Text-Suche

Wer ist online

48 Gäste online.

Noch nicht registriert oder angemeldet. Hier registrieren.

Sammlung: Carl Sternheim

Tabula rasa Teil 03

1878-1942, Carl Sternheim

<- vorheriger Text  

Dritter Auftritt

Sturm. Geradewegs vom Bahnhof komme ich um nähere Auskunft und Belehrung.

Ständer. Du weisst aus meinen Briefen die Hauptsache.

Sturm. Ich will das Ding im Handumdrehen fingern, dass es schillert. Eine unfehlbare Methode habe ich, dösige Köpfe zu rebellieren. In zwei Tagen raucht hier außer den Kaminen alles.

Ständer. Die Kerls sind nicht dumm. Du musst systematisch vorgehen.

Sturm. Wie werde ich denn nicht! Erst System auf den Tisch gehauen, dass die Bagage hüpft. Herrschaft des Proletariats, Klassenkampf bis zur Vernichtung der Gegner. Dafür lass mich sorgen.

Ständer. Langsam ihnen eins nach dem anderen beibringen.

Sturm. Und vor allem gleich ein paar zuverlässige Schlagworte jedem in die Fresse. Da habe ich eine ganze Speisekarte. Zehn Jahre arbeite ich nach bewährtem Rezept. Auf den Tisch springe ich, und dann gehts mit Alarm. (Er schreit.) Genossen! Aktionärbataillone und ihre Profitrate würgen euch schließlich den Magen aus dem Hals.

Ständer. Hier handelt es sich eigentlich um lokale Fragen.

Sturm. Alles wurzelt im großen, politischen, allgemeinen Ideal.

Ständer. Das sitzt uns tief in den Knochen. Unnötig, davon zu sprechen.

Sturm. Im Gegenteil behaupte ich: Lokale Fragen, die sich stets um ökonomische Vorteile drehen, um Bequemlichkeiten einzelner Gruppen vor der großen Masse, bedrohen geradezu die ewige Sichtbarkeit unserer politischen Forderungen.

Ständer. Es liegen besondere Verhältnisse vor.

Sturm. Nichts Besonderes! Als deine ersten Zeilen mit dem Notschrei kamen, du fürchtest, hier stürbe durch reichliche und fortwährende Konzessionen die Unzufriedenheit des Proletariers aus. Da sah ich, du hiebst in die gleiche Kerbe mit anderen Besorgten, aber bewusster und fester. Da wusste ich, Rodau ist der Platz, endlich im Angesicht ganz Deutschlands die Genossen in flammender Proklamation vor ihrer Neigung zur Verweichlichung durch Fürsorge aller Art zu warnen.

Ständer. Aber...

Sturm. Schreiende Schande ist der Versuch der Kapitalisten, durch sogenannte Wohlfahrtseinrichtungen die Massen zu ködern. Verbrechen aber die Neigung unserer Führer, solche Dinge zu fördern und ihrerseits zu überfordern.

Ständer. Immerhin...

Sturm. Wie kann einem Unternehmen, in dem dem Arbeiter Konsum-, Vorschuss- und Kreditvereine, Speise-, Bade- und Erholungsanstalten, Säuglings-, Waisen-, Behinderten-, Krüppelfürsorge neben Kranken-, Unfall-, Angestellten- und Invaliditätsversicherung den irdischen Rücken decken, ihn noch dringendes Bedürfnis an einer Umgestaltung der Lage seiner Klasse beseelen?

Ständer. Aber...

Sturm. Muss nicht die Sucht, sich nach allen Himmelsrichtungen durch Renten zu sichern, das Kontroll- und Verantwortlichkeitsgefühl, seinen theoretischen Sinn schwächen, da sie alle Sinne auf das praktische Leben lenkt? Die Partei ist dir tief verpflichtet, weil du durch deinen Hinweis Gelegenheit gabst, hier ein Exempel zu statuieren.

Ständer. Neben diesen richtigen Voraussetzungen wollte ich...

Sturm. Du nennst mir die maßgebenden Genossen. Gewissermaßen die, die auf größere Arbeitergruppen Einfluss haben. An sie pirsche ich mich zuerst heran.

Ständer. Grund meiner Aufforderung an dich, zu kommen, war rundheraus, eine Arbeiterbibliothek.

Sturm. Bibliothek?

Ständer. Die Glasbläser von Rodau fordern aus Gründen der Menschlichkeit eine großzügige Volksbücherei, die trotz des vor der Tür stehenden Hundertjahrfestes die Leitung der Werke nicht bewilligen will.

Sturm. Aber da haben wir die Korruption!

Ständer. Stellst du eine Bücherei mit Badeanstalten und Genossenschaftsschlächtereien auf eine Stufe? 

Sturm. Unbedingt tue ich das.

