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Sammlung: Büchner, Leonce und Lena

Leonce und Lena (12)

1836, Georg Büchner

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Persönlich Redigiert

PETER verlegen: Aber - aber etwas müßt Ihr denn doch sein?

VALERIO: Wenn Eure Majestät es so befehlen! Aber, meine Herren, hängen Sie dann die Spiegel herum und verstecken Sie Ihre blanken Knöpfe etwas und sehen Sie mich nicht so
an, daß ich mich in Ihren Augen spiegeln muß, oder ich weiß wahrhaftig nicht mehr, was ich eigentlich bin.

PETER: Der Mensch bringt mich in Konfusion, zur Desperation! Ich bin in der größten Verwirrung.
VALERIO: Aber eigentlich wollte ich einer hohen und geehrten Gesellschaft verkündigen, daß hiermit die zwei weltberühmten Automaten angekommen sind und daß ich vielleicht der dritte und merkwürdigste von beiden bin, wenn ich eigentlich selbst recht wüßte, wer ich wäre, worüber man übrigens sich nicht wundern dürfte, da ich selbst gar nichts von dem weiß, was ich rede, ja auch nicht einmal weiß, daß ich es nicht weiß, so daß es höchst wahrscheinlich ist, daß man mich nur so reden läßt, und es eigentlich nichts als Walzen und Windschläuche sind, die alles sagen. Mit schnarrendem Ton: Sehen Sie hier, meine Herren und Damen, zwei Personen beiderlei Geschlechts, ein Männchen und ein Weibchen, einen Herrn und eine Dame! Nichts als Kunst und Mechanismus, nichts als Pappendeckel und Uhrfedern! Jede hat eine feine, feine Feder von Rubin unter dem Nagel der kleinen Zehe am rechten Fuß, man drückt ein klein wenig, und die Mechanik läuft volle fünfzig Jahre. Diese Personen sind so vollkommen gearbeitet, daß man sie von andern Menschen gar nicht unterscheiden könnte, wenn man nicht wüßte, daß sie bloße Pappdeckel sind; man könnte sie eigentlich zu Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft machen. Sie sind sehr edel, denn sie sprechen Hochdeutsch. Sie sind sehr moralisch, denn sie stehn auf den Glockenschlag auf, essen auf den Glockenschlag zu Mittag und gehn auf den Glockenschlag zu Bett; auch haben sie eine gute Verdauung, was beweist, daß sie ein gutes Gewissen haben. Sie haben ein feines sittliches Gefühl, denn die Dame hat gar kein Wort für den Begriff Beinkleider, und dem Herrn ist es rein unmöglich, hinter einem Frauenzimmer eine Treppe hinauf- oder vor ihm hinunterzugehen. Sie sind sehr gebildet, denn die Dame singt alle neuen Opern, und der Herr trägt Manschetten. Geben Sie acht, meine Herren und Damen, sie sind jetzt in einem interessanten Stadium: der Mechanismus der Liebe fängt an sich zu äußern, der Herr hat der Dame schon einigemal den Schal getragen, die Dame hat schon einigemal die Augen verdreht und gen Himmel geblickt. Beide haben schon mehrmals geflüstert: Glaube, Liebe, Hoffnung! Beide sehen bereits ganz akkordiert aus, es fehlt nur noch das winzige Wörtchen: Amen.

PETER den Finger an die Nase legend: In effigie? in effigie? Präsident, wenn man einen Menschen in effigie hängen läßt, ist das nicht ebensogut, als wenn er ordentlich gehängt würde?

PRÄSIDENT: Verzeihen, Eure Majestät, es ist noch viel besser, denn es geschieht ihm kein Leid dabei, und er wird dennoch gehängt.

PETER: jetzt hab ich's. Wir feiern die Hochzeit in effigie! Auf Lena und Leonce deutend: Das ist die Prinzessin, das ist der Prinz. - Ich werde meinen Beschluß durchsetzen, ich werde mich freuen. - Laßt die Glockenläuten! Macht Eure Glückwünsche zurecht! Hurtig, Herr Hofprediger!
Der Hofprediger tritt vor, räuspert sich, blickt einigemal gen Himmel.

VALERIO : Fang an! Laß deine vermaledeiten Gesichter und fang an! Wohlauf!

HOFPREDIGER in der größten Verwirrung: Wenn wir -oder - aber -

VALERIO: Sintemal und alldieweil -

HOFPREDIGER: Denn -

VALERIO: Es war vor Erschaffung der Welt -

HOFPREDIGER: Daß -

VALERIO: Gott Langeweile hatte -

PETER: Machen Sie es nur kurz, Bester.

