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Sammlung: Büchner, Leonce und Lena

Leonce und Lena (04)

1836, Georg Büchner

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Persönlich redigiert

 

 

   

  LEONCE allein: Ein sonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Wasser, zieht seine Kleider an und fährt sich mit der Hand über die Stirn und besinnt sich - und besinnt sich. - Mein Gott, wie viel Weiber hat man nötig, um die Skala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum, daß eine einen Ton ausfüllt. Warum ist der Dunst über unsrer Erde ein Prisma, das den weißen Glutstrahl der Liebe in einem Regenbogen bricht? - Er trinkt. In welcher Bouteille steckt denn der Wein, an dem ich mich heute betrinken soll? Bringe ich es nicht einmal mehr so weit? Ich sitze wie unter einer Luftpumpe. Die Luft so scharf und dünn, daß mich friert, als sollte ich in Nankinghosen Schlittschuh laufen. - Meine Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und Nero waren? Ich weiß es. - Komm, Leonce, halte mir einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an. Ich stülpe mich jeden Tag vierundzwanzigmal herum wie einen Handschuh. Oh, ich kenne mich, ich weiß, was ich in einer Viertelstunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahr denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich wie einen Schulbuben meine Lektion so oft hersagen läßt? -
Bravo, Leonce! Bravo! Er klatscht. Es tut mir ganz wohl, wenn ich mir so rufe. He, Leonce! Leonce!

VALERIO unter einem Tisch hervor: Eure Hoheit scheint mir wirklich auf dem besten Weg, ein wahrhaftiger Narr zu werden.

LEONCE: Ja, beim Licht besehen, kommt es mir eigentlich ebenso vor.

VALERIO: Warten Sie, wir wollen uns darüber sogleich ausführlicher unterhalten! Ich habe nur noch ein Stück Braten zu verzehren, das ich aus der Küche, und etwas Wein, den ich von Ihrem Tische gestohlen. Ich bin gleich fertig.

LEONCE: Das schmatzt! Der Kerl verursacht mir ganz idyllische Empfindungen; ich könnte wieder mit dem Einfachsten anfangen, ich könnte Käs' essen, Bier trinken, Tabak rauchen. Mach fort, grunze nicht so mit deinem Rüssel, und klappre mit deinen Hauern nicht so!

VALERIO: Wertester Adonis, sind Sie in Angst um Ihre Schenkel? Sein Sie unbesorgt, ich bin weder ein Besenbinder noch ein Schulmeister; ich brauche keine Gerten zu Ruten.

LEONCE: Du bleibst nichts schuldig.

VALERIO : Ich wollte, es ginge meinem Herrn ebenso. LEONCE: Meinst du, damit du zu deinen Prügeln kämst? Bist du so besorgt um deine Erziehung?

VALERIO: O Himmel, man kömmt leichter zu seiner Erzeugung als zu seiner Erziehung. Es ist traurig, in welche Umstände einen anderer Umstände versetzen können! Was für Wochen hab ich erlebt, seit meine Mutter in die Wochen kam! Wieviel Gutes hab ich empfangen, das ich meiner Empfängnis zu danken hätte?

LEONCE: Was deine Empfänglichkeit betrifft, so könnte sie es nicht besser treffen, um getroffen zu werden. Drück dich besser aus, oder willst du den unangenehmsten Eindruck von meinem Nachdruck haben.

VALERIO: Als meine Mutter um das Vorgebirg der guten Hoffnung schiffte ...

LEONCE: Und dein Vater am Kap Horn Schiffbruch litt ...

VALERIO: Richtig, denn er war Nachtwächter. Doch setzte er das Horn nicht so oft an die Lippen als die Väter edler Söhne an die Stirn.

LEONCE: Mensch, du besitzest eine himmlische Unverschämtheit. Ich fühle ein gewisses Bedürfnis, mich in nähere Berührung mit ihr zu setzen. Ich habe eine große Passion, dich zu prügeln.

VALERIO: Das ist eine schlagende Antwort und ein triftiger Beweis.