Ständer. Für mich gibt es da wesentliche Unterschiede. Auf ein Bad kann ich verzichten. Die Fortbildung des Proletariats durch Bücher aber ist auch zur Erkenntnis des wirklich gottgewollten Systems Notwendigkeit.

Sturm. Ihre ungebrochene, zielbewusste Sehnsucht lesen sich die Leute auseinander, schnüffeln sie an Dingen, die sie nichts angehen oder die sie nicht verstehen. Bücher sind eine Brücke zur Oberschicht, denn mit Ausnahme von Parteischriften sind sie sämtlich vom Bourgeois geschrieben.

Ständer. Shakespeare, Goethe, Schiller?

Sturm. Schiller erst recht! Da gibt es nichts als Herrschaften, die aus Mangel an wirklicher Arbeit und Sorge ums tägliche Brot Zeit haben, ihre nächsten Verwandten zu morden. Das ist sinnlos für unsere Welt. Großbürgerliche Vorstellungsreihen in Spiritus.

Ständer. Sittengesetze?

Sturm. Das Sittengesetz unserer Zeit wird geboren aus dem Kampf der Massen ums Dasein.

Ständer. Du scheinst auf deine Weise radikal.

Sturm. Ich bin es. Und legt ihr die Ruten noch geschickter, den Leim der Bourgeoisie wittere ich in allen Schlupfwinkeln. Wir wollen den Erdball, alle Gesetze der Spießbürger aus den Angeln drehen. Wir brauchen ihre Moral, ihre Fürsorge und vor allem ihre Bücher nicht. Eine neue Welt mit nagelneuen Begriffen wollen wir. Die Zeit liegt in den Wehen. Nach innen und außen wankt unser Boden politisch. Wer ein Mann ist, wagt heute schon irgendwo sein Leben. Der Proletarier das seine an einen reinen ideellen Sozialismus. Keine Bibliothek, aber ein spießbürgerfreies Rodau schaffe ich dir eins, zwei, drei. Verlass dich auf Sturm, alter Freund.

Ständer. Sehr schon alles in allem. Nur vielleicht ein wenig gemäßigter.

Sturm. Gemäßigt? Da hättest du einen anderen suchen müssen. Lauheit ist gerade jetzt Todsünde. Ich halte es unverbrüchlich mit Befreiung durch politische Enteignung. Punktum.

Ständer. Na gut.

Sturm. In diesem Sinn von morgen ab mit Dampf.

Ständer. Na schön.

Sturm. Weil du müde bist, jetzt nicht mehr das nötige Feuer aufbringst. Einverstanden?

Ständer. Gut.

Sturm (ernst). Konfiskation. Revolte!

Ständer. Na schön.

Sturm. Gasthaus zum Hahn, so hieß das Ding am Bahnhof wohl? Da wohne ich also. Und mit Hochdruck morgen.

Ständer. Schön.

Sturm (mit Händedruck Abgang).

Ständer. Ein törichter, theoretischer Mensch. Was so ein Bursche, höheren Aufschwungs unfähig, ohne im wesentlichen zu nützen, im einzelnen für Unheil anrichten könnte. (Er setzt sich und schreibt.) »An die Unionbank. Ich bitte Sie, für mich Mark achttausend nominal Vereinigte Rodauer Glasfabriken zum Kurs zu verkaufen.«

 

Werke von A-Z

Autoren von A-Z

Literaturgattungen von A-Z

Carl Sternheim Werke von A-Z

Komödie Werke von A-Z

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8954
  • Hinzugefügt am 12. Mär 2022 - 13:51 Uhr

Aufrufe: 6 | Downloads: 0

<- vorheriger Text  

Verwandte Suchbegriffe

Tabula-rasa, Carl-Sternheim, Komödie, Bahnhof, Auskunft

Einsteller: sophie-clark

Kommentieren

Noch keine Kommentare vorhanden.

 

Alle Texte der Sammlung "Carl Sternheim"

Dichtung > Dramatik > KomödieCarl Sternheim | in: Carl Sternheim | 1878-1942

Tabula rasa Teil 01

mehr…

Inhaltsangabe   Personen           Wilhelm Ständer   Isolde Ständer , 

 

Dichtung > Dramatik > KomödieCarl Sternheim | in: Carl Sternheim | 1878-1942

Tabula rasa Teil 02

mehr…

Zweiter Auftritt Isolde   (tritt auf) . Ständer . Ich sterbe vor Hunger und du trödelst draußen. Spukt auch bei dir das Jubiläum? Isolde . Wir

 

Dichtung > Dramatik > KomödieCarl Sternheim | in: Carl Sternheim | 1878-1942

Tabula rasa Teil 03

mehr…

Dritter Auftritt Sturm . Geradewegs vom Bahnhof komme ich um nähere Auskunft und Belehrung. Ständer . Du weisst aus meinen Briefen die Hauptsache. Sturm .