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Sammlung: Büchner, Leonce und Lena

Leonce und Lena (11)

1836, Georg Büchner

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Persönlich Redigiert

DRITTE SZENE
GROSSER SAAL. GEPUTZTE HERREN UND
DAMEN, SORGFÄLTIG GRUPPIERT

Der Zeremonienmeister mit einigen Bedienten auf dem Vordergrund

ZEREMONIENMEISTER: Es ist ein Jammer! Alles geht zugrund. Die Braten schnurren ein. Alle Glückwünsche stehen ab. Alle Vatermörder legen sich um, wie melancholische Schweinsohren. Den Bauern wachsen die Nägel und der Bart wieder. Den Soldaten gehn die Locken auf. Von den zwölf Unschuldigen ist keine, die nicht das horizontale Verhalten dem senkrechten vorzöge.

ERSTER BEDIENTER: Sie sehen in ihren weißen Kleidchen aus wie erschöpfte Seidenhasen, und der Hofpoet grunzt um sie herum wie ein bekümmertes Meerschweinchen. Die Herren Offiziere kommen um all ihre Haltung, und die Hofdamen stehen da wie Gradierbäue; das Salz kristallisiert an ihren Halsketten.

ZWEITER BEDIENTER: Sie machen es sich wenigstens bequem; man kann ihnen nicht nachsagen, daß sie auf den Schultern trügen. Wenn sie auch nicht offenherzig sind, so sind sie doch offen bis zum Herzen.

ZEREMONIENMEISTER: Ja, sie sind gute Karten vom türkischen Reich: man sieht die Dardanellen und das Marmormeer. Fort, ihr Schlingel! An die Fenster! Da kömmt Ihro Majestät!
König Peter und der Staatsrat treten ein.

PETER: Also auch die Prinzessin ist verschwunden. Hat man noch keine Spur von unserm geliebten Erbprinzen? Sind meine Befehle befolgt? Werden die Grenzen beobachtet?

ZEREMONIENMEISTER: ja, Majestät. Die Aussicht von diesem Saal gestattet uns die strengste Aufsicht. Zu dem ersten Bedienten: Was hast du gesehen?

ERSTER BEDIENTER: Ein Hund, der seinen Herrn sucht, ist durch das Reich gelaufen.

ZEREMONIENMEISTER zu einem andern: Und du?

ZWEITER BEDIENTER: Es geht jemand auf der Nordgrenze spazieren, aber es ist nicht der Prinz, ich könnte ihn erkennen.

ZEREMONIENMEISTER: Und du?

DRITTER BEDIENTER: Sie verzeihen - nichts.

ZEREMONIENMEISTER: Das ist sehr wenig. Und du?

VIERTER DIENER: Auch nichts.

ZEREMONIENMEISTER: Das ist ebensowenig.

PETER: Aber, Staatsrat, habe ich nicht den Beschluß gefaßt, daß meine königliche Majestät sich an diesem Tage freuen und daß an ihm die Hochzeit gefeiert werden sollte? War das nicht unser fester Entschluß?

PRÄSIDENT: Ja, Eure Majestät, so ist es protokolliert und aufgezeichnet.

PETER: Und würde ich mich nicht kompromittieren, wenn ich meinen Beschluß nicht ausführte?

PRÄSIDENT: Wenn es anders für Eure Majestät möglich wäre, sich zu kompromittieren, so wäre dies ein Fall, worin sie sich kompromittieren könnte.

PETER: Habe ich nicht mein königliches Wort gegeben? - Ja, ich werde meinen Beschluß sogleich ins Werk setzen, ich werde mich freuen. Er reibt sich die Hände. Oh, ich bin außerordentlich froh!

PRÄSIDENT: Wir teilen sämtlich die Gefühle Eurer Majestät, soweit es für Untertanen möglich und schicklich ist.

PETER: Oh, ich weiß mir vor Freude nicht zu helfen! Ich werde meinen Kammerherren rote Röcke machen lassen, ich werde einige Kadetten zu Leutnants machen, ich werde meinen Untertanen erlauben, - aber, aber, die Hochzeit? Lautet die andere Hälfte des Beschlusses nicht, daß die Hochzeit gefeiert werden sollte?

PRÄSIDENT: Ja, Eure Majestät.

PETER: Ja, wenn aber der Prinz nicht kommt und die Prinzessin auch nicht?

PRÄSIDENT: Ja, wenn der Prinz nicht kommt und die Prinzessin auch nicht - dann - dann -

PETER: Dann, dann?

PRÄSIDENT: Dann können sie sich eben nicht heiraten. PETER: Halt, ist der Schluß logisch? Wenn – dann - . Richtig! Aber mein Wort, mein königliches Wort!

PRÄSIDENT: Tröste Eure Majestät sich mit andern Majestäten! Ein königliches Wort ist ein Ding - ein Ding - ein Ding, - das nichts ist.

PETER zu den Dienern: Seht ihr noch nichts?

DIE DIENER: Eure Majestät, nichts, gar nichts.

PETER: Und ich hatte beschlossen, mich so zu freuen! Grade mit dem Glockenschlag zwölf wollte ich anfangen und wollte mich freuen volle zwölf Stunden - ich werde ganz melancholisch.

PRÄSIDENT: Alle Untertanen werden aufgefordert, die Gefühle Ihrer Majestät zu teilen.

ZEREMONIENMEISTER: Denjenigen, welche kein Schnupftuch bei sich haben, ist das Weinen jedoch anstandeshalber untersagt.

ERSTER BEDIENTER: Halt! Ich sehe was! Es ist etwas wie ein Vorsprung, wie eine Nase, das übrige ist noch nicht über der Grenze; und dann seh ich noch einen Mann, und dann noch zwei Personen entgegengesetzten Geschlechts.

ZEREMONIENMEISTER: In welcher Richtung?

ERSTER BEDIENTER: Sie kommen näher. Sie gehn auf das Schloß zu. Da sind sie!

Valerio, Leonce, die Gouvernante und die Prinzessin treten maskiert auf.

PETER: Wer seid Ihr?

VALERIO: Weiß ich's? Er nimmt langsam hintereinander mehrere Masken ab. Bin ich das? oder das? oder das? Wahrhaftig, ich bekomme Angst, ich könnte mich so ganz auseinanderschälen und - blättern.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 669
  • Hinzugefügt am 27. Mär 2012 - 17:34 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

Vormärz, Georg, Büchner, Leonce, und, Lena, Biedermeier, Wiener, Kongress, Fürstenherrschaft, gesellschaftlicher, Stillstand, Parabel, Gesellschaft, Deutschland, 19., Jahrhundert, Satire, Biedermeier

Einsteller: klassiker

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