LEONCE geht auf ihn los: Oder du bist eine geschlagene Antwort. Denn du bekommst Prügel für deine Antwort.

VALERIO läuft weg, Leonce stolpert und fällt: Und Sie sind ein Beweis, der noch geführt werden muß; denn er fällt über seine eigenen Beine, die im Grund genommen selbst noch zu beweisen sind. Es sind höchst unwahrscheinliche Waden und sehr problematische Schenkel.

Der Staatsrat tritt auf. Leonce bleibt auf dem Boden sitzen. Valerio.

PRÄSIDENT: Eure Hoheit verzeihen ...

LEONCE: Wie mir selbst! Wie mir selbst! Ich verzeihe mir die Gutmütigkeit, Sie anzuhören. Meine Herren, wollen Sie nicht Platz nehmen? - Was die Leute für Gesichter machen, wenn sie das Wort >Platz< hören! Setzen Sie sich nur auf den Boden und genieren Sie sich nicht! Es ist doch der letzte Platz, den Sie einst erhalten, aber er trägt niemanden etwas ein - außer dem Totengräber.

PRÄSIDENT verlegen mit dem Finger schnipsend: Geruhen Eure Hoheit .

LEONCE: Aber schnipsen Sie nicht so mit den Fingern, wenn Sie mich nicht zum Mörder machen wollen!

PRÄSIDENT immer stärker schnipsend: Wollen gnädigst, in Betracht ...

LEONCE: Mein Gott, stecken Sie doch die Hände in die Hosen, oder setzen Sie sich darauf. Er ist ganz aus der Fassung. Sammeln Sie sich!

VALERIO : Man darf Kinder nicht während des P........... unterbrechen, sie bekommen sonst eine Verhaltung.

LEONCE: Mann, fassen Sie sich! Bedenken Sie Ihre Familie und den Staat! Sie riskieren einen Schlagfluß, wenn Ihnen Ihre Rede zurücktritt.

PRÄSIDENT zieht ein Papier aus der Tasche: Erlauben Eure Hoheit .

LEONCE: Was? Sie können schon lesen? Nun denn.

PRÄSIDENT: Daß man der zu erwartenden Ankunft von Eurer Hoheit verlobter Braut, der durchlauchtigsten Prinzessin Lena von Pipi, auf morgen sich zu gewärtigen habe, davon läßt Ihro königliche Majestät Eure Hoheit benachrichtigen.

LEONCE: Wenn meine Braut mich erwartet, so werde ich ihr den Willen tun und sie auf mich warten lassen. Ich habe sie gestern nacht im Traum gesehen, sie hatte ein paar Augen, so groß, daß die Tanzschuhe meiner Rosetta zu Augenbrauen darüber gepaßt hätten, und auf den Wangen waren keine Grübchen, sondern ein paar Abzugsgräben für das Lachen. Ich glaube an Träume. Träumen Sie auch zuweilen, Herr Präsident? Haben Sie auch Ahnungen?

VALERIO: Versteht sich. Immer die Nacht vor dem Tag, an dem ein Braten verbrennt, ein Kapaun krepiert oder Ihre königliche Majestät Leibweh bekommt.

LEONCE: Apropos, hatten Sie nicht noch etwas auf der Zunge? Geben Sie nur alles von sich.

PRÄSIDENT: An dem Tage der Vermählung ist ein höchster Wille gesonnen, seine allerhöchsten Willensäußerungen in die Hände Eurer Hoheit niederzulegen.

  • Text-Herkunft: Gemeinfrei
  • Text-ID 662
  • Hinzugefügt am 27. Mär 2012 - 09:37 Uhr

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Verwandte Suchbegriffe

Vormärz, Georg, Büchner, Leonce, und, Lena, Biedermeier, Wiener, Kongress, Fürstenherrschaft, gesellschaftlicher, Stillstand, Parabel, Gesellschaft, Deutschland, 19., Jahrhundert, Satire

Einsteller: klassiker

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