, so trug die Persönlichkeit der Braut noch dazu bei, die Verwunderung zu erhöhen. Margreth Semmler war eine brave, anständige Person, etwa in den Vierzigern, in ihrer Jugend eine Dorfschönheit und noch jetzt als sehr klug geachtet, dabei nicht unvermögend und so musste es jedem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritt getrieben hatte. Wir glauben den Grund eben in dieser ihrer selbstbewussten Vollkommenheit zu finden. Am Abend vor der Hochzeit soll sie gesagt haben: »Eine Frau, die von ihrem Mann übel behandelt wird, ist dumm und taugt nicht.« Die Erfahrung zeigte leider, dass sie ihre Kräfte überschätzt hatte. Anfangs imponierte sie ihrem Mann. Er kam nicht nach Hause oder kroch in die Scheune, wenn er sich betrunken hatte. Aber das Joch war zu drückend, um lange getragen zu werden und bald sah man ihn oft genug quer über die Gasse ins Haus taumeln, hörte drinnen sein wüstes Lärmen und sah Margreth eilends Tür und Fenster schließen. An einem solchen Tag, keinem Sonntag, sah man sie abends aus dem Haus stürzen, ohne Haube und Halstuch, das Haar wild um den Kopf hängend und in die Scheune flüchtend. Es hieß, an diesem Tag habe Mergel erstmals Hand an sie gelegt, obwohl das Bekenntnis nie über ihre Lippen kam.

 

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  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 7798
  • Hinzugefügt am 05. Feb 2015 - 20:12 Uhr

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