HOFPREDIGER sich fassend: Geruhen Eure Hoheit, Prinz Leonce vom Reiche Popo, und geruhen Eure Hoheit, Prinzessin Lena vom Reiche Pipi, und geruhen Eure Hoheiten gegenseitig, sich beiderseitig einander haben zu wollen, so sprechen Sie ein lautes und vernehmliches ja.

LENA und LEONCE: ja!

HOFPREDIGER: So sage ich Amen.

VALERIO: Gut gemacht, kurz und bündig; so wären denn das Männlein und Fräulein erschaffen, und alle Tiere des Paradieses stehen um sie.
Leonce nimmt die Maske ab.

ALLE: Der Prinz!

PETER: Der Prinz! Mein Sohn! Ich bin verloren, ich bin betrogen! Er geht auf die Prinzessin los. Wer ist die Person? Ich lasse alles für ungültig erklären!

GOUVERNANTE nimmt der Prinzessin die Maske ab, triumphierend: Die Prinzessin!

LEONCE: Lena?

LENA: Leonce?

LEONCE: Ei, Lena, ich glaube, das war die Flucht in das Paradies.

LENA: Ich bin betrogen!

LEONCE: Ich bin betrogen!

LENA: O Zufall!

LEONCE: O Vorsehung!

VALERIO: Ich muß lachen, ich muß lachen. Eure Hoheiten sind wahrhaftig durch den Zufall einander zugefallen; ich hoffe, Sie werden dem Zufall zu Gefallen - Gefallen aneinander finden.

GOUVERNANTE: Daß meine alten Augen endlich das sehen konnten! Ein irrender Königssohn ! Jetzt sterb ich ruhig.

PETER: Meine Kinder, ich bin gerührt, ich weiß mir vor Rührung kaum zu helfen. Ich bin der glücklichste Mann! Ich lege aber auch hiermit feierlichst die Regierung in deine Hände, mein Sohn, und werde sogleich ungestört zu denken anfangen. Mein Sohn, du überlässest mir diese Weisen - er deutet auf den Staatsrat -, damit sie mich in meinen Bemühungen unterstützen. Kommen Sie, meine Herren, wir müssen denken, ungestört denken! Er entfernt sich mit dem Staatsrat. Der Mensch hat mich vorhin konfus gemacht, ich muß mir wieder heraushelfen.

LEONCE zu den Anwesenden: Meine Herren! Meine Gemahlin und ich bedauern unendlich, daß Sie uns heute so lange zu Diensten gestanden sind. Ihre Stellung ist so traurig, daß wir um keinen Preis Ihre Standhaftigkeit länger auf die Probe stellen möchten. Gehn Sie jetzt nach Hause, aber vergessen Sie Ihre Reden, Predigten und Verse nicht, denn morgen fangen wir in aller Ruhe und Gemütlichkeit den Spaß noch einmal von vorne an. Auf Wiedersehn!
Alle entfernen sich, Leonce, Lena, Valerio und die Gouvernante ausgenommen.

LEONCE: Nun, Lena, siehst du jetzt, wie wir die Taschen voll haben, voll Puppen und Spielzeug? Was wollen wir damit anfangen? Wollen wir ihnen Schnurrbärte machen und ihnen Säbel anhängen? Oder wollen wir ihnen Fräcke anziehen und sie infusorische Politik und Diplomatie treiben lassen und uns mit dem Mikroskop danebensetzen? Oder hast du Verlangen nach einer Drehorgel, auf der die milchweißen ästhetischen Spitzmäuse herumhuschen? Wollen wir ein Theater bauen? Lena lehnt sich an ihn und schüttelt den Kopf. Aber ich weiß besser, was du willst: wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht. Und dann umstellen wir das    Ländchen mit Brennspiegeln, daß es keinen Winter mehr gibt und wir uns im Sommer bis Ischia und Capri hinaufdestillieren und das ganze Jahr zwischen Rosen und Veilchen, zwischen Orangen und Lorbeer stecken.

VALERIO: Und ich werde Staatsminister, und es wird ein Dekret erlassen, daß, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird; daß, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; daß jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion!


  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 670
  • Hinzugefügt am 27. Mär 2012 - 17:50 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

Vormärz, Georg, Büchner, Leonce, und, Lena, Biedermeier, Wiener, Kongress, Fürstenherrschaft, gesellschaftlicher, Stillstand, Parabel, Gesellschaft, Deutschland, 19., Jahrhundert, Satire, Biedermeier

Einsteller: klassiker

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