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Sammlung: Carl Sternheim

Tabula rasa Teil 02

1878-1942, Carl Sternheim

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Zweiter Auftritt

Isolde (tritt auf).

Ständer. Ich sterbe vor Hunger und du trödelst draußen. Spukt auch bei dir das Jubiläum?

Isolde. Wir Mädchen üben großartige Bilder und Tänze ein.

Ständer. Gut. Später. Schließ ab.

Isolde. Die Türen sind zu.

Ständer. Den Vorhang herunter!

Isolde (lässt den Vorhang herab).

Ständer. Was bringst du?

Isolde. Fischmayonnaise und ein Rehkotelett in Gelee.

Ständer. Der Sherry?

Isolde. Ist da. (Sie stellt aus einem Körbchen alles auf den Tisch.)

Ständer (beginnt gierig zu essen).

Isolde. Noch ein Bund Radieschen, die frühesten auf dem Markt.

Ständer. Nicht hervorragend die Mayonnaise. Das Öl an der Grenze der Bedenklichkeit.

Isolde (hat eine Spieluhr in Gang gesetzt).

Ständer. Herrgott, das Wichtigste vergisst du ja!

Isolde. Ist auch besorgt. (Sie gibt ihm einen verschlossenen Briefumschlag.)

Ständer (steckt das Papier zu sich). Ihr Mädchen mit Tänzen und lebendem Bilderkram seid auch die einzigen, die hier Lust spüren, irgendein Fest zu feiern. Der Rest, wir dreitausend Arbeiter von Rodau mit lastüberhäuften Frauen und Anhang, sind angeschmiedete Sklaven, die nicht die mindeste Neigung haben.

Isolde. Angeschmiedet?

Ständer. Vom Hahnenschrei bis zur Dunkelheit an die Maschinen. Nie eigene Person. Glasstaub in den Lungen. Schwindsucht, schließlich Faulen auf dem Mist. Betäubten uns nicht Alkohol und Nikotin, wir rissen die stählernen Ungetüme vom Platz, schmissen sie zum Fenster hinaus und befreiten uns mit einem Ruck zu bescheidenem Lebensgenuss.

Isolde (hat ihm den Frisiermantel umgelegt und beginnt, sein Haar mit schäumendem Wasser zu waschen).

Ständer. Je älter ich werde, um so weniger begreife ich unsere Engelsgeduld. Just so ein Jubiläum gäbe uns Proletariern die beste Gelegenheit, mit den Besitzern der Werke gründlich abzurechnen. Etwa die Fabrik steht hundert Jahre, Dutzende von Millionen sind verdient. Der Arbeiter hat sie geschafft. Was wurde an ihn, was an die Eigentümer bezahlt? Wo ist da um Gotteswillen Gerechtigkeit? Gibt es unter uns nicht solche, die knapp vierzehn Mark die Woche verdienen? Es ist eine Schweinerei. Und dazu ein Jubiläum mit Fackeln und bengalischer Beleuchtung? Das Volk hat Milch in den Knochen, lässt sich durch Almosen einlullen, sonst müsste es, statt Feste der Fabrikanten zu feiern, endlich mit gepanzerter Faust auftrumpfen.

Isolde. Glaubst du wirklich?

Ständer. Ich spreche stets nur Überzeugungen aus, das weißt du aus Erfahrung. Nach deinem einundzwanzigsten Jahr gab ich dir nur darum noch Unterhalt, weil bis zum Eintritt entscheidender Veränderungen in meinem Leben deine hübsche Erscheinung im Zusammenleben mir inzwischen Spaß macht und die mit mir angestellten Aufmerksamkeiten mich ergötzen.

Isolde (nimmt ihm den Frisiermantel ab und küsst ihn).

Ständer. Da du unter keinen Umständen selbst nennenswert arbeiten willst, sagte ich, musst du die Talente wetzen, den Mann, den du eingefangen, zu unermüdlicher Leistung für dich zu spornen. Das geschieht, indem du seine Fantasie entflammst. Die Basis dafür schufen deine Eltern, als sie dir auf meinen Rat den überspannten Namen Isolde gaben. Was du aber bis heute aus eigener Kraft hinzugetan hast, reicht zu großen Hoffnungen bei weitem nicht aus.

Isolde. Was soll ich denn noch...?

Ständer. Methodisches Klavier.

Isolde. Artur ist unmusikalisch.

Ständer. Eben darum bieten Beethoven und Konsorten hundert Schlupfwinkel für deinesgleichen. Mehr Französisch, das er nicht versteht und Schiller.

Isolde. Schiller ist veraltet.

Ständer. Erprobt ist er. Was kann Vernunft gegen das eine Wort: »Ehret die Frauen, sie flechten und weben«? So etwas wirkt im Streitfall wie bombensicheres Bollwerk. Da du dich unbedingt von deinem Mann mästen willst...sieh deinen Bauch.

Isolde. Ich habe kein Korsett an. (Sie räumt den Tisch ab und bringt das Zimmer in Ordnung.)

Ständer. Du bist eine Fresserin und nichts wird ihn im Wachstum hindern.

Isolde. Aber meine ausgeschnittene Bluse fürs Fest, die schon neue Rüschen hat und geplättet ist?

Ständer. Kein Wort mehr davon. Wollen sehen, ob die Gerechtigkeit zulässt, dass während das Elend und die Unfreiheit der arbeitenden Klasse gerade hier zum Himmel stinkt, kapitalistische Orgien gefeiert werden. Erst habe ich der Gesellschaft mal einen Knüppel in die Räder geworfen. Gleich wird die Wirkung zu spüren sein.

Isolde. Und ich sollte die Abundantia, den Überfluss darstellen, weil ich körperlich am entwickeltsten bin. Die Arme wohltuend ausgebreitet und das Bein gehoben. (Sie macht die Stellung.)

Ständer. Die Stellung kannst du im Leben schon noch verwerten. Im übrigen...morgen mehr und gute Nacht.

Isolde (geht ab).

Ständer (öffnet den Briefumschlag und liest). »Wir teilen Ihnen mit, dass wir Sie für getrennte Dividendenscheine mit fünfhundertfünfzig Mark Valuta dato erkannt haben. Ferner, dass wir für Sie gekaufte sechstausend Mark Vereinigte Rodauer Glasfabriken in Ihr Depot übernehmen.« Gut. (Er öffnet in der Mauer einen Kasten und schließt das Papier hinein. Man hört draußen einen schrillen Pfiff und noch einen.) Was für ein Indianerpfiff? (Er sieht zum Fenster hinaus.) Sturm! Werner Sturm. Mit solchem Firlefanz fällt er mehr auf, als käme er geradewegs zur Haupttür herein. Hoffentlich schläft Flocke schon. (Abgang links und tritt gleich darauf mit Sturm wieder auf.)

 

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  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 8934
  • Hinzugefügt am 04. Mär 2022 - 11:53 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

Tabula-rasa, Carl-Sternheim, Schauspiel, Jubiläum, Fest

Einsteller: sophie-clark